08.11.2011 Wirtschaftsrecht

OGH: Auslegung einer GmbH-Satzung

Bei einer Auslegung einer echten (notwendig materiellen) Satzungsregelung ist weder danach zu differenzieren, ob an dem Rechtsstreit die Gründungsgesellschafter oder die Gesellschafter, die die Satzung änderten, beteiligt sind, noch danach, ob die Gesellschaft personalistisch oder kapitalistisch strukturiert ist


Schlagworte: Gesellschaftsrecht, GmbH, Satzung, Auslegung, korporative Regelungen
Gesetze:

§ 4 GmbHG, § 914 ABGB, § 6 ABGB, § 7 ABGB

GZ 6 Ob 202/10i, 13.10.2011

 

OGH: Nach der jüngeren, bereits als verfestigt anzusehenden Rsp des OGH sind im materiellen Sinn zu qualifizierende korporative Regelungen des Gesellschaftsvertrags einer Gesellschaft mbH nach deren Wortlaut und Zweck in ihrem systematischen Zusammenhang objektiv (normativ) auszulegen, also nicht nach Maßgabe der Vorschriften über die Auslegung von Rechtsgeschäften (§§ 914, 915 ABGB). Damit zum Teil in Widerspruch stehende Entscheidungen und Lehrmeinungen sind durch die aktuelle Rsp des OGH überholt. Das bedeutet, dass die Absicht der Gründungsgesellschafter oder der Gesellschafter, die die Satzungsänderung beschlossen haben, bei der Auslegung nicht zu beachten ist, es sei denn die Parteienabsicht lässt sich objektiv aus der publizierten Satzung, allenfalls auch unter Heranziehung früherer Fassungen, ermitteln. Auf subjektive Umstände, Motive und Nebenabreden kommt es nicht an. Der erkennende Senat ließ zuletzt in der Entscheidung 6 Ob 99/11v nach Darlegung des Stands der Rsp und der Lehrmeinungen die Frage offen, ob bei einem Streit bloß unter Gründungsgesellschaftern (und solchen Gesellschaftern, die den Gesellschaftsvertrag gemeinsam änderten) der körperschaftliche Wille gem § 914 ABGB nach der wahren Parteiabsicht ermittelt werden soll. Die Frage, ob so auch bei einer personalistisch strukturierten Gesellschaft verfahren werden soll, behandelt die Entscheidung nicht. Beide Fragen sind dahin zu beantworten, dass bei einer - wie im Anlassfall vorzunehmenden - Auslegung einer echten (notwendig materiellen) Satzungsregelung der überwiegenden Tendenz der jüngeren Rsp und der Auffassung von Reich-Rohrwig, von Rüffler, und von Koppensteiner/Rüffler folgend weder danach zu differenzieren ist, ob an dem Rechtsstreit die Gründungsgesellschafter oder die Gesellschafter, die die Satzung änderten, beteiligt sind, noch danach, ob die Gesellschaft personalistisch oder kapitalistisch strukturiert ist. Hiefür spricht neben dem weithin gebilligten Grundsatz der einheitlichen Auslegung des Gesellschaftsvertrags va, dass das Gesetz durch die Anordnung der Firmenbuchpublizität der Satzung zu erkennen gibt, dass es notwendigerweise in die Satzung aufzunehmende Bestimmungen als grundsätzlich drittbedeutsam gewürdigt wissen will.