OGH: Zustandekommen eines Vertrags und objektiver Erklärungswert einer Willensäußerung
Maßgebend für den Tatbestand des versteckten Dissenses ist, dass die Erklärungen der Parteien in ihrem objektiven Sinn „aneinander vorbeigehen“, ohne dass dies den Parteien bewusst wird; entscheidend ist also, ob die sich äußerlich deckenden Erklärungen objektiv in einem einander nicht entsprechenden Sinn zu verstehen sind
§ 861 ABGB, § 914 ABGB, § 915 ABGB, § 869 ABGB
GZ 7 Ob 14/11a, 06.07.2011
OGH: Die Einwilligung in einem Vertrag muss frei, ernstlich, bestimmt und verständlich erklärt werden (§ 861 ABGB). Für das Zustandekommen eines Vertrags ist die Einigung der Vertragsteile über den Vertragsinhalt und die ausdrückliche oder stillschweigende Erklärung des Abschlusswillens erforderlich. Eine Einigung der Parteien über den Vertragsinhalt ist erst anzunehmen, wenn über sämtliche Vertragsbestimmungen Einigkeit besteht. Solange über einzelne Vertragsbestimmungen Fragen noch offen sind, ist der Vertrag nicht zustande gekommen. Ein synallagmatischer Vertrag erfordert somit Einigung der Parteien über Leistung und Gegenleistung. Sofern eine dieser Leistungen in einem zu entrichtenden Preis besteht, anerkennt die Rsp, dass die Vereinbarung eines bestimmbaren Preises genügt, der Preis also nicht schon vor Abschluss des Vertrags ziffernmäßig festgestellt werden muss. Bestimmt ist die Erklärung also, wenn ihr die wesentlichen Rechtsfolgen, die der Erklärende anstrebt, entnehmbar sind, wobei eindeutige Bestimmbarkeit genügt. Die aus einer Erklärung abzuleitenden Rechtsfolgen sind nicht danach zu beurteilen, was der Erklärende sagen wollte oder was der Erklärungsempfänger darunter verstanden hat, sondern danach, wie die Erklärung bei objektiver Beurteilung der Sachlage zu verstehen war. Maßgeblich ist der objektive Erklärungswert einer Willensäußerung. Wird ein Versprechen unter anderen Bedingungen angenommen als es gegeben wurde, entsteht kein Vertrag. Dies gilt uneingeschränkt jedoch nur, wenn sich die Abweichung auf Hauptpunkte des Antrags bezieht. Bei Nebenpunkten kommt es nach hM darauf an, ob angenommen werden kann, dass der Vertrag auch ohne eine Bestimmung darüber geschlossen worden wäre, was dann der Fall sein wird, wenn die Nebenpunkte - wie bei der Punktation - durch Gesetz oder Verkehrssitte ergänzt werden können und von den Parteien kein Vorbehalt einer diesbezüglichen Einigung gemacht wurde. Maßgebend für den Tatbestand des versteckten Dissenses ist, dass die Erklärungen der Parteien in ihrem objektiven Sinn „aneinander vorbeigehen“, ohne dass dies den Parteien bewusst wird. Entscheidend ist also, ob die sich äußerlich deckenden Erklärungen objektiv in einem einander nicht entsprechenden Sinn zu verstehen sind.
Die Bezeichnung eines Vertrags durch die Parteien ist jedenfalls dann für die rechtliche Beurteilung des Vertragsverhältnisses nicht entscheidend, wenn ein mit der Bezeichnung nicht in Einklang zu bringender Vertragsinhalt und eine auf diesen Vertragsinhalt gerichtete Parteiabsicht festgestellt sind.
Das Vertragswerk wird zwar als „verbindlicher Vorvertrag“ bezeichnet, doch fehlt ihm, damit es als Vorvertrag überhaupt „verbindlich“ sein könnte, die Zeitangabe, wann die Abschließung des Hauptvertrags erfolgen sollte. Auf einen Hauptvertrag wird vielmehr nicht Bezug genommen, es ist auch nicht ersichtlich, welchem Zweck ein nachfolgender Hauptvertrag dienen hätte können. Gerade aus dem Wort „verbindlich“ und der Tatsache, dass der Kläger bereits am 18. 6. 2006, dem Tag der Vertragsunterfertigung, den Betrieb an den Beklagten übergeben sollte und dies auch einen Tag nachher tat, ergibt sich, dass sich die Parteien durch die Unterfertigung des Schriftstücks zur Leistung selbst verpflichten wollten. Der Vertrag wurde unmittelbar dadurch in Vollzug gesetzt, dass dem Beklagten die Schlüssel zum Lokal übergeben wurden und der Beklagte das Geschäftslokal seither betreibt. Auch wenn der Beklagte davon ausging, dass das Schriftstück, das er unterfertigte, „nur“ ein Vorvertrag sei, so meinte er damit nur, dass der „Hauptvertrag“ einen Monat später, nach Veranlassung der nötigen Schritte für die Betriebsübernahme, aufgesetzt werden sollte. Ein Interesse am Abschluss eines wortgleichen zweiten Vertrags ist nicht erkennbar. Der Beklagte musste nach dem Vertragstext davon ausgehen, dass er sich bereits mit der Unterfertigung des Vertragstextes verpflichtete und alles, was geregelt werden sollte, damit auch geregelt wurde. Aus den Feststellungen geht auch nicht hervor, dass er den als „verbindlich“ bezeichneten Vertrag nur bedingt oder erst nach Aushandlung bestimmter Vertragspunkte hätte abschließen wollen. Der Beklagte übernahm ja den Betrieb am Tag der Unterfertigung des Vertrags. Aus dem Vertragstext des „verbindlichen Vorvertrags“ ist kein wie immer gearteter Hinweis zu erkennen, dass es sich nicht bereits um die endgültige Vereinbarung hinsichtlich der Übergabe des Betriebs gegen Entgelt handeln sollte. Auch insoweit liegen also übereinstimmende Willenserklärungen vor, ein Dissens ist nicht erkennbar.