OGH: Art 19 ARB 2003 und Amtshaftungsansprüche (hier: iZm Verstoß gegen die Fürsorgepflichten des Bundes als Dienstgeber)
Dagegen, dass nicht dem Arbeitsgerichts-Rechtsschutz unterfallende, im Wege der Amtshaftung geltend zu machende Schadenersatzansprüche gegen den Arbeitgeber nach dem Verständnis der Maßfigur des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers auch vom Schadenersatz-Rechtsschutz ausgenommen sein sollten, spricht schon die Formulierung des Art 19.3.1., wonach die dort genannten Risikoausschlüsse - ua nach Art 19.3.1.2. ARB - (nur) „zur Vermeidung von Überschneidungen mit anderen Rechtsschutz-Bausteinen“ erfolgen
Art 19 ARB 2003, Art 20 ARB 2003, AHG
GZ 7 Ob 202/11y, 30.11.2011
Der Kläger war Polizist. Er wurde mit 31. 12. 2009 wegen dauernder Dienstunfähigkeit in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Er behauptet, krank und schließlich dienstunfähig geworden zu sein, weil er während seiner Dienstzeit von Vorgesetzten und Kollegen jahrelang systematisch schikaniert und beleidigt („gemobbt“) worden sei. Die Republik Österreich (gemeint: der Bund) sei ihm im Wege der Amtshaftung zu Schadenersatz verpflichtet, weil sie es, gegen ihre Fürsorgepflichten als Dienstgeberin verstoßend, unterlassen habe, ihn vor diesem Mobbing zu schützen. Er forderte vom Bund als Dienstgeber vergeblich den Ersatz seines Verdienstausfalls bis zum Eintritt des Regelpensionsalters (111.600 EUR) und bis zu seinem statistischen Sterbealter (72.800 EUR) sowie ein Schmerzengeld von 100.000 EUR.
Der Kläger ist seit 2. 8. 2007 bei der Beklagten rechtsschutzversichert. Dem Versicherungsvertrag liegen die „Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung der Allianz Elementar Versicherungs-AG (ARB 2003 der Allianz Elementar Versicherungs-AG“; im Folgenden ARB) zugrunde, die ua folgende hier maßgebliche Bestimmungen aufweisen:
Artikel 19
Schadenersatz- und Straf-Rechtsschutz für den Privat-, Berufs- und Betriebsbereich
Der Versicherungsschutz erstreckt sich je nach Vereinbarung auf den Privat-, Berufs- und/oder Betriebsbereich
[…]
2. Was ist versichert?
Der Versicherungsschutz umfasst
2.1. Schadenersatz-Rechtsschutz
für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen eines erlittenen Personen-, Sach- oder Vermögensschadens.
[…]
3. Was ist nicht versichert?
3.1. Zur Vermeidung von Überschneidungen mit anderen Rechtsschutz-Bausteinen umfasst der Versicherungsschutz insbesondere nicht
[..]
3.1.2. die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Sinne des § 51 ASGG (versicherbar in Artikel 20);
Artikel 20
Arbeitsgerichts-Rechtsschutz
Der Versicherungsschutz erstreckt sich je nach Vereinbarung auf den Berufs- und/oder Betriebsbereich,
1. Wer ist in welcher Eigenschaft versichert?
Versicherungsschutz haben
1.1. Im Berufsbereich
der Versicherungsnehmer und seine Familienangehörigen (Artikel 5.1.) in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer im Sinne des § 51 ASGG gegenüber ihrem Arbeitgeber für Versicherungsfälle, die mit der Berufsausübung unmittelbar zusammenhängen oder auf dem direkten Weg von oder zur Arbeitsstätte eintreten;
[…]
2. Was ist versichert?
Der Versicherungsschutz umfasst
2.1. die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in Verfahren vor österreichischen Gerichten als Arbeitsgerichten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Zusammenhang mit Arbeits- oder Lehrverhältnissen;
2.2. bei öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnissen für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen bezüglich dienst-, besoldungs- und pensionsrechtlicher Ansprüche sowie abweichend von Artikel 7.1.2.6. auch für Disziplinarverfahren.“
OGH: Keine Berechtigung kommt dem Einwand der Beklagten zu, für die vom Kläger beabsichtigte Anspruchsverfolgung bestehe keine Rechtsschutzdeckung, weil die behaupteten Ansprüche gegen den Bund nicht dem „Schadenersatz-Rechtsschutz“ nach Art 19.2.1. ARB unterfielen. Der Ansicht des Berufungsgerichts, die behaupteten Ansprüche des Klägers gegen den Bund seien im Wege der Amtshaftung durchzusetzende Schadenersatzansprüche, widerspricht die Revisionswerberin ohnehin nicht; dies bedarf daher keiner weiteren Erörterung. Oberstgerichtlicher Judikatur folgend ist das Berufungsgericht weiters davon ausgegangen, dass Amtshaftungsansprüche den „Schadenersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts“ iSd ARB zuzurechnen sind und die Ansprüche, die der Kläger verfolgen will, daher vom Schadenersatz-Rechtsschutz nach Art 19.2.1. ARB umfasst sind. Dass im vorliegenden Fall Deckung nach dem Arbeitsgerichts-Rechtsschutz gem Art 20 ARB nicht gegeben sein kann, stellt die Revisionswerberin an sich nicht mehr in Abrede. Ob zwischen den Streitteilen auch dieser Rechtsschutz-Baustein vereinbart wurde, konnte vom Berufungsgericht daher dahingestellt gelassen werden.
Der Auffassung der Beklagten, im Hinblick auf den in Art 19.3.1.2. ARB vereinbarten Risikoausschluss und weil der Kläger seine Arbeitgeberin in Anspruch nehmen wolle, scheide auch Rechtsschutzdeckung nach Art 19.2.1. ARB aus, ist zu widersprechen. Richtig ist zwar, dass die Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen wegen der schweren Überschaubarkeit und Kalkulierbarkeit und der Größe des Rechtskostenrisikos im gesamten Bereich des privaten wie auch öffentlichen Rechts nur Teilgebiete abdecken. Dagegen, dass nicht dem Arbeitsgerichts-Rechtsschutz unterfallende, im Wege der Amtshaftung geltend zu machende Schadenersatzansprüche gegen den Arbeitgeber nach dem Verständnis der Maßfigur des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers auch vom Schadenersatz-Rechtsschutz ausgenommen sein sollten, spricht allerdings schon die Formulierung des Art 19.3.1., wonach die dort genannten Risikoausschlüsse - ua nach Art 19.3.1.2. ARB - (nur) „zur Vermeidung von Überschneidungen mit anderen Rechtsschutz-Bausteinen“ erfolgen.
Im demnach hier vom Kläger zu Recht beanspruchten Schadenersatz-Rechtsschutz nach Art 19.2.1. ARB gilt gem Art 2.1. ARB als Versicherungsfall das dem Anspruch zugrunde liegende Schadensereignis und als Zeitpunkt des Versicherungsfalls der Eintritt dieses Schadensereignisses. Dem entsprechend hat das Berufungsgericht entgegen der Ansicht der Revisionswerberin zu Recht bei den Verdienstentgangsansprüchen des Klägers den Zeitpunkt der vorzeitigen Pensionierung als Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls angenommen. Die Gegenmeinung der Beklagten, bereits die zur vorzeitigen Pensionierung führende Erkrankung stelle (auch) hinsichtlich des Verdienstentgangs den Versicherungsfall dar, ist verfehlt, weil die Gesundheitsschädigung allein noch zu keiner Einkommenseinbuße des Klägers führte. Erst dessen krankheitsbedingte Versetzung in den Ruhestand hat jene Einkommensminderungen nach sich gezogen, deren Ersatz begehrt wird. Hinsichtlich der Forderung auf Ersatz von Verdienstentgang ist der Versicherungsfall also mit der Pensionierung des Klägers mit Ablauf des 31. 12. 2009 eingetreten. Da der Kläger die Rechtsschutzversicherung bei der Beklagten bereits im Jahr 2007 abgeschlossen hat, geht der Einwand der Vorvertraglichkeit hinsichtlich der Verdienstentgangsansprüche demnach ins Leere. Auch ein von der Revisionswerberin weiterhin behaupteter sog Zweckabschluss scheidet aus.
Zutreffend macht die Revisionswerberin hingegen geltend, dass eine Differenzierung hinsichtlich des Schmerzengeldanspruchs insofern vorzunehmen ist, als das diesem Anspruch zugrunde liegende Schadensereignis nicht erst die vorzeitige Pensionierung, sondern bereits die diese Pensionierung bedingende Gesundheitsschädigung darstellt. Hat doch diese Gesundheitsschädigung dem Kläger nach seinem Vorbringen jene Schmerzen verursacht, deren Ersatz er von seiner ehemaligen Arbeitgeberin verlangen will. Eine Beurteilung der Frage der Vorvertraglichkeit im Bezug auf den Schmerzengeldanspruch setzt daher die Kenntnis voraus, wann der Kläger krankheitsbedingt jene Schmerzen erlitten haben will, die ihm sein Arbeitgeber ersetzen soll. Zu Recht wird nun von der Revisionswerberin bemängelt, dass Feststellungen, die eine verlässliche Beurteilung dieser Frage erlaubten, von den Vorinstanzen nicht getroffen wurden. Unklar ist insbesondere geblieben, ob sich das Schmerzengeldbegehren des Klägers lediglich auf die Zeit nach dem Abschluss des Versicherungsvertrags beschränkt oder, was nach dem einen viele Jahre lang fortschreitenden Prozess behauptenden Klagsvorbringen näher liegend erscheint, sich auch auf Zeiträume davor bezieht. In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass Schmerzengeld nach stRsp grundsätzlich global zu bemessen ist und nicht in einzelne, bestimmten Verletzungen und Folgeerscheinungen zuzuordnende Teilbeträge zerlegt werden kann. Um über den Einwand der Vorvertraglichkeit in Bezug auf das Schmerzengeldbegehren entscheiden zu können, ist das Verfahren daher noch ergänzungsbedürftig. Das Erstgericht wird im aufgezeigten Sinn die Sache mit den Parteien zu erörtern und allenfalls die Sachverhaltsbasis hinsichtlich des Eintritts der Gesundheitsstörungen und der damit verbundenen Schmerzperioden zu verbreitern haben.