OGH: Pflegegeld iSd BPGG – Berücksichtigung des Zeitaufwands für den täglichen Verbandswechsel?
Kann ein ansonsten gesunder Patient eine bestimmte, vom Arzt angeordnete Maßnahme grundsätzlich selbst setzen und ist er dazu nur nicht mehr in der Lage, weil er aus einem anderen Grund pflegebedürftig ist, so ist der für die Betreuung bei dieser Maßnahme erforderliche Aufwand für die Bemessung des Pflegegelds zu berücksichtigen
§ 4 BPGG, § 1 BPGG
GZ 10 ObS 154/11m, 06.12.2011
OGH: Voranzustellen ist, dass Verrichtungen medizinischer Art (wie Krankenbehandlung, Therapien oder medizinische Hauskrankenpflege) grundsätzlich keinen Pflegebedarf iSd BPGG darstellen. Um als pflegebedingter Mehraufwand bei der Bemessung des Pflegegelds bzw bei der Ermittlung des Pflegebedarfs (als Betreuung und Hilfe iSd EinstV) Berücksichtigung zu finden, muss es sich - zumindest im weiteren Sinn - um lebenswichtige Verrichtungen „nichtmedizinischer“ Art handeln.
Nach hRsp ist die Abgrenzung zwischen dem anzurechnenden Pflegeaufwand und den nicht im Rahmen der Pflegegeldgesetze (des Bundes oder der Länder) zu ersetzenden medizinischen Behandlungen jedoch so vorzunehmen, dass ein Pflegeaufwand jedenfalls dann anzunehmen ist, wenn es sich um Maßnahmen handelt, die ein - ansonsten - nicht behinderter Mensch gewöhnlich selbst vornehmen kann. Kann ein ansonsten völlig Gesunder hingegen diese Verrichtung (auch) nicht ohne fremde Hilfe vornehmen, so unterscheidet sich der Anspruchwerber - trotz seiner Krankheit - diesbezüglich nicht von einem Gesunden, sodass er insoweit auch nicht den Schutz für Behinderte beim Pflegegeld beanspruchen kann.
In diesem Sinn hat der erkennende Senat zur Verabreichung von Insulininjektionen bereits wiederholt ausgesprochen, dass es sich insoweit um einen Pflegebedarf (und nicht etwa um Hauskrankenpflege aus der Krankenversicherung durch diplomierte Krankenschwestern oder Krankenpfleger) handle, weil es dabei um eine Tätigkeit geht, die ein davon Betroffener üblicherweise selbst vornimmt, weshalb die Beiziehung einer Hilfsperson nur notwendig ist, wenn der Betroffene aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, sich die Injektionen selbst zu verabreichen . Auch zu Verbandswechsel bei Unterschenkelgeschwüren infolge eines Venenleidens wurde bereits ausgeführt, dass der notwendige Aufwand im Rahmen der Ermittlung des Pflegeaufwands zu berücksichtigen ist, wenn jemand, der über das Venenleiden hinaus keine Behinderung hat, den Verbandswechsel regelmäßig selbst durchführt und dies im konkreten Fall nur deshalb nicht geschieht, weil andere Behinderungen das Anlegen des Verbands unmöglich machen.
Mit dieser Rsp steht die Rechtsansicht des Berufungsgerichts in Einklang. Dass es bei der vorzunehmenden Abgrenzung rein auf die Art der Verrichtung ankommt und das Alter der betroffenen Person nicht maßgeblich ist, zieht die Revisionswerberin nicht in Zweifel.
Der Umfang der Leistungen der medizinischen Hauskrankenpflege ist iSd § 151 ASVG grundsätzlich mit Hilfe des GuKG zu bestimmen. Wird eine Tätigkeit durch Angehörige des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege nach § 12 GuKG erbracht, ist daran der Umfang der Leistungen der medizinischen Hauskrankenpflege zu messen. Es wurde bereits ausgesprochen, dass hingegen dann, wenn eine Tätigkeit in den Tätigkeitsbereich der Pflegehelfer bei der Mitarbeit bei therapeutischen Verrichtungen nach § 84 Abs 4 GuKG fällt, keine Leistung der medizinischen Hauskrankenpflege vorliegt.
Daraus, dass aus berufsrechtlicher Sicht das Anlegen von Verbänden nicht zur Gänze den Pflegehelfern vorbehalten ist, sondern bestimmte Anordnungs- und Aufsichtserfordernisse bestehen, ist für den Standpunkt der beklagten Partei schon im Hinblick darauf nichts zu gewinnen, dass nach den vom Berufungsgericht gebilligten Tatsachenfeststellungen der Verbandswechsel von nicht pflegebedürftigen Personen üblicherweise selbst vorgenommen wird. Kann ein ansonsten gesunder Patient eine bestimmte, vom Arzt angeordnete Maßnahme grundsätzlich selbst setzen und ist er dazu nur nicht mehr in der Lage, weil er aus einem anderen Grund pflegebedürftig ist, so ist der für die Betreuung bei dieser Maßnahme erforderliche Aufwand für die Bemessung des Pflegegelds zu berücksichtigen.
Der Fall, dass die gesetzliche Krankenversicherung dem Kläger aus ihren Mitteln medizinische Hauskrankenpflege für das Anlegen von Bandagen tatsächlich erbracht hat, auch wenn es sich dabei um keine Pflichtleistung handelt, auf die ein Rechtsanspruch besteht, liegt hier nicht vor. Nur dann wäre die Geltendmachung eines pflegegeldrelevanten Betreuungsaufwands zusätzlich zu der im Rahmen der medizinischen Hauskrankenpflege bereits in Anspruch genommenen Sachleistung verwehrt.