OGH: Zur Aussichtslosigkeit der Anspruchsverfolgung nach Art 9.2.3. ARB 2000
In der Rechtsschutzversicherung ist bei Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen; die vorzunehmende Beurteilung, ob „keine oder nicht hinreichende Aussicht auf Erfolg“ besteht, hat sich am Begriff „nicht als offenbar aussichtslos“ des die Bewilligung der Verfahrenshilfe regelnden § 63 ZPO zu orientieren
Art 9.2.3. ARB 2000
GZ 7 Ob 130/10h, 30.03.2011
Artikel 9 ARB 2000 lautet:
Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen?
Was hat bei Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer über die Art der Vorgangsweise oder die Erfolgsaussichten zu geschehen? (Schiedsgutachterverfahren)
[…]
2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis
[…]
2.3. daß erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen.
3. Für den Fall von Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer über die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung oder das Vorgehen zur Beilegung des Streitfalles, für den Deckung begehrt wird, kann der Versicherungsnehmer seinen Anspruch auf Versicherungsschutz durch Beantragung eines Schiedsgutachterverfahrens oder ohne Durchführung eines Schiedsgutachterverfahrens gemäß § 12 Versicherungsvertragsgesetz (VersVG) gerichtlich geltend machen.
4. Die gänzliche oder teilweise Ablehnung der Kostenübernahme wegen nicht hinreichender oder fehlender Aussicht auf Erfolg oder sonstiger Meinungsverschiedenheiten im Sinne des Pkt. 3. ist dem Versicherungsnehmer unter Bekanntgabe der Gründe und unter Hinweis auf die Möglichkeit eines Schiedsgutachterverfahrens gemäß Pkt. 5. schriftlich mitzuteilen. Die bis zu diesem Zeitpunkt aufgelaufenen Kosten sind vom Versicherer zu tragen, sofern die sonstigen Voraussetzungen des Versicherungsschutzes vorliegen.
Unterläßt der Versicherer den Hinweis gemäß Abs. 1, gilt der Versicherungsschutz für die begehrte Maßnahme als anerkannt.
OGH: Diese Klausel hat ihre Wurzel im § 158l VersVG, nach dessen Abs 1 für den Fall von Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer über das Vorgehen zur Beilegung des Streitfalls, für den Deckung begehrt wird, besonders über die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung, der Versicherer vorzusehen hat, dass der Versicherungsnehmer ein Schiedsgutachterverfahren (§ 64 VersVG) in Anspruch nehmen kann. Weiters sieht Abs 2 leg cit vor, dass der Versicherer den Versicherungsnehmer bei gänzlicher oder teilweiser Ablehnung der Leistungspflicht schriftlich auf die Möglichkeit hinzuweisen hat, ein Verfahren nach Abs 1 leg cit in Anspruch zu nehmen. Sieht der Versicherungsvertrag kein solches Verfahren vor oder wird der Hinweis unterlassen, so gilt das Rechtsschutzbedürfnis im Einzelfall anerkannt. Das bedeutet, dass damit zwar nicht der Deckungsanspruch des Versicherers als solcher anerkannt ist; gemeint ist nur, dass der Versicherer sich nicht auf ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis, insbesondere wegen unzureichender Erfolgsaussichten, berufen kann. Dass der Hinweis auf die Möglichkeit eines Schiedsgutachterverfahrens unterlassen wird, schadet nur gegenüber einem anwaltlich vertretenen Versicherungsnehmer nicht.
Die ARB 2000 sehen im Art 9.3. die Möglichkeit eines Schiedsgutachterverfahrens entsprechend § 158l Abs 1 VersVG vor; ebenso enthält Art 9.4. ARB 2000 die Anerkennungssanktion des § 158l Abs 2 VersVG. Allerdings trifft den Versicherer nach dieser Klausel die Mitteilungspflicht nur bei gänzlicher oder teilweiser Ablehnung der Kostenübernahme wegen nicht hinreichender oder fehlender Aussicht auf Erfolg oder sonstiger Meinungsverschiedenheiten iSd Pkt. 9.3., während § 158l VersVG die Hinweispflicht ohne eine solche Einschränkung normiert.
Der Zweck des in § 158l VersVG behandelten Schiedsgutachterverfahrens besteht darin, dem Versicherungsnehmer in jenen Fällen, in denen sein grundsätzlicher Deckungsanspruch außer Streit steht, für bestimmte andere - hier näher beschriebene - Meinungsverschiedenheiten eine rasche und kostengünstige Alternative zur gerichtlichen Konfliktlösung anzubieten. Demnach besteht kein Zweifel, dass den Versicherer die Hinweispflicht nur trifft, wenn es wegen der in § 158l Abs 1 VersVG genannten Meinungsverschiedenheiten zu einer gänzlichen oder teilweisen Ablehnung der Leistungspflicht kommt. Kommt es daher wegen einer grundsätzlichen Ablehnung des Versicherungsschutzes gem § 158n Abs 1 VersVG zum Deckungsprozess, kann der Versicherer auch das Fehlen seiner Leistungspflicht wegen fehlender Erfolgsaussicht und wegen nicht zweckentsprechender oder wegen mutwilliger Interessenwahrnehmung einwenden.
In der Rechtsschutzversicherung ist bei Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen. Die vorzunehmende Beurteilung, ob „keine oder nicht hinreichende Aussicht auf Erfolg“ besteht, hat sich am Begriff „nicht als offenbar aussichtslos“ des die Bewilligung der Verfahrenshilfe regelnden § 63 ZPO zu orientieren. „Offenbar aussichtslos“ ist eine Prozessführung, die schon ohne nähere Prüfung der Angriffs- oder Verteidigungsmittel als erfolglos erkannt werden kann, insbesondere bei Unschlüssigkeit, aber auch bei unbehebbarem Beweisnotstand. Die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist auf Grund einer Prognose - im Fall eines bereits laufenden Haftpflichtprozesses auf Grund einer nachträglichen Prognose - nach dem im Zeitpunkt vor Einleitung des Haftpflichtprozesses vorliegenden Erhebungsmaterial vorzunehmen, weil eine Beurteilung der Beweischancen durch antizipierte Beweiswürdigung nicht in Betracht kommt. Feststellungen im Deckungsprozess über Tatfragen, die Gegenstand des Haftpflichtprozesses sind, sind für den Haftpflichtprozess nicht bindend, daher überflüssig und, soweit sie getroffen wurden, für die Frage der Deckungspflicht unbeachtlich. Eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung und des Ergebnisses des Haftpflichtprozesses kommt im Deckungsprozess bei Beurteilung der Erfolgsaussichten nicht in Betracht. Ist der Sachverhaltsvortrag des Versicherungsnehmers nicht von vornherein unschlüssig oder offensichtlich unrichtig, so kann der Versicherer Versicherungsschutz nur ablehnen, wenn die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Allerdings muss der Versicherungsnehmer, der eine Versicherungsleistung beansprucht, die anspruchsbegründenden Voraussetzungen des Eintritts des Versicherungsfalls behaupten und beweisen.