OGH: Zahlungsdienstegesetz und Änderungen des Rahmenvertrages – zur Frage, ob vom Ausnahmetatbestand des § 29 Abs 2 ZaDiG ausschließlich die Anpassung von Zinssätzen und Wechselkursen, oder ganz allgemein an den VPI geknüpfte Entgelterhöhungen erfasst sind
In allen nicht in § 29 Abs 2 Satz 1 ZaDiG angeführten Fällen (Anpassung von Zinssätzen und Wechselkursen) einer Änderung der Entgelte nach dem Abschluss des Rahmenvertrags muss die in § 29 Abs 1 ZaDiG vorgesehene (und zweifellos umständliche) Vorgangsweise eingehalten, also insbesondere die (ausdrückliche oder stillschweigende) Zustimmung des Zahlungsdienstnutzers eingeholt werden
§ 29 ZaDiG
GZ 3 Ob 107/11y, 06.07.2011
OGH: Das Zahlungsdienstegesetz (ZaDiG, BGBl I 2009/66) setzt die Zahlungsdienste-Richtlinie (ZahlungsdiensteRL 2007/64/EG vom 13. November 2007, ABl 2007 L 319/1) in innerstaatliches Recht um.
Ziel der ZahlungsdiensteRL ist es, einen europaweit einheitlichen rechtlichen Rahmen für Zahlungsdienste zu schaffen und gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Zahlungssysteme zu gewährleisten. Zu diesem Zweck weicht die ZahlungsdiensteRL vom Prinzip der Mindestharmonisierung ab. Mitgliedstaaten sollen keine von den Vorgaben der Richtlinie abweichende Anforderungen für Zahlungsdienstleister (Grundsatz der Vollharmonisierung) festlegen. Eine Abweichung ist bei der Richtlinienumsetzung nach Art 86 ZahlungsdiensteRL nur dort zulässig, wo die Richtlinie dies explizit vorsieht.
Zahlungsvorgänge, die Gegenstand eines Rahmenvertrags (etwa eines Girokontenvertrags oder eines Kreditkartenvertrags; s § 3 Z 12 ZaDiG) sind, werden in der ZahlungsdiensteRL in den Artikel 40 ff geregelt. Neben diversen Informationspflichten (Art 41 - 43 der Richtlinie) ist in Art 44 ZahlungsdiensteRL unter der Überschrift „Änderungen der Vertragsbedingungen“ vorgesehen, dass der Zahlungsdienstleister Änderungen des Rahmenvertrags spätestens zwei Monate vor dem geplanten Zeitpunkt ihrer Anwendung vorschlägt (Abs 1), wobei unter bestimmten Voraussetzungen Schweigen des Zahlungsdienstnutzers als Zustimmung gilt. Nach Abs 2 können „Änderungen der Zinssätze oder der Wechselkurse … unmittelbar und ohne vorherige Benachrichtigung angewandt werden, sofern dieses Recht im Rahmenvertrag vereinbart wurde ...“.
Die Umsetzung des Art 44 der ZahlungsdiensteRL erfolgte in Österreich in § 29 ZaDiG („Änderungen des Rahmenvertrags“).
Nach § 29 Abs 1 ZaDiG hat der Zahlungsdienstleister dem Zahlungsdienstnutzer Änderungen des Rahmenvertrags spätestens zwei Monate vor dem geplanten Zeitpunkt ihrer Anwendung in einer bestimmten Weise vorzuschlagen, wobei Schweigen unter gewissen Voraussetzungen wieder als Zustimmung gilt. In § 29 Abs 2 Satz 1 ZaDiG ist vorgesehen, dass „Änderungen der Zinssätze oder der Wechselkurse ... unmittelbar und ohne vorherige Benachrichtigung angewandt werden“ können, sofern dieses Recht im Rahmenvertrag vereinbart wurde und die Änderungen auf den vereinbarten Referenzzinssätzen oder Referenzwechselkursen beruhen.
Nach den Gesetzesmaterialien setzt § 29 Abs 2 ZaDiG Art 44 Abs 2 der ZahlungsdiensteRL um. „Der zweite Satz bezieht sich nur auf die Änderung des tatsächlichen Zinssatzes, nicht auf die der Wechselkurse, da sich letztere täglich ändern können und eine sofortige Information nicht tunlich wäre. Ebenso wenig bezieht sich der zweite Satz auf den Referenzzinssatz, sondern auf den tatsächlichen Zinssatz. Die Geltung und Wirksamkeit von § 6 Abs 1 Z 5 KSchG über die Ausgestaltung von Zinsgleitklauseln bleibt von dieser Regelung unberührt. In diesem Rahmen ist auch die Anpassung der Konto- und Zahlungsverkehrsentgelte an den Verbraucherpreisindex ohne Zustimmung des Kunden weiterhin zulässig.“
Während das Berufungsgericht die Ansicht vertritt, dass die Bezugnahme auf Änderungen der Wechselkurse und der Zinssätze in § 29 Abs 2 ZaDiG abschließend ist und daher Anpassungen an den Verbraucherpreisindex nur bei Einhaltung der in § 29 Abs 1 ZaDiG vorgesehenen Vorgangsweise zulässig seien, geht die beklagte Partei davon aus, dass zum einen bei einer solchen Anpassung gar keine unter § 29 Abs 1 zu subsumierende Änderung des Rahmenvertrags gegeben sei; zum anderen liege eine planwidrige Lücke vor, die entsprechend Z 2 lit d des Anhangs der Vertragsklausel-Richtlinie 93/13/EWG in der Form zu schließen sei, dass Indexklauseln weiterhin zulässig seien.
§ 29 ZaDiG weist - ebenso wie Art 44 der ZahlungsdiensteRL - insofern eine gewisse Widersprüchlichkeit auf, als die Überschrift auf „Änderungen des Rahmenvertrags“ Bezug nimmt (in der Richtlinie „Änderungen der Vertragsbedingungen“); in Abs 2 werden dagegen - in mehr oder minder wörtlicher Übereinstimmung mit Art 44 der ZahlungsdiensteRL - zwei Fälle angeführt, die keine Änderung des Rahmenvertrags bewirken, sondern die Umsetzung einer vorweg (im Rahmenvertrag) vereinbarten Anpassung der Zinssätze oder der Wechselkurse betreffen.
Zu beachten ist, dass Art 30 Abs 3 Satz 1 ZahlungsdiensteRL „einzelstaatliche Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie 87/102/EWG unberührt“ lässt. Der Verweis bezieht sich auf die Verbraucherkredit-Richtlinie 1987 und geht nun im Hinblick auf deren Aufhebung mit Wirkung vom 12. Mai 2010 gem Art 29 der Verbraucherkredit-Richtlinie 2008/48/EG ins Leere. Allerdings ist nach wie vor von einem umfassenden Vorrang des Verbraucherkreditrechts gegenüber der ZahlungsdiensteRL auszugehen.
Die Verbraucherkredit-Richtlinie 2008/48/EG verlangt in ihrem Art 10 Abs 2 lit k, dass gegebenenfalls die Entgelte für die Kontoführung und die Bedingungen, unter denen diese Entgelte geändert werden können, im Kreditvertrag anzuführen sind. In Österreich wurde diese Vorgabe in § 9 Abs 2 Z 11 VKrG umgesetzt. Daraus ist zu erschließen, dass zumindest nach dem Verbraucherkreditrecht die Möglichkeit einer Änderung der Kontoentgelte im Rahmenvertrag vorgesehen werden kann.
Allerdings ist damit keineswegs eine zwingende Aussage darüber getroffen, dass eine Anpassung der Entgelte für die Kontoführung nicht der in § 29 Abs 1 ZaDiG vorgesehenen Vorgangsweise bedürfte.
Der bereits erwähnte Umstand, dass in § 29 Abs 2 Satz 1 ZaDiG ausdrücklich zwei Fälle angeführt sind, in denen eine Änderung von im Rahmenvertrag grundgelegten Bedingungen ohne Einhaltung des in Abs 1 vorgesehenen Verfahrens möglich ist, spricht vielmehr dafür, dass die Überschrift „Änderungen des Rahmenvertrags“ im Vergleich zum Wortlaut der Bestimmung selbst zu eng gefasst wurde, werden doch auch Vorweg-Änderungsermächtigungen grundsätzlich unter diese „Änderungen“ subsumiert, aber in zwei Fällen ohne das Verfahren nach Abs 1 zugelassen. Hinweise darauf, dass es sich nur um eine demonstrative Aufzählung handelt, gibt es im Gesetzeswortlaut selbst nicht, ebenso wenig solche auf eine planwidrige Unvollständigkeit, geht doch auch die Richtlinie genau von denselben Prämissen aus. Daraus ist zu schließen, dass - neben unmittelbaren Änderungen des Rahmenvertrags - auch vorweg vereinbarte Ermächtigungen zu einseitigen Anpassungen oder Änderungen der vertraglichen Bedingungen dem Regime des § 29 Abs 1 ZaDiG unterliegen, sofern nicht einer der beiden ausdrücklich angeführten Ausnahmefälle vorliegt.
Damit ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichts zu bestätigen, dass in allen nicht in § 29 Abs 2 Satz 1 ZaDiG angeführten Fällen (Anpassung von Zinssätzen und Wechselkursen) einer Änderung der Entgelte nach dem Abschluss des Rahmenvertrags die in § 29 Abs 1 ZaDiG vorgesehene (und zweifellos umständliche) Vorgangsweise eingehalten, also insbesondere die (ausdrückliche oder stillschweigende) Zustimmung des Zahlungsdienstnutzers eingeholt werden muss. Die oben zitierten Darlegungen in den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage haben im Wortlaut des Gesetzes keinen Niederschlag gefunden.