OGH: Masseforderungen gem § 46 KO und zur Frage, ob, allenfalls wie, die Einkommensteuer eines Kalenderjahres auf Zeiträume vor und nach Konkurseröffnung aufzuteilen sind
Für die insolvenzrechtliche Qualifikation von Abgabenforderungen ist nicht das Entstehen der Steuerschuld auf der Grundlage eines abgabenrechtlichen relevanten Sachverhalts, sondern die Verwirklichung dieses Sachverhalts selbst maßgeblich; auf die Fälligkeit kommt es nicht an; die Progressionsproblematik wird dadurch vermieden, dass die Gesamtjahressteuerschuld aliquot nach dem Verhältnis der Bemessungsgrundlage für Konkursforderungen (Einnahmen, die vor Konkurseröffnung erzielt wurden abzüglich der Ausgaben dieses Zeitraums) zur Bemessungsgrundlage für Masseforderungen (erzielte Gewinne ab Konkurseröffnung) aufgeteilt wird
§ 46 KO
GZ 3 Ob 103/11k, 24.08.2011
OGH: Ob eine Forderung Masseforderung ist, hat - als Hauptfrage - ausschließlich das Gericht nach Maßgabe der Bestimmungen des Insolvenzrechts zu entscheiden.
Dieser Grundsatz gilt nach völlig hA auch für die insolvenzrechtliche Einordnung von Abgabenforderungen.
Im Abgabenverfahren ist hingegen über Bestand und Höhe der Steuerpflicht zu entscheiden.
Dem Masseverwalter wird nach der Rsp ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung zugebilligt, dass eine als Masseforderung geltend gemachte Forderung nicht zu den nach § 46 KO vorrangig zu befriedigenden Ansprüchen gehört. Auch gegen die Zulässigkeit einer negativen Feststellungsklage bestehen keine Bedenken.
Der im Anlassfall noch anwendbare (§ 273 Abs 1 IO idF BGBl I 29/2010) § 46 Abs 1 Z 2 KO legt fest, dass alle Auslagen, die mit der Erhaltung, Verwaltung und Bewirtschaftung der Masse verbunden sind, einschließlich der Forderungen von Fonds und anderen gemeinsamen Einrichtungen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber, sofern deren Leistungen Arbeitnehmern als Entgelt oder gleich diesem zu Gute kommen, sowie der die Masse treffenden Steuern, Gebühren, Zölle, Beiträge zur Sozialversicherung und anderen öffentlichen Abgaben, wenn und soweit der die Abgabepflicht auslösende Sachverhalt während des Konkursverfahrens verwirklicht wird, Masseforderungen begründen.
Gem § 2 Abs 1 EStG ist der Einkommensteuer das Einkommen zugrunde zu legen, dass der Steuerpflichtige innerhalb eines Kalenderjahres bezogen hat. Als Einkommen definiert § 2 Abs 2 EStG den Gesamtbetrag der Einkünfte aus den im Abs 3 aufgezählten Einkunftsarten nach Ausgleich mit Verlusten, die sich aus einzelnen Einkunftsarten ergeben, und nach Abzug der Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen sowie bestimmter Freibeträge.
Gem § 4 Abs 2 lit a Z 2 BAO entsteht der Abgabenanspruch, soweit er nicht durch Vorauszahlung entstanden ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, für das die Veranlagung vorgenommen wird oder wenn die Abgabepflicht im Laufe eines Veranlagungszeitraums erlischt, mit dem Zeitpunkt des Erlöschens. Für die Vorauszahlungen bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer entsteht der Abgabenanspruch gem § 4 Abs 2 lit a Z 1 BAO mit Beginn des Kalendervierteljahres, für das die Vorauszahlungen zu entrichten sind, oder mit der Begründung der Abgabepflicht, wenn diese erst im Lauf des Kalenderjahres begründet wird.
Aus der seit dem IRÄG 1982 in Geltung stehenden Formulierung in § 46 Abs 1 Z 2 KO ist abzuleiten, dass es nicht auf die Fälligkeit oder das Entstehen der Steuerschuld auf der Grundlage eines abgabenrechtlich relevanten Sachverhalts ankommt; somit eine formale Anknüpfung an § 4 BAO nicht stattzufinden hat.
Unter Berufung auf § 4 BAO und darauf, dass sich die einzelnen Geschäftsvorfälle, die letztlich in ihrer Gesamtheit der Einkommensteuerbemessung zu Grunde zu legen sind, weder theoretisch noch praktisch als Einzelgeschehnisse erfassen ließen, die sich zur Gänze entweder vor oder nach Konkurseröffnung ereignen, setzt jedoch der VwGH den Zeitpunkt der Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhalts gem § 46 Abs 1 Z 2 KO mit jenem der Entstehung des Abgabenanspruchs iSd § 4 Abs 2 BAO gleich.
Im Gegensatz dazu vertritt der OGH in stRsp die Auffassung, dass für die insolvenzrechtliche Qualifikation von Abgabenforderungen nicht das Entstehen der Steuerschuld auf der Grundlage eines abgabenrechtlich relevanten Sachverhalts, sondern die Verwirklichung dieses Sachverhalts selbst maßgeblich ist. Auf die Fälligkeit kommt es nicht an.
Diese Auffassung wird von der hL gebilligt.
An der Auffassung, dass für die insolvenzrechtliche Qualifikation nicht das Entstehen der Steuerschuld, sondern die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhalts maßgeblich ist, ist auch für die hier zu beurteilende Frage der insolvenzrechtlichen Qualifikation der Einkommensteuer für das Jahr der Verfahrenseröffnung festzuhalten:
Dieses Ergebnis entspricht zunächst den erklärten Intentionen des Gesetzgebers des IRÄG 1982, die auch im Gesetzestext („wenn und soweit der die Abgabepflicht auslösende Sachverhalt während des Konkursverfahrens verwirklicht wird“) Niederschlag finden.
Die gegenteilige Auffassung führt dazu, dass die veranlagte Einkommensteuer des Konkurseröffnungsjahres - vernachlässigt man zunächst die Einkommensteuervorauszahlungen - unabhängig vom Datum der Konkurseröffnung stets nur Masseforderung sein kann. Erfolgt zB die Konkurseröffnung am 31. Dezember, ist die Einkommensteuer für das Jahr 2009 Masseforderung. Wird hingegen der Konkurs am 2. Jänner des Folgejahres eröffnet, wäre nach dieser Betrachtungsweise die gesamte Einkommensteuer für das Jahr 2009 Konkursforderung. Es liegt auf der Hand, dass das bloße Abstellen auf den Zeitpunkt der Jahresgewinnermittlung zu wenig sachgerechten und mit den Prinzipien des Insolvenzrechts nicht in Einklang zu bringenden Ergebnissen führt.
Diesem grundsätzlichen Ergebnis steht auch die vom VwGH in seiner gegenteiligen Rsp hervorgehobene Zuordnungsproblematik nicht entgegen: Die vom Abgabengesetzgeber angeordnete Zuordnung steuerrechtlich relevanter Geschäftsvorfälle zu einem Kalenderjahr kann zu eben den vom VwGH aufgezeigten Abgrenzungsproblemen führen wie die Trennung der Geschäftsvorfälle während des Konkurseröffnungsjahres. Es liegt kein konkursspezifisches, sondern ein jeder zeitraumbezogenen Abgabenfestsetzung immanentes Problem vor. Ist es möglich, die Geschäftsvorfälle eines Kalenderjahres - den Abgabenvorschriften entsprechend - von jenen des folgenden oder vorangegangenen Kalenderjahres zu trennen, gilt dies grundsätzlich ebenso für die Trennung von Geschäftsvorfällen innerhalb eines Kalenderjahres. Allenfalls dennoch auftretende Zuordnungsprobleme müssen dabei in Kauf genommen und einer möglichst sachgerechten Lösung zugeführt werden; sie rechtfertigen jedoch keine Vorgangsweise, die entgegen § 46 Abs 1 Z 2 KO die insolvenzrechtliche Qualifikation der Abgabenforderung nur nach dem formalen Anknüpfungspunkt des Entstehens der Steuerschuld ohne Rücksicht darauf vornimmt, wann sich der für das Entstehen der Steuerschuld maßgebliche Sachverhalt verwirklicht hat.
Die in der Revision hervorgehobene Progressionsproblematik stellt ebenfalls kein grundsätzliches Hindernis dar, sie ist nur bei Ermittlung der Zuordnungskriterien zu berücksichtigen.
Richtig ist, dass der OGH davon ausgeht, dass es bei der Einordnung einer Abgabenforderung als Masseforderung zu bleiben hat, wenn der Gesetzgeber die Forderung des Abgabengläubigers so fasst, dass diese eine Vorverlagerung des die Abgabepflicht auslösenden relevanten Sachverhalts auf einen Zeitpunkt vor Konkurseröffnung nicht zulässt.
Um eine solche Vorverlagerung geht es hier aber nicht. Der Grundsatz ist daher nicht anzuwenden:
Gemeint sind abgabenrechtliche Regelungen, die für das Entstehen der Steuerschuld die Verwirklichung eines (weiteren) Sachverhaltsmerkmals fordern, ohne das der Steuertatbestand an sich nicht erfüllt ist (zB Ausscheiden des Schuldners als Mitunternehmer als gem § 24 Abs 2 letzter Satz EStG maßgeblicher abgabenrechtlicher Sachverhalt - 8 Ob 92/02s; erst Nutzungsänderung löste steuerbaren NoVAvorgang aus - 8 Ob 10/98y).
Davon ist der Anlassfall zu unterscheiden:
§ 4 BAO stellt lediglich auf das Entstehen des Abgabenanspruchs an sich ab, während der relevante Sachverhalt, bereits davor, nämlich durch den erzielten Gewinn (§ 2 Abs 4 Z 1 iVm § 2 Abs 3 Z 2 EStG), verwirklicht wurde.
Ausgehend davon, dass aus den dargelegten Gründen eine Aufteilung der Einkommensteuerschuld in eine Konkurs- und Masseforderung bei unterjährig eröffnetem Konkurs erforderlich ist, bedarf es einer Auseinandersetzung damit, wie diese Aufteilung zu erfolgen hat.
Die Progressionsproblematik wird dadurch vermieden, dass die Gesamtjahressteuerschuld aliquot nach dem Verhältnis der Bemessungsgrundlage für Konkursforderungen (Einnahmen, die vor Konkurseröffnung erzielt wurden abzüglich der Ausgaben dieses Zeitraums) zur Bemessungsgrundlage für Masseforderungen (erzielte Gewinne ab Konkurseröffnung) aufgeteilt wird.
Die mit Beginn des jeweiligen Kalendervierteljahres (§ 4 Abs 2 lit a Z 1 BAO) entstehenden Einkommensteuervorauszahlungen sind insolvenzrechtlich den Abgabenforderungen mit derselben insolvenzrechtlichen Qualifikation gegenüberzustellen. Die Vorauszahlungen sind daher mit dem Teil der Einkommensteuerschuld zu verrechnen, der zur selben Vermögensmasse gehört, aus der die Vorauszahlungen entrichtet wurden.
Besondere Zuordnungsprobleme - etwa die Frage der ertragsteuerrechtlichen Behandlung der Aufdeckung stiller Reserven, von Sonderausgaben oder die Frage, ob die konkursrechtliche Einstufung einer Abgabe auch davon abhängt, ob ein Zufluss liquider Mittel oder vergleichbarer vermögenswerter Rechte in die Masse erfolgte - sind hier nicht ersichtlich: Die Revision verweist nur allgemein auf die „Zuordnungsproblematik“, ohne zu behaupten, dass die vom Kläger vorgenommene Aufteilung - die auf den bis zur Konkurseröffnung und den danach erzielten Gewinn abstellt - zu einem unsachgerechten Ergebnis führt. Ein näheres Eingehen auf mögliche Zuordnungsmethoden - Zuordnung auf Basis des Tragfähigkeits- oder auf Basis des Verursachungsgedankens - erübrigt sich daher.