OGH: Unterliegt eine Mehrverkaufsprämie, die vom Überschreiten einer bestimmten vom Arbeitnehmer verkauften Stückzahl abhängt, dem Grenzbetrag nach § 1 Abs 3 Z 4 und Abs 4 IESG?
Ein auf Umsatzdaten basierender Provisionsanspruch stellt einen nicht nach Zeiträumen bemessenen Teil des Arbeitsentgelts dar, der nur bis zum Grenzbetrag gem § 1 Abs 3 Z 4 iVm § 1 Abs 4 IESG gesichert ist; die Überschreitung des jeweiligen Grenzbetrags ist für jede geltend gemachte Anspruchsart gesondert zu prüfen; bei Zusammentreffen von zeitabhängigen und sonstigen Entgeltansprüchen ist nicht einfach der längste in Betracht kommende Durchschnittszeitraum auf alle Ansprüche anzuwenden
§ 1 IESG
GZ 8 ObS 5/10h, 23.11.2010
Der Kläger macht geltend, es fehle Rsp des OGH zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Umsatzprovision als Sonderzahlung iSd § 49 Abs 2 ASVG zu werten ist. Dieser Frage komme erhebliche Bedeutung über den Einzelfall hinaus zu, weil Sonderzahlungen nach der Rsp des OGH in die Grenzbeträge nach § 1 Abs 4 IESG nicht einzurechnen seien.
OGH: Entgegen diesen Ausführungen hat der OGH allerdings bereits wiederholt ausgesprochen, dass ein auf Umsatzdaten basierender Provisionsanspruch einen nicht nach Zeiträumen bemessenen Teil des Arbeitsentgelts darstellt, der nur bis zum Grenzbetrag gem § 1 Abs 3 Z 4 iVm § 1 Abs 4 IESG gesichert ist, so wie auch Erfolgsbeteiligungen oder die Abgeltung einer Diensterfindung.
Nach den Feststellungen der Vorinstanzen war mit dem Kläger eine von der Anzahl der verkauften Fertigteilhäuser abhängige Umsatzbeteiligung vereinbart, wobei für jeden Verkauf eine Grundprovision zustand und sich der Provisionsprozentsatz bei Überschreiten bestimmter Stückzahlen erhöhte. Dass die sog Mehrverkaufsprämie jährlich abgerechnet wurde, folgt naheliegend aus den jeweils auf das Kalenderjahr bezogenen Stückzahlvorgaben. Nichtsdestoweniger erwarb der Kläger aber auch seinen Anspruch auf die Mehrverkaufsprämie bereits während des laufenden Jahres sukzessive mit jedem über der nächsthöheren Schwelle liegenden Verkaufsabschluss. In der Qualifikation der hier zu beurteilenden Mehrkaufsprämie als nicht nach Zeiträumen bemessener Entgeltanspruch nach § 1 Abs 4 Z 2 IESG kann daher kein Rechtsirrtum erkannt werden.
Der VwGH vertritt in stRsp zum Beitragsrecht hinsichtlich der Qualifikation von Umsatzprovisionen als Sonderzahlungen iSd § 49 Abs 2 ASVG die Auffassung, dass es nicht allein auf den Abrechnungszeitraum, sondern auf die Art des Anspruchs ankommt. Entsteht der Anspruch auf Umsatzprovision nach der vertraglichen Zusicherung mit der Tätigung von Umsätzen, ist sie nicht erst mit ihrer Flüssigmachung als „gewährt“ iSd § 49Abs 2 ASVG anzusehen. Anderes gilt nach dieser Rsp nur, wenn das Entstehen des Anspruchs auf Umsatzprovision nicht allein von der Tätigung laufender Umsätze, sondern darüber hinaus noch von weiteren Bedingungen abhängig ist, etwa der Erzielung eines bestimmten Jahresumsatzes oder eines bestimmten Zuwachses desselben.
Abgesehen davon, dass die Auslegung des § 1 Abs 4 IESG dem OGH im Rahmen seiner höchstgerichtlichen Kompetenz grundsätzlich autonom obliegt, ist der vom Revisionsrekurs im vorliegenden Fall erblickte Widerspruch zu der Rsp des VwGH nicht zu erkennen; der Umstand, dass sich der Provisionssatz des Klägers mit der Stückzahl der verkauften Fertigteilhäuser erhöhte, stellte keine zusätzliche Bedingung für das Entstehen des Anspruchs als solchem dar.
Dem Kläger ist zwar zuzubilligen, dass die in der Rsp des OGH entwickelte Anwendung eines Jahresgrenzbetrags für einmal jährlich abzurechnende, nicht nach Zeiträumen bemessene Entgeltansprüche im Einzelfall für den Arbeitnehmer nachteilig sein kann, wenn der Anspruch zwar im Grenzbetrag des Abrechnungsquartals, aber nicht im Jahresgrenzbetrag Deckung findet. Die von ihm daraus abgeleitete Gleichheitswidrigkeit lässt sich aus der bloßen Möglichkeit einzelner Härtefälle aber nicht ableiten, vielmehr ist gerade im Sozial(-versicherungs-)recht eine durchschnittliche Betrachtungsweise erforderlich, die auf den Regelfall abstellt.
Die Anwendung eines auf das Jahr bezogenen Grenzbetrags für jährlich fällige Entgeltformen führt im Regelfall zu einem sachgerechteren Ergebnis und zur Gleichbehandlung mit Arbeitnehmern, die nur ein zeitabhängiges Fixentgelt beziehen. Der im Gesetz vorgesehene Grenzbetragszeitraum nach § 1 Abs 4 Z 2 IESG ist nämlich in Bezug auf die dispositive Regelung des § 10 Abs 4 AngG auszulegen, wonach Provisionen im Zweifelsfall am Ende des Kalendervierteljahrs abzurechnen sind. Dadurch wird erreicht, dass auch Arbeitnehmern mit unregelmäßigen Provisionsbezügen im Durchschnitt ein monatlicher Entgeltanspruch bis zum Grenzbetrag der doppelten Höchstbeitragsgrundlage gesichert ist. Die Quartalsregelung verhindert eine unbillige Kürzung der Leistung in jenen Fällen, in denen es im Provisionsabrechnungsmonat zu einer Überschreitung des Monatsgrenzbetrags käme, das Entgelt im Dreimonatsdurchschnitt aber unter dem Grenzbetrag bleibt.
Das Heranziehen der Quartalsgrenzbeträge für nur einmal jährlich abzurechnende Provisionen würde aber wiederum zu einer unsachlichen, weil von der zufälligen Wahl einer bestimmten Abrechnungsperiode abhängenden Ungleichbehandlung der betroffenen Arbeitnehmer führen. Der Zweck der Regelung des § 1 Abs 4 Z 2 IESG, im Abrechnungszeitraum nicht mehr und nicht weniger als ein durchschnittliches Einkommen bis zur Grenze des § 1 Abs 4 Z 1 IESG zu sichern, wird durch Umrechnung des Grenzbetrags auf die längere Abrechnungsperiode gewährleistet. Damit wird sowohl den Intentionen des Gesetzes entsprochen, Arbeitnehmer vor dem Verlust von Ansprüchen zu schützen, auf die sie zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts angewiesen sind, als auch den Fonds vor übermäßiger Inanspruchnahme zu bewahren.
Die Revisionswerberin vertritt den Standpunkt, dass im Fall der Geltendmachung eines einmal jährlich abzurechnenden Entgeltanspruchs auch für sämtliche anderen, auch die nach Zeiträumen bemessenen, Entgeltansprüche nur ein gemeinsamer Jahresgrenzbetrag heranzuziehen sei.
Diese Auffassung der Beklagten widerspricht aber schon dem Wortlaut des § 1 Abs 4 Z 2 IESG und in weiterer Folge dem Zweck des Gesetzes, jene laufenden Entgeltansprüche zu sichern, auf die der Arbeitnehmer zur Bestreitung seines Lebensunterhalts angewiesen ist.
Zwar steht einem Arbeitnehmer, der neben zeitabhängigen auch leistungsabhängige Entgeltbestandteile bezieht, der Grenzbetrag für beide Entgeltarten nur einmal zu, dieser Grundsatz wird durch die Anwendung unterschiedlicher Durchschnittszeiträume zur Bedachtnahme auf unterschiedliche Fälligkeitszeitpunkte aber nicht verletzt.
Die Auslegung der Beklagten würde zu dem unhaltbaren Ergebnis führen, dass die bloße Geltendmachung einer zusätzlichen (noch dazu ohnehin ungesicherten) Forderung andere, nach dem Gesetz gesicherte Ansprüche vernichten könnte. Auch die Beklagte zweifelt nämlich nicht, dass dem Kläger für das Fixgehalt und die laufende Provision mangels Überschreitens der Grenzbeträge nach § 1 Abs 4 IESG Insolvenz-Entgelt zustehen würde, wenn er nicht auch noch die Mehrverkaufsprämie geltend gemacht hätte.