OGH: Beweislast in Sozialrechtssachen (iZm Verletzung der Mitwirkungspflicht)
In Sozialrechtssachen ist - abgesehen von den besonders geregelten Fällen des § 87 Abs 4 ASGG - von der Geltung der allgemeinen Grundsätze für die (objektive) Beweislastverteilung auszugehen; die schuldhafte Verletzung der Mitwirkungspflicht ist vom beklagten Versicherungsträger zu behaupten und zu beweisen; anderes gilt, wenn die Möglichkeit der Geringhaltung des Schadens naheliegt und es sich um Umstände handelt, die allein in der Sphäre des Klägers liegen
§ 87 Abs 4 ASGG, §§ 266 ff ZPO
GZ 10 ObS 58/11v, 28.06.2011
OGH: Nach stRsp ist in Sozialrechtssachen - abgesehen von den besonders geregelten Fällen des § 87 Abs 4 ASGG - von der Geltung der allgemeinen Grundsätze für die (objektive) Beweislastverteilung auszugehen. Danach gilt die Grundregel, dass jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Normen zu beweisen hat. Das heißt, dass jeder, der ein Recht für sich in Anspruch nimmt, die rechtsbegründenden Tatsachen beweisen muss. Wer sich dagegen darauf beruft, dass ein Recht nicht wirksam geworden oder wieder beseitigt worden sei, muss die rechtshemmenden und rechtsvernichtenden Tatsachen beweisen. So trifft beispielsweise in den Fällen einer Entziehung einer zuerkannten laufenden Leistung nach § 99 ASVG den Versicherungsträger die objektive Beweislast dafür, dass eine rechtlich relevante Besserung des bei Gewährung der Leistung bestandenen Zustands eingetreten ist. Ist dies erwiesen, so trifft den Versicherten die objektive Beweislast dafür, dass ungeachtet der eingetretenen Besserung, etwa bedingt durch zwischenzeitig neu eingetretene Leidenszustände oder aus anderen Gründen, die Voraussetzungen für den Anspruch nach wie vor bestehen.
Die Behauptungs- und Beweislast für eine Verletzung der Schadensminderungspflicht nach § 1304 ABGB trägt der Schädiger. Analog dazu wurde auch im Sozialversicherungsrecht bereits mehrfach ausgesprochen, dass die schuldhafte Verletzung der Mitwirkungspflicht vom beklagten Versicherungsträger zu behaupten und zu beweisen ist. Nach ebenfalls stRsp des erkennenden Senats trifft daher den Versicherungsträger im Allgemeinen auch die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Pensionsleistung nicht mehr gegeben sind, wenn (sobald) sich der Versicherte einer ihm zumutbaren Behandlung unterzieht. Diese allgemeine Regel, dass grundsätzlich den „Schädiger“ die Behauptungs- und Beweislast trifft, findet aber nach der Rsp dort eine Einschränkung, wo die Möglichkeit der Geringhaltung des Schadens naheliegt und es sich um Umstände handelt, die allein in der Sphäre des Geschädigten liegen und daher nur ihm bekannt und auch nur von ihm beweisbar sind. Wollte man diese Ansicht ablehnen, käme man zu einem ähnlichen Ergebnis, weil überall dort, wo die Möglichkeit der Geringhaltung des Schadens naheliegt, prima-facie ein Sachverhalt vorliegt, der für die Verletzung der Rettungspflicht spricht.