OGH: Verhandlungsgehilfe - zur irrtumsrechtlichen Gehilfenzurechnung
Der den Irrtum Veranlassende muss nicht Stellvertreter des Geschäftsherrn, von diesem aber jedenfalls mit der Verhandlungsführung beauftragt sein; derjenige, der sich bei der Führung von Vertragsverhandlungen eines derartigen Gehilfen bedient, haftet für einen von diesem veranlassten Irrtum wie für einen, den er selbst veranlasst hätte; dem Geschäftsherrn ist auch die schuldhafte Verletzung einer - ihn selbst treffenden - vorvertraglichen Aufklärungspflicht durch den Gehilfen zuzurechnen, für die er gegenüber dem geschädigten Vertragspartner nach § 1313a ABGB einzustehen hat
§ 870 ABGB, § 871 ABGB, § 875 ABGB; § 1313a ABGB
GZ 2 Ob 176/10m, 22.06.2011
OGH: Nach hA ist eine Person, deren sich ein Teil im Rahmen von Vertragsverhandlungen als Gehilfe bedient, nicht Dritter iSd § 875 ABGB. Als solche Person kommt in Betracht, wer auf der Seite des Erklärungsgegners steht und maßgeblich am Zustandekommen des Geschäfts mitgewirkt hat, sofern ihre Erklärung zu ihrem Aufgabenbereich gehört. Der den Irrtum Veranlassende muss nicht Stellvertreter des Geschäftsherrn, von diesem aber jedenfalls mit der Verhandlungsführung beauftragt sein. Derjenige, der sich bei der Führung von Vertragsverhandlungen eines derartigen Gehilfen bedient, haftet für einen von diesem veranlassten Irrtum wie für einen, den er selbst veranlasst hätte. Ein Vertragspartner, der - wenn auch ohne Vorsatz - durch die Zwischenschaltung einer Hilfsperson das Gegenüber des ihm sonst zustehenden (irrtumsrechtlichen) Schutzes berauben würde, soll eben so behandelt werden, als wäre er selbst tätig geworden. Er hat die Anfechtung hinzunehmen, auch wenn er von der Irreführung nichts wusste. Dem Geschäftsherrn ist auch die schuldhafte Verletzung einer - ihn selbst treffenden - vorvertraglichen Aufklärungspflicht durch den Gehilfen zuzurechnen, für die er gegenüber dem geschädigten Vertragspartner nach § 1313a ABGB einzustehen hat. In mehreren Entscheidungen des OGH wurden Immobilienmakler als Verhandlungsgehilfen ihrer Auftraggeber angesehen.
Im vorliegenden Fall hatte der Beklagte mit dem Kläger keinen direkten Kontakt. Er überließ es vielmehr der Nebenintervenientin, dem Kläger die erforderlichen Informationen über die Beschaffenheit des Kaufobjekts zu erteilen, mit ihm die Vertragsbedingungen auszuhandeln und den Vertragsabschluss vorzubereiten. Unter diesen Umständen ist von der zumindest schlüssigen Erteilung eines Verhandlungsauftrags an die Nebenintervenientin auszugehen, die auch im Rahmen ihres Aufgabenbereichs tätig wurde. Erteilte sie dem Kläger unvollständige oder unrichtige Auskünfte, so konnten diese geeignet sein, eine Fehlvorstellung des Klägers über die Beschaffenheit des Kaufobjekts herbeizuführen. Die Verursachung eines relevanten Willensmangels des Klägers durch die Nebenintervenientin wäre - ungeachtet des Umstands, dass sie zu beiden Vertragsteilen in vertraglichen Beziehungen stand - dem Beklagten als Geschäftsherrn zuzurechnen.