20.12.2011 Verfahrensrecht

OGH: Ablehnung von Richtern wegen Befangenheit gem § 19 JN – Selbstmeldung des Richters

Nur ausnahmsweise wird bei Selbstmeldung des Richters eine Befangenheit nicht gegeben sein, etwa bei missbräuchlicher Anzeige einer Befangenheit oder wenn die angegebenen Umstände ihrer Natur nach nicht geeignet sind, eine Befangenheit zu begründen


Schlagworte: Ablehnung von Richtern, Befangenheit, Selbstmeldung, missbräuchliche Anzeige
Gesetze:

§§ 19 ff JN

GZ 4 Ob 186/11y, 22.11.2011

 

OGH: Dem Richter, dessen Selbstmeldung wegen Befangenheit nicht stattgegeben wurde, steht dagegen ein Rekursrecht zu. Die grundsätzlich erforderliche Anwaltsunterschrift entfällt gem § 28 Abs 1 ZPO.

 

Bei der Prüfung der Unbefangenheit, im Interesse des Ansehens der Justiz, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Es genügt, dass eine Befangenheit mit Grund befürchtet werden muss - auch wenn der Richter tatsächlich unbefangen sein sollte - oder dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte. Der Anschein, der Richter lasse sich bei der Entscheidung von anderen als rein sachlichen Gesichtspunkten leiten, soll jedenfalls vermieden werden. Es ist im Allgemeinen ein Befangenheitsgrund anzunehmen, wenn ein Richter selbst seine Befangenheit anzeigt. Nur ausnahmsweise wird bei Selbstmeldung des Richters eine Befangenheit nicht gegeben sein, etwa bei missbräuchlicher Anzeige einer Befangenheit oder wenn die angegebenen Umstände ihrer Natur nach nicht geeignet sind, eine Befangenheit zu begründen.

 

In der Entscheidung 1 Nc 68/04x führte der OGH aus, dass ein Naheverhältnis zu einem Richter, dessen Entscheidung zu überprüfen sei, regelmäßig keinen Befangenheitsgrund darstelle, sofern der überprüfende Richter nicht selbst seine Befangenheit anzeige. Dies müsse auch für ein Verwandtschaftsverhältnis gelten, das nicht so eng sei, dass der überprüfende Richter selbst Bedenken dagegen habe, eine unvoreingenommene Entscheidung treffen zu können.

 

Im vorliegenden Fall hat der Rechtsmittelwerber in seiner Befangenheitserklärung ausdrücklich bekannt gegeben, dass er sich subjektiv befangen erachte. Das OLG Wien wertete diese Bekanntgabe nicht als konkret genug, um eine tatsächliche Befangenheit zu erkennen. Dem ist entgegen zu halten, dass bei der Selbstanzeige einer Befangenheit durch den Richter unter Beachtung des Interesses am Ansehen der Justiz kein strenger Prüfungsmaßstab anzulegen und grundsätzlich die Befangenheit zu bejahen ist. Es liefe dem Interesse der Parteien an einem objektiven Verfahren zuwider, wenn ihre Angelegenheit von einem Richter entschieden würde, der selbst Bedenken dagegen äußert, eine unvoreingenommene Entscheidung treffen zu können. Im konkreten Fall liegen weder Anzeichen von einem Missbrauch des Rechts auf Geltendmachung der Befangenheit vor (der Rechtsmittelwerber „erspart“ sich durch die Befangenheitsanzeige keine Aktenerledigung, da ihm bei Feststellung der Befangenheit ein anderer Berufungsakt zur Berichterstattung zugeteilt würde), noch sind die angegebenen Umstände ihrer Natur nach ungeeignet, eine Befangenheit zu begründen. Die angezeigte Befangenheit ist daher (im Zweifel) zu bejahen.