OGH: Zur Frage, ob der prozessualen Aufrechnungserklärung trotz ihres Eventualcharakters Priorität gegenüber der vom Prozessgegner zwar zeitlich später, jedoch unbedingt erklärten Aufrechnung zukommt
Die Aufrechnungseinrede im Prozess ist eine bedingte Erklärung, die erst und nur für den Fall wirksam wird, dass eine gerichtliche Entscheidung den Bestand der Hauptforderung bejaht; es ist nicht ersichtlich, warum nach prozessualer Aufrechnungseinrede eine außergerichtliche Aufrechnung durch den Kläger jedenfalls unzulässig sein sollte
§§ 1438 ff ABGB, § 391 ZPO
GZ 4 Ob 72/11h, 22.11.2011
OGH: Im Prozess kann die Aufrechnung als Schuldtilgungseinwand, der sich auf eine (vor oder während des Prozesses) bereits vollzogene (außergerichtliche) Aufrechnung stützt, oder durch prozessuale Aufrechnungseinrede geltend gemacht werden. Inhalt der prozessualen Aufrechnungseinrede ist die Einwendung einer Gegenforderung des Beklagten mit dem Ziel, die Aufrechnung mit der Klageforderung im Wege einer Gerichtsentscheidung über Bestand und Aufrechenbarkeit der Gegenforderung herbeizuführen. Die Tilgungswirkung der Eventualaufrechnung tritt erst mit Rechtskraft dieser Entscheidung ein.
Die Aufrechnungseinrede im Prozess ist demnach eine bedingte Erklärung, die erst und nur für den Fall wirksam wird, dass eine gerichtliche Entscheidung den Bestand der Hauptforderung bejaht.
Die außergerichtliche Aufrechnung wird unbedingt und ohne Rücksicht auf den Bestand der Hauptforderung erklärt, setzt also deren Anerkennung voraus und stellt ihr nur die Gegenbehauptung entgegen, dass sie wegen Schuldtilgung nicht mehr bestehe. Die Aufrechnungserklärung kann auch erst während des Verfahrens abgegeben werden.
Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass die (frühere) prozessuale Aufrechnungseinrede des Beklagten (noch) keine Tilgungswirkung entfalten konnte. Die beiden Forderungen standen sich seit Fälligkeit der zweiten Honorarforderung im August 2003 bis zur Verjährung 2006 aufrechenbar gegenüber. Die Klägerin war daher nicht gehindert, die Gegenforderung zeitlich nach deren prozessualer Geltendmachung durch materiell-rechtliche Aufrechnung zu tilgen.
Die ältere Rsp, wonach der Kläger, wenn eine Gegenforderung im Prozess zur Aufrechnung eingewendet wurde, nicht mehr durch Einschränkung der Klageforderung einseitig gegenaufrechnen kann, steht dem nicht entgegen. Aus den Entscheidungen 4 Ob 514/74, 8 Ob 17/77 und 7 Ob 535/81 ist keine Begründung dafür abzuleiten, warum nach prozessualer Aufrechnungseinrede eine außergerichtliche Aufrechnung durch den Kläger jedenfalls unzulässig sein sollte. 8 Ob 680/88 begründet die Unwirksamkeit der Gegenaufrechnung des Klägers mit dem Fehlen einer rechtswirksamen Aufrechnungserklärung.
Nach heutiger Auffassung wird die außergerichtliche (materiell-rechtlich wirksame) Aufrechnung als ein durch empfangsbedürftige Willenserklärung auszuübendes Gestaltungsrecht verstanden.
Im vorliegenden Fall erklärte die Klägerin mit Schreiben vom 10. 2. 2010 die Aufrechnung ihrer Forderungen mit der Honorarforderung des Beklagten, zog danach die von ihr nicht mehr bekämpfte Gegenforderung von ihrer noch strittigen Klageforderung ab und schränkte das Klagebegehren um den Betrag der Gegenforderung ein. Sie nahm damit nicht bloß eine prozessuale Gegenaufrechnung vor, sondern eine (unproblematische) materiell-rechtliche Aufrechnung mit Tilgungswirkung.
Dass die Forderung der Klägerin im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung verjährt war, hindert eine Aufrechnung nicht. Nach stRsp kann die Aufrechnung auch noch nach Ablauf der Verjährungsfrist erklärt werden, wenn die Forderungen im Zeitpunkt, in dem sie sich erstmals aufrechenbar gegenüberstanden, noch nicht verjährt waren.
Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die (im Zeitpunkt der Einbringung der Klage am 29. 9. 2006 bereits verjährte) Forderung der Klägerin auf Ersatz der Mehrkosten für die nachträgliche Herstellung einer ausreichenden Belüftung der Reithalle von insgesamt 31.080 EUR der Honorarforderung des Beklagten über insgesamt 26.900,38 EUR seit August 2003 aufrechenbar gegenüberstand. Die von der Klägerin nachträglich erklärte Aufrechnung mit ihrer Forderung gegen jene des Beklagten führte somit zur Tilgung der Forderung des Beklagten.
Ein Wahlrecht des Beklagten nach § 1416 ABGB kommt nicht zum Tragen, weil seine prozessuale Aufrechnungseinrede als bedingte Erklärung (noch) nicht zur Tilgung führen konnte.