19.12.2012 Sozialrecht

VwGH: Pauschalentschädigung für Schmerzengeld gem § 2 Z 10 iVm § 6a VOG – "Anrechnung" von Geldleistungen, die der Geschädigte bereits vom Täter erhalten hat?

§ 12 VOG zwingt zu der Konsequenz, dass der Anspruch auf eine Hilfeleistung durch den Bund insoweit ausgeschlossen ist, als der Geschädigte bereits eine Leistung vom Täter erhalten hat; auch der der Abgeltung eines immateriellen Schadens dienende Anspruch auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld gem § 2 Z 10 iVm § 6a VOG gegen den Bund besteht im Hinblick auf den Charakter einer Vorleistung nur insoweit, als der Anspruchsberechtigte nicht auf anderem Wege Schmerzengeld in der Höhe von zumindest der möglichen Pauschalleistung vom Täter erlangen kann und ersetzt erhält


Schlagworte: Verbrechensopferrecht, Hilfeleistungen, Pauschalentschädigung für Schmerzengeld, Übergang von Ersatzansprüchen, Legalzession, Anrechnung von Täterleistungen
Gesetze:

§ 2 VOG, § 6a VOG, § 12 VOG, § 84 StGB, § 85 StGB

GZ 2011/11/0102, 20.11.2012

 

VwGH: Es steht außer Streit, dass der Bf von den Tätern bereits zumindest EUR 3.500,-- erhalten hat. Die Beschwerde behauptet auch nicht mehr substantiiert, dass beim Bf eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen iSd § 85 StGB vorliege. Auch das im Berufungsverfahren vorgelegte und von der belangten Behörde ihrer Entscheidung zugrunde gelegte Gutachten geht von einer an sich schweren Körperverletzung, nicht aber von einer Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen iSd § 85 StGB aus.

 

Die Sachverhaltsannahme der belangen Behörde, es haben keine Leiden iSd § 85 StGB objektiviert werden können, da keine Beweismittel vorgelegt worden seien, welche eine für immer oder doch für lange Zeit bestehende schwere Gesundheitsschädigung als Dauerfolge der erlittenen Körperverletzung dokumentieren, sind vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden.

 

Der Bf bringt vor, die Anrechnung eines bereits erhaltenen oder aber auch zukünftig zu erhaltenden Schmerzengeldes sei in § 6a VOG nicht vorgesehen. Auch eine Subsidiarität der Leistung, wie etwa bei § 1 Abs 1 Z 2 VOG in Bezug auf die Amtshaftungsansprüche, sei hier nicht enthalten. Beim Schmerzengeld, das durch die Novelle BGBl I Nr 40/2009 eingeführt worden sei, handle es sich um eine Leistung nach dem VOG, die aus sozialen Aspekten eingeführt worden sei, um Verbrechensopfern schnell und unbürokratisch finanzielle Hilfe leisten zu können.

 

§ 1 Abs 1 VOG führt als eine der Voraussetzungen für Ansprüche nach diesem Gesetz aus, dass dem Geschädigten durch die strafbare Handlung Heilungskosten erwachsen sind oder seine Erwerbstätigkeit gemindert ist. Diese Voraussetzung geht bereits auf die Stammfassung des VOG zurück.

 

Zweck des VOG ist es, den Opfern von Verbrechen, denen es unmöglich ist, ihre Schadenersatzansprüche gegen den Schädiger durchzusetzen, staatliche Hilfeleistung zu gewähren. Der Bund übernimmt auf Grund dieses Gesetzes Pflichten des Schädigers und erbringt an das Opfer des Verbrechens anstelle des Täters Leistungen. Bei dem Anspruch auf Hilfeleistung nach dem VOG geht es somit um einen verschuldensunabhängigen Schadenersatzanspruch aus der Übernahme eines fremden Risikos.

 

§ 12 VOG ordnet für den Fall, dass der Bund einem Anspruchsberechtigten, dem durch eine Handlung iSd § 1 Abs 1 ein Schaden erwachsen ist, eine Hilfeleistungen nach dem VOG erbringt und der Anspruchsberechtigte nach Erbringung dieser Hilfeleistungen den Ersatz des Schadens auf Grund anderer gesetzlicher Vorschriften beanspruchen kann, eine Legalzession an. Hat folglich der Bund Hilfe iSd VOG geleistet, steht ihm ein Rückgriffsrecht im Rahmen seiner erbrachten Leistungen gegen den Täter zu.

 

Auch § 12 VOG geht bereits auf die Stammfassung des VOG zurück. Aus den Materialien zu dieser Bestimmung geht hervor, dass die Hilfeleistungen iSd VOG den Charakter von Vorleistungen haben und dem Bund bei Erbringung einer solchen Vorleistung ein Rückgriffsrecht im Rahmen einer Legalzession eingeräumt ist.

 

Dem Bf ist einzuräumen, dass eine "Anrechnung" von Geldleistungen, die der Geschädigte bereits vom Täter erhalten hat, im VOG nicht ausdrücklich angeführt ist. Sie erweist sich allerdings, wie von der belangten Behörde im Ergebnis zutreffend erkannt, im Lichte einer systematischen Auslegung, welche die Entstehungsgeschichte und die erschließbare Absicht des Gesetzgebers entsprechend in Betracht zieht, als geboten.

 

Die vom Bf präferierte Auslegung würde im Hinblick auf § 12 VOG zu dem Ergebnis führen, dass in jenen Fällen, in denen ein Anspruchsberechtigter vom Täter wenigstens so viel erhält, wie er als Hilfeleistung vom Bund erhalten könnte, einen zusätzlichen Anspruch auf Hilfe iSd § 2 VOG gegen den Bund geltend machen könnte. In Fällen hingegen, in denen der Bund Hilfe iSd § 2 VOG (vor)geleistet hat, würde, wenn dem Anspruchsberechtigten im Nachhinein ein Schadenersatzanspruch gegen den Täter zugesprochen wird, die Legalzession nach § 12 VOG eintreten und der Anspruch des Anspruchsberechtigten gegen den Täter auf den Bund insoweit übergehen, als dieser Leistungen nach dem VOG erbracht hat.

 

Für ein solches Verständnis des VOG bieten weder die Entstehungsgeschichte noch die Teleologie der Regelung (Vermeidung von Doppelentschädigungen) den geringsten Hinweis. Die Hilfeleistung nach § 2 VOG wurde nicht aufgrund eines mangelnden Anspruchs des Geschädigten gegen den Täter geschaffen, sondern aufgrund der im Regelfall gegebenen Unmöglichkeit, dass der Geschädigte ihn gegen den Täter durchsetzt und ihm insofern, wie § 1 Abs 1 VOG es umschreibt, Kosten "erwachsen". § 12 VOG zwingt zu der von der belangten Behörde gezogenen Konsequenz, dass der Anspruch auf eine Hilfeleistung durch den Bund insoweit ausgeschlossen ist, als der Geschädigte bereits eine Leistung vom Täter erhalten hat. Dass der Gesetzgeber, wie von der Beschwerde im Ergebnis unterstellt, in Kauf genommen hätte, dass im Fall einer Vorleistung durch den Bund - im Wege der Legalzession nach § 12 VOG - eine zusätzliche Leistung ausgeschlossen ist, im Falle einer bereits vom Täter erhaltenen Leistung aber sehr wohl eine zusätzliche Leistung durch den Bund erfolgen soll, kann ihm - schon unter dem Blickwinkel des aus Art 7 B-VG erfließenden Sachlichkeitsgebotes - nicht ernsthaft zugesonnen werden.

 

Diese Überlegungen gelten auch für die erst mit der Novelle BGBl I Nr 40/2009 eingeführte Hilfeleistung aus dem Titel des Schmerzengeldes. Auch der der Abgeltung eines immateriellen Schadens dienende Anspruch auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld gem § 2 Z 10 iVm § 6a VOG gegen den Bund besteht im Hinblick auf den Charakter einer Vorleistung nur insoweit, als der Anspruchsberechtigte nicht auf anderem Wege Schmerzengeld in der Höhe von zumindest der möglichen Pauschalleistung vom Täter erlangen kann und ersetzt erhält. Hat der Geschädigte unter dem Titel einer Abgeltung von immateriellem Schaden vom Täter bereits zumindest so viel erhalten, als ihm nach § 6a VOG vom Bund zu leisten wäre, scheidet eine weitere Hilfeleistung durch den Bund aus.

 

Da dem Bf unstrittig zumindest EUR 3.500,-- an Schmerzengeld zugesprochen wurden und er diesen Betrag auch von den Tätern erhalten hat, bleibt im Beschwerdefall für eine weitere Hilfeleistung durch den Bund kein Raum.

 

Die Beschwerde bringt darüber hinaus vor, dass die Pauschalentschädigung nach § 6a VOG auch keine zusätzlich zum Schadenersatzanspruch zu gewährende Leistung sei, sondern "vielmehr in den direkten Schadenersatzansprüchen gegen den oder die Täter integriert" sei. Die genaue Höhe der Ersatzleistung könne aber jeweils nur zivilrechtlich festgestellt werden, was mit hohen Kosten für den Bf verbunden sei. Der Schadenersatzanspruch aus dem Titel des Schmerzengeldes sei auf Grund der Schwere und Vielzahl der erlittenen Verletzungen sowie der langen Behandlungsdauer deutlich höher als der Betrag von EUR 3.600,--, die er bereits von den Tätern erhalten habe. Aus diesem Grund erscheine es nur billig und gerecht, zu dem bereits erhaltenen Schadenersatzbetrag die ihm zustehenden EUR 1.000,-- (bzw EUR 5.000,--) erhalten zu können. Eine Versagung würde ihn unbillig hart treffen. Es seien nur Teilansprüche geltend gemacht worden, die restlichen Ansprüche können nur im Wege des Zivilgerichtes geltend gemacht werden.

 

Die in § 6a VOG vorgesehene Pauschalentschädigung für Schmerzengeld ist als einmalige Leistung konzipiert und folglich stets mit EUR 1.000,-- (bzw EUR 5.000,-- im Falle einer Schädigung iSd § 85 StGB) begrenzt. Sofern die Legalzession des § 12 VOG eintritt, geht der Anspruch auf den Bund nur insoweit über, als dieser Leistungen nach dem VOG erbracht hat. In Anwendung des § 6a ist sohin auch der Anspruch des Bundes gegenüber dem Täter mit EUR 1.000,-- (bzw EUR 5.000,--) begrenzt.

 

Das bedeutet aber, dass für den Anspruchsberechtigten, der einen Antrag gem § 6a VOG gestellt und bereits eine Schmerzengeldzahlung des Täters (zB aus dem Titel eines gerichtlichen Urteiles) erhalten hat, auch die vom Bund zu leistende Entschädigung nach § 6a VOG mit dem Pauschalbetrag begrenzt ist. Bereits vom Täter erhaltene Entschädigungen für Schmerzengeld sind sohin auf die allfällige Entschädigung nach § 6a VOG "anzurechnen", weil das VOG keinen zusätzlichen Anspruch neben dem Schadenersatzanspruch gegen den Täter schafft.