09.06.2011 Zivilrecht

OGH: Dienstbarkeit auf Licht und Luft - unzulässiger Eingriff in die verneinende Hausdienstbarkeit gem § 476 Z 10 ABGB

Die Dienstbarkeit gem § 476 Z 10 ABGB verbietet das Bauen und Pflanzen auf dem dienenden Grundstück nur insofern, als dadurch aus den ungeöffneten Fenstern des untersten Stockwerks des auf dem herrschenden Grundstück befindlichen Hauses der „Anblick des Himmels geschmälert“ wird


Schlagworte: Servitut, verneinende Hausdienstbarkeit, Licht und Luft, Interessenabwägung
Gesetze:

§ 476 Z 10 ABGB

GZ 1 Ob 217/10h, 23.02.2011

 

Strittig sind der Umfang und das Ausmaß der Dienstbarkeit gem § 476 Z 10 ABGB (gemeinhin fälschlich „Fensterrecht“ genannt; das Gesetz behält diese Bezeichnung in § 488 ABGB für das in § 475 Abs 1 Z 3 ABGB angeführte Recht vor, ein Fenster in der fremden Wand zu öffnen) und die Beeinträchtigung durch die Überdachung über dem Eingangsbereich des Hauses der Beklagten.

 

OGH: Die Dienstbarkeit gem § 476 Z 10 ABGB verbietet das Bauen und Pflanzen auf dem dienenden Grundstück nur insofern, als dadurch aus den ungeöffneten Fenstern des untersten Stockwerks des auf dem herrschenden Grundstück befindlichen Hauses der „Anblick des Himmels geschmälert“ wird. Dem herrschenden Gebäude darf Licht und Luft nicht „genommen“ werden. Es genügt aber, dass vom Erdgeschoß aus zumindest der Himmel gesehen werden kann.

 

Ausgehend vom Ansatz der „ruhenden Eigentümerservitut“ entstand die offenkundige  Hausdienstbarkeit mit der Verbücherung der Liegenschaftsteilung im Jahr 1968. Der Lichteinfall auf das Stiegenhausfenster der Klägerin war aber schon damals beschränkt, weil das bestehende Vordach des Zubaus (zum Haus der Beklagten) den uneingeschränkten Lichteinfall nicht ermöglichte. Schon im Zeitpunkt der Begründung der Servitut bestand daher die Einschränkung, dass das Stiegenhausfenster nur teilweise direktes Licht erhielt.

 

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die zu beurteilende Dienstbarkeit auf Licht und Luft eine ungemessene Servitut ist, weil ihr Ausmaß und ihr Umfang durch keinen Titel konkret bestimmt werden. Eine Abwägung der Interessen im Verhältnis zwischen Dienstbarkeitsberechtigten und -verpflichteten findet sowohl in Fällen der Anpassung ungemessener Dienstbarkeiten an die zeitbedingten Bedürfnisse des herrschenden Guts als auch iZm Beschränkungen der Servitutsausübung statt. Ziel der Interessenabwägung ist es stets, dem Dienstbarkeitsberechtigten den angestrebten Vorteil zu ermöglichen, den Verpflichteten aber so wenig wie möglich zu schaden. Beschränkungen der Ausübung der Servitut kommen nur bei nachträglicher wesentlicher Änderung von Umständen in Frage, die klar für eine stärkere Berücksichtigung der Interessen des Verpflichteten sprechen. Beschränkungen der Rechtsausübung durch den Belasteten (ohne zumindest schlüssige Zustimmung des Berechtigten) werden nur dann als zulässig angesehen, wenn die Ausübung des Rechts dadurch nicht ernstlich erschwert oder gefährdet wird. Erhebliche oder gar unzumutbare Erschwernisse der Servitutsausübung müssen nicht hingenommen werden.

 

Die Beklagten erwirkten für die Überdachung die Baubewilligung. Steht damit fest, dass aus baurechtlicher Sicht gegen die Bauführung keine Bedenken bestehen, dann kann die Klägerin dagegen nur aus ihren privatrechtlichen Beziehungen zu den Beklagten vorgehen.

 

Eine Baubehörde darf grundsätzlich nicht über Privatrechte entscheiden, eine Baubewilligung berührt daher auch zivilrechtliche Ansprüche nicht. Auch auf die zivilrechtliche Stellung eines aus einer Servitut allenfalls verpflichteten Eigentümers hat die dingliche Wirkung eines Baubewilligungsbescheids keinen Einfluss.

 

Ausgehend von diesen Überlegungen ist die Rsp des VwGH zum „freien Lichteinfall unter 45 Grad“ auf Hauptfenster von Nachbargebäuden nach der nö BauO und zur Relevanz der Beeinträchtigung des Lichteinfalls bei einem brückenartigen Überbau für die zivilrechtliche Beurteilung des Ausmaßes und der Einschränkung der Dienstbarkeit auf Licht und Luft nicht maßgeblich. Zudem handelt es sich beim Stiegenhausfenster nach der Definition des § 4 Z 11 nö BauO nicht um ein Hauptfenster, sondern um ein Nebenfenster.