10.01.2012 Wirtschaftsrecht

OGH: Zwangsstrafverfügung gem § 283 Abs 2 UGB wegen Verletzung der Offenlegungspflicht – zu den Fragen der Behauptungslast des Bestraften, der Amtswegigkeit des Verfahrens außer Streitsachen und der strafrechtlichen Unschuldsvermutung

Es liegt am Einspruchswerber selbst, schon im Einspruch die der Erfüllung seiner Offenlegungspflicht nach § 277 UGB entgegenstehenden Hindernisse darzutun; die Unschuldsvermutung des Art 6 Abs 2 EMRK gilt nur für Strafverfahren


Schlagworte: Unternehmensrecht, Zwangsstrafenverfahren, Offenlegung, (mehrere) Zwangsstrafverfügung(en), Behauptungslast des Bestraften, keine amtswegige Ermittlungspflicht, strafrechtliche Unschuldsvermutung, Beugemaßnahme
Gesetze:

§ 283 UGB, § 277 UGB, § 16 AußStrG, Art 6 EMRK

GZ 6 Ob 235/11v, 21.12.2011

 

OGH: Nach stRsp des OGH haben die Einspruchswerber im Hinblick auf den auch im Zwangsstrafverfahren anzuwendenden § 16 Abs 2 AußStrG vollständig und wahrheitsgemäß alle ihnen bekannten, für die Entscheidung des Gerichts maßgebenden Tatsachen und Beweise vorzubringen bzw anzubieten. Eine amtswegige Ermittlungspflicht des Firmenbuchgerichts besteht hingegen nicht; dieses ist also nicht verpflichtet, Erhebungen zu den möglichen Hinderungsgründen anzustellen, vielmehr liegt es am Einspruchswerber selbst, schon im Einspruch die der Erfüllung seiner Offenlegungspflicht entgegenstehenden Hindernisse darzutun. Daran ändert auch die vom Rekursgericht ins Spiel gebrachte „Unschuldsvermutung“ nichts; § 283 Abs 1 UGB setzt für eine zwingende Bestrafung lediglich das Verstreichen der Offenlegungsfrist von neun Monaten voraus.

 

Im Übrigen gilt die Vermutung des Art 6 Abs 2 EMRK nur für Strafverfahren. Der Zweck der Vorschrift ist es zu verhindern, dass jemandem eine Handlung als Wertverletzung durch das in der Bestrafung zum Ausdruck kommende sozialethische Unwerturteil vorgeworfen wird, bevor seine Schuld gesetzlich nachgewiesen ist. Deshalb ist die Unschuldsvermutung grundsätzlich nur im Strafverfahren und nicht in Verfahren vor den Zivilgerichten beachtlich.

 

Inwiefern durch die Einfügung des Wortes „zeitgerechten“ vor „Befolgung“ in § 283 Abs 1 Satz 1 UGB durch das Budgetbegleitgesetz 2011 (BBG 2011) der vom Gesetzgeber schon bisher beabsichtigte repressive Charakter der firmenbuchrechtlichen Zwangsstrafen weiter betont wird, ist nicht nachvollziehbar. Nicht nur die endgültige Nichteinreichung ist rechtswidrig, sondern auch die verspätete. Das galt auch schon vor der Novelle durch das BBG 2011. Nunmehr wird lediglich etwas deutlicher betont, dass nicht nur die Offenlegung an sich, sondern auch deren Rechtzeitigkeit erzwungen werden soll.

 

Auch der Gesetzeswortlaut von § 283 UGB idF des BBG 2011 zwingt - entgegen den Gesetzesmaterialien, die keine Gesetzeskraft haben - keineswegs dazu, einen repressiven Charakter der Zwangsstrafen gem § 283 UGB anzunehmen.

 

Der Gesetzeswortlaut von § 283 UGB indiziert den willensbeugenden Charakter der Zwangsstrafen. Dies ergibt sich einerseits aus § 283 Abs 1 erster Satz UGB, wonach die Organwalter zur zeitgerechten Befolgung „anzuhalten“ sind, und andererseits aus der Wendung „- sofern die Offenlegung nicht bis zum Tag vor Erlassung der Zwangsstrafverfügung bei Gericht eingelangt ist -“ in Abs 2 erster Satz.

 

Dagegen kann ein repressiver Charakter des Zwangsstrafverfahrens nach § 283 UGB nicht zwingend aus dem Gesetz abgeleitet werden. Schon zu § 283 UGB idF des Publizitätsrichtlinien-Gesetzes (PuG, BGBl I 2006/103; wonach die Zwangsstrafen auch dann zu vollstrecken sind, wenn die Bestraften ihrer Pflicht nachkommen oder deren Erfüllung unmöglich geworden ist) hat der erkennende Senat ausgesprochen, auch dann, wenn man die Zwangsstrafen als bloßes Beugemittel ansehe, erfordere der Strafzweck, dass eine angedrohte Strafe bei nicht rechtzeitiger Befolgung des erteilten Auftrags auch tatsächlich verhängt (und in der Folge vollstreckt) werde, weil nur dann die Androhung glaubwürdig sei. In diesem Sinn führt Zib aus, eine später - nach Verhängung der Zwangsstrafe - vorgenommene Anmeldung, Einreichung etc mache die Beugemaßnahme nicht gegenstandslos, sondern sei regelmäßig ihr Erfolg.

 

Entgegen der Auffassung des Rekursgerichts wird mit der Erlassung einer Zwangsstrafverfügung nicht der gesamte bis dahin andauernde Verstoß gegen die Offenlegungspflicht verfolgt, sondern nur derjenige für die betreffende Zweimonatsfrist gem § 283 Abs 1 letzter Satz und Abs 4 UGB. Der Hinweis im Einspruch auf eine mittlerweile nach Erlassung der Zwangsstrafverfügung erfolgte Offenlegung hindert nicht die Verhängung der Zwangsstrafe im ordentlichen Verfahren, sondern allenfalls die Verhängung einer weiteren Strafe nach § 283 Abs 4 UGB. Der Einspruch dient somit dazu, dem Bestraften das rechtliche Gehör zu wahren, führt aber nicht dazu, nach Erlassung der Zwangsstrafverfügung eingetretene entlastende nova producta zu berücksichtigen. Daran kann auch die vom Rekursgericht zitierte Rsp des VwGH zum Verwaltungsstrafrecht nichts ändern, zumal den im zitierten Erkenntnis relevanten Verwaltungsstrafnormen eine dem § 283 UGB vergleichbare wiederholte Bestrafung nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums für einen neuen Zeitraum fremd ist.

 

Auch dieser Umstand, dass im ordentlichen Verfahren eine Zwangsstrafe verhängt werden kann, obwohl nach der Zwangsstrafverfügung der Jahresabschluss offen gelegt wurde, zwingt nicht dazu, einen repressiven Charakter der Zwangsstrafe im ordentlichen Verfahren anzunehmen: Könnte diesfalls nicht gestraft werden, verlöre die Zwangsstrafverfügung insofern ihren willensbeugenden Charakter, als jeder darauf vertrauen könnte, dass er den Jahresabschluss ohnehin noch nach der Zwangsstrafverfügung mit der Folge der Einstellung des Verfahrens einreichen könnte und somit de facto eine Nachfrist hätte. Dadurch würde es aber an einer „geeigneten Maßnahme“ zur Erzwingung der rechtzeitigen Einreichung fehlen: Nur wer weiß, dass er schon am ersten Tag der Säumnis wirksam und endgültig bestraft werden kann, fühlt sich veranlasst, spätestens am letzten Tag der Neunmonatsfrist einzureichen.

 

Die jeweils zweimonatigen Strafperioden gem § 283 Abs 1 letzter Satz und Abs 4 UGB richten sich ausschließlich nach dem objektiven Kriterium des Jahresabschlussstichtags und des letzten Tags der Offenlegungsfrist neun Monate später. Beim Jahresabschlussstichtag 31. 12. ergeben sich somit die Bestrafungszeiträume mit 1. 10. bis einschließlich 30. 11. des Folgejahres, 1. 12. des Folgejahres bis einschließlich 31. 1. des darauf folgenden Jahres usw. Auf subjektive Umstände wie etwa die Dauer eines unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses kommt es nicht an, weil ein solches allenfalls mangels Verschuldens des Organwalters dessen Bestrafung ausschließt, aber nichts an der Rechtswidrigkeit der nicht erfolgten Offenlegung ändert (vgl § 283 Abs 1 letzter Satz UGB: „ihren Pflichten … nicht nachgekommen sind.“).

 

Aus diesen Erwägungen bestehen entgegen der Rechtsansicht des Rekursgerichts auch keine Bedenken gegen die gleichzeitige Verhängung mehrerer Zwangsstrafverfügungen für verschiedene (jeweils zweimonatige) Bestrafungszeiträume. Im Spruch jeder einzelnen Zwangsstrafverfügung ist aber der Bestrafungszeitraum eindeutig auszudrücken.