12.03.2012 Zivilrecht

OGH: Entnahme von DNA-Material im Zuge einer erkennungsdienstlichen Behandlung in einem Strafverfahren (§ 67 SPG) – kann das Gericht im Abstammungsverfahren die Herausgabe der bereits entnommenen DNA-Proben verlangen?

Genetische Informationen, die durch erkennungsdienstliche Maßnahmen ermittelt wurden, dürfen aufgrund der dem § 85 AußStrG zugrunde liegenden grundrechtlichen Abwägung nicht zur Verwertung in einem Abstammungsverfahren ausgefolgt werden


Schlagworte: Familienrecht, Abstammungsverfahren, Feststellung der Vaterschaft, Mitwirkungspflichten DNA-Untersuchungen
Gesetze:

§ 163 ABGB, § 85 AußStrG, § 67 SPG, Art 8 EMRK, § 82 AußStrG

GZ 3 Ob 2/12h, 18.01.2012

 

OGH: Zum grundrechtlich geschützten Recht auf Feststellung der Abstammung:

 

Nach der Rsp des EGMR zu Art 8 EMRK gehört zur Entwicklung der Person das Recht, notwendige Informationen über wesentliche Aspekte der eigenen Identität und der ihrer Eltern zu erhalten. Jedermann hat ein geschütztes Interesse daran, Auskünfte zu erhalten, die notwendig sind, die Kindheit und frühe Entwicklung zu verstehen. Dazu gehört auch die Möglichkeit der Gewinnung von Informationen über die Identität der Eltern.

 

Beschränkungen des grundrechtlich geschützten Anspruchs müssen nach Art 8 Abs 2 EMRK gerechtfertigt werden; zur Prüfung ihrer Notwendigkeit ist eine umfassende Interessenabwägung nötig.

 

Bei dieser Interessenabwägung müssen auch die Interessen Dritter berücksichtigt werden. Der EGMR hat in seiner Entscheidung vom 13. Juli 2006 im Fall Jäggi/Schweiz (Bsw 58.757/00) ausgesprochen, dass die Notwendigkeit des Schutzes von Rechten Dritter die Möglichkeit ausschließen kann, jemanden zu einer medizinischen Analyse wie einem DNA-Test zu zwingen. In dem vom EGMR entschiedenen Fall ging es um die Exhumierung eines Verstorbenen, der als Vater vermutet wurde, zum Zweck der Entnahme einer DNA-Probe; abzuwägen war zwischen dem Interesse an der Feststellung der Abstammung und dem Interesse an der körperlichen Unversehrtheit des Verstorbenen, der zu Lebzeiten eine Feststellung der Vaterschaft verweigert hatte. Der EGMR sprach aus, dass eine DNA-Probenentnahme ein relativ geringer Eingriff sei, weshalb die Ablehnung eines Privatgutachtens zur Vaterschaftsfeststellung als Verletzung von Art 8 EMRK zu qualifizieren sei.

 

In dem nun zu entscheidenden Fall ist der „Eingriff“ zur Entnahme einer DNA-Probe jedoch bereits erfolgt, sodass die genannte EGMR-Entscheidung nicht unmittelbar übertragbar ist. Festzuhalten ist nochmals, dass nach der Rsp des EGMR bei der Prüfung, ob Beschränkungen des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf Informationen, die die Feststellung der Abstammung ermöglichen, notwendig sind, eine umfassende Interessenabwägung erforderlich ist.

 

Zur einfachgesetzlichen Rechtslage:

 

Nach § 85 Abs 4 AußStrG kann das Gericht im Abstammungsverfahren - subsidiär gegenüber anderen Beweisen - von jedermann die Herausgabe notwendiger Gewebeproben, Körperflüssigkeiten und Blutproben der in § 85 Abs 1 AußStrG genannten Personen (selbst wenn diese bereits verstorben sind) verlangen, soweit dem „besondere gesetzliche Bestimmungen nicht entgegenstehen“. § 85 Abs 1 AußStrG normiert Mitwirkungspflichten und nimmt dabei auf „die Parteien und alle Personen, die nach den Ergebnissen des Verfahrens zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen können“, Bezug.

 

In den Gesetzesmaterialien wird mehrfach auf die dem § 85 AußStrG zugrunde liegende grundrechtliche Abwägung Bezug genommen und auch darauf hingewiesen, dass die Feststellung der Abstammung ein elementares Grundrecht jedes Menschen ist, weshalb sie nicht an der ungerechtfertigten Weigerung beteiligter Personen scheitern darf. Speziell zu § 85 Abs 4 AußStrG wird ausgeführt, die Bestimmung solle „die Verwendung aufbewahrter Proben dadurch ermöglichen, dass ein diesbezüglicher Herausgabeanspruch des Gerichtes geschaffen wird. Auf diese Regelung wird sich gegebenenfalls auch die Exhumierung zur Probenentnahme stützen lassen. Von der Regelung sind aber Proben ausgenommen, die nach besonderen Vorschriften nicht herausgegeben oder nicht zweckwidrig verwendet werden dürfen, etwa Proben nach § 67 SPG im Hinblick auf dessen Abs 2“.

 

Der Gesetzgeber hatte also genau den hier vorliegenden Fall im Auge, in dem genetische Informationen bereits durch erkennungsdienstliche Maßnahmen ermittelt worden waren; diese dürfen gem § 67 Abs 2 SPG ausschließlich für Zwecke des Erkennungsdienstes ausgewertet werden. Der Gesetzgeber nahm also unter Einbeziehung des Art 8 EMRK bewusst eine Interessenabwägung zugunsten der datenschutzrechtlichen Regelung des § 67 Abs 2 SPG vor, weshalb es nicht möglich ist, die Wortfolge „und besondere gesetzliche Bestimmungen nicht entgegenstehen“ in § 85 Abs 4 AußStrG so zu interpretieren, dass sie sich nicht auf § 67 Abs 2 SPG bezieht.

 

Das Gericht kann daher nicht die Herausgabe der bereits entnommenen DNA-Proben verlangen.