26.05.2011 Zivilrecht

OGH: Ersatzanspruch unzulänglich aufgeklärter Anleger - zum Begehren auf Naturalersatz unter Berücksichtigung des Aspekts der hypothetischen Alternativveranlagung

Bei der Berechnung des vom Geschädigten begehrten Geldersatzes im Rahmen der Naturalrestitution muss auf den hypothetischen Verlauf Bedacht genommen werden, weil ein Zustand herbeizuführen ist, wie er ohne das schädigende Ereignis im Zeitpunkt der Beurteilung der Ersatzleistung, also bei Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz, bestanden hätte; den Geschädigten trifft die Behauptungs- und Beweislast nicht nur dafür, dass er bei korrekter Information die tatsächlich gezeichneten Wertpapiere nicht erworben hätte, sondern auch dafür, wie er sich bei korrekter Information hypothetisch alternativ verhalten und sich so sein Vermögen entwickelt hätte


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Anlegerhaftung, Aufklärungspflichten, Naturalersatz, hypothetische Alternativveranlagung, Behauptungs- und Beweislast
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB, § 11 KMG

GZ 7 Ob 77/10i, 30.03.2011

 

Beide Beklagte gehen von der Untunlichkeit der Naturalrestitution wegen der Problematik der Überkompensation bei Tragung des allgemeinen Marktrisikos durch die Beklagten und der Notwendigkeit der Berücksichtigung einer hypothetischen Alternativveranlagung aus.

 

OGH: Sowohl bei der Haftung des Emittenten und/oder des Vermittlers für unrichtige oder unvollständige Prospektangaben nach § 11 KMG als auch bei der Haftung wegen Verstößen gegen sonstige kapitalmarktrechtliche Informationspflichten, aber auch bei der Haftung wegen fehlerhafter Anlageberatung ist dem Anleger der Vertrauensschaden zu ersetzen; er ist also so zu stellen, wie er stünde, wenn ihm die zutreffenden Informationen erteilt worden wären. Die von der Klägerin gegenüber der Erst- und der Zweitbeklagten herangezogenen Haftungsgrundlagen sind daher insofern gleich zu behandeln.

 

Nach hA ist ein realer Schaden des Anlegers bereits dann anzunehmen, wenn die Zusammensetzung seines Vermögens nach dem schadensbegründenden Ereignis nicht seinem Willen entspricht, und zwar unabhängig davon, ob es (bereits) zu einem Wertverlust gekommen ist und für welchen Zeitraum die Vermögensanlage gedacht war. Die Klägerin, die behauptet, sie hätte sich bei Kenntnis über die tatsächliche Verwendung der Emissionserlöse an den beiden Kapitalerhöhungen nicht beteiligt, hat damit schlüssig den Eintritt eines realen Schadens in diesem Sinn dargetan.

 

Für diese Fälle hat der OGH bereits den Anspruch des Anlegers auf Naturalrestitution (§ 1323 ABGB) in der Gestalt anerkannt, dass er Zug um Zug gegen Übertragung der Wertpapiere Anspruch auf Rückzahlung der zu deren Erwerb gezahlten Kaufpreise (abzüglich erhaltener Zinsenzahlungen) hat. Diesen Anspruch macht auch die Klägerin geltend und entspricht damit der (nur) nach § 11 Abs 6 KMG vorgesehenen Deckelung des Ersatzes mit dem Erwerbspreis zuzüglich Spesen und Zinsen ab Zahlung des Erwerbspreises (sofern das schädigende Verhalten nicht auf Vorsatz beruht).

 

Allerdings darf nicht übersehen werden, dass nach stRsp bei der Schadensberechnung sämtliche Auswirkungen auf das Vermögen des Geschädigten berücksichtigt werden müssen, weshalb die Schadensfeststellung nicht im Zeitpunkt der Schädigung abzuschließen ist, sondern spätere Auswirkungen in die Betrachtung einbezogen werden müssen. Es ist daher eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Im Rahmen einer Differenzrechnung muss der hypothetische heutige Vermögensstand ohne das schädigende Ereignis ermittelt und von diesem Betrag der heutige tatsächliche Vermögenswert abgezogen werden, dies in der Regel bezogen auf den Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz.

 

Konsequent und zu Recht verlangt die Lehre auch im Rahmen der Naturalrestitution schon aus Kausalitätsgründen die Berücksichtigung des hypothetischen Verlaufs der Disposition des Anlegers ohne die Fehlberatung und der weiteren Entwicklung seines Vermögens. Auch bei der Berechnung des von der Klägerin begehrten Geldersatzes im Rahmen der Naturalrestitution muss daher auf den hypothetischen Verlauf Bedacht genommen werden, weil ein Zustand herbeizuführen ist, wie er ohne das schädigende Ereignis im Zeitpunkt der Beurteilung der Ersatzleistung, also bei Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz, bestanden hätte.

 

Hätte nämlich die Klägerin bei korrekter Information zwar vom Aktienkauf Abstand genommen, jedoch ein anderes Wertpapier erworben und wäre es inzwischen auch zu Wertverlusten bei diesem Papier gekommen, so würde der Anleger durch die Rückerstattung des vollen Kaufpreises gegen Rückgabe der erworbenen Papiere insofern einen Vorteil gegenüber der hypothetischen Entwicklung erlangen, als die bei den hypothetischen Käufen sonst entstandenen Verluste nicht berücksichtigt würden. Anders wäre die Lage nur, wenn der Anleger ausnahmsweise bei korrekter Information keine Wertpapiere erworben, sondern das Geld auf ein Sparbuch gelegt und jedenfalls keine Kursverluste erlitten hätte. Allein bei Zutreffen dieser Umstände wäre also der volle Erwerbspreis an die Klägerin zurückzuerstatten. Es ist daher im Zuge der Kausalitätsprüfung zu klären, wie der ordnungsgemäß informierte/aufgeklärte Anleger disponiert hätte.

 

Grundsätzlich hat der Geschädigte nicht nur den Eintritt des behaupteten Schadens und dessen Höhe, sondern auch den Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Schädigers und dem Schadenseintritt zu behaupten und zu beweisen. Auch die Beweislast, dass bei pflichtgemäßem Verhalten der Schaden nicht eingetreten wäre, trifft den Geschädigten. Dass die Beweiserleichterungen für den Geschädigten im Arzthaftungsrecht nicht für den Beweis der Kausalität einer Aufklärungspflichtverletzung für den Schaden anzuwenden sind, hat der OGH bereits - unter Ablehnung gegenteiliger Lehrmeinungen - in einer Vielzahl von Entscheidungen ausgesprochen, und zwar ausdrücklich auch Anlegern gegenüber. Daran ist - ungeachtet weiterer kritischer Lehrmeinungen - unter Aufrechterhaltung der bisherigen Argumente festzuhalten. Der Problematik der Beweisbarkeit des bloß hypothetischen Kausalverlaufs trägt die Rsp ohnehin dadurch Rechnung, als daran nicht so strenge Anforderungen gestellt werden können wie bei der Schadenszufügung durch positives Tun. Denn die Frage, wie sich die Geschehnisse entwickelt hätten, wenn der Schädiger pflichtgemäß gehandelt hätte, lässt sich naturgemäß nie mit letzter Sicherheit beantworten, weil dieses Geschehen eben nicht tatsächlich stattgefunden hat. Dem Schädiger steht der Nachweis offen, dass ein anderer Verlauf wahrscheinlicher sei.

 

Den Geschädigten trifft daher die Behauptungs- und Beweislast nicht nur dafür, dass er bei korrekter Information die tatsächlich gezeichneten Wertpapiere nicht erworben hätte, sondern auch dafür, wie er sich bei korrekter Information hypothetisch alternativ verhalten und sich so sein Vermögen entwickelt hätte; auch dafür kommt ihm zugute, dass nicht so strenge Anforderungen an die Beweisbarkeit des bloß hypothetischen Kausalverlaufs zu stellen sind.

 

Jedenfalls in Konstellationen wie der vorliegenden, in der großvolumige Veranlagungen in eine „einzige“ Aktie durch eine Privatstiftung zu beurteilen sind, ist es ausgeschlossen, bloß aus dem Klagebegehren zu Gunsten der Klägerin zu erschließen, sie hätte alternativ jedenfalls eine Veranlagung der Gelder unterlassen oder nur völlig risikolos investiert. (Für eine solche Unterstellung bieten auch die Rechtsmittelgegenschriften der Klägerin keinen Anlass.) Es ist vielmehr an der Klägerin gelegen, zur Begründung ihres auf den ungekürzten Erwerbspreis gerichteten Ersatzbegehrens entweder konkret zu behaupten, dass und aus welchen Gründen sie bei korrekter Information keine andere Veranlagung vorgenommen hätte, oder substantiiert vorzubringen, dass und warum sie mit welcher hypothetischen Alternativveranlagung keine Kursverluste erlitten hätte. Nur aus solchen Tatsachenbehauptungen ließe sich nämlich die Verursachung des als Schaden verlangten Betrags durch fehlerhafte Information seitens der Erst- und der Zweitbeklagten schlüssig ableiten; die Behauptung allein, bei korrekter Information hätte die Klägerin von der Zeichnung der Aktien bei den beiden Kapitalerhöhungen Abstand genommen, reicht dafür nicht aus, weil die für die Beurteilung der Kausalität des Schadens wesentliche Frage offen bleibt, wie die Klägerin mit den Anlagebeträgen ohne Verletzung von Informationspflichten verfahren wäre.

 

An der Behauptungs- und Beweislast der Klägerin für die genannten Kriterien ändert sich auch dann nichts, wenn man diese Frage allein der Schadenshöhe zuordnet. Der Geschädigte ist ja nach stRsp auch für die Höhe des Schadens behauptungs- und beweispflichtig, daher auch für die Schadensberechnung.

 

Der Einwand der Erstbeklagten, ihr gegenüber scheitere eine Naturalrestitution daran, dass sie in keinem Vertragsverhältnis zur Klägerin stehe, ist unbegründet. Für den schadenersatzrechtlichen Grundsatz, dass sich der Schadenersatzanspruch primär auf Naturalersatz richtet, macht es nämlich keinen Unterschied, ob der Schaden durch deliktisches Handeln oder durch Vertragsverletzung zugefügt wurde.

 

Dass die begehrte Naturalrestitution durch Zahlung des Erwerbspreises gegen Übertragung der jeweils erworbenen Aktien zwingend deren Halten durch die Klägerin voraussetzt, bedarf keiner weiteren Erörterung. Da es um die Entschädigung eines Anlegers aus einem konkreten Anlageerwerb geht, ist die verlangte Naturalrestitution nur dann möglich, wenn der Anleger die im Zuge dieses Anlagegeschäfts erworbenen Wertpapiere noch hält; es genügt also nicht - bezogen auf die vorliegende Konstellation -, die Übergabe irgendwelcher Aktien der Erstbeklagten anzubieten. Vielmehr sind nur die bei den Kapitalerhöhungen 2006 und 2007 übernommenen Aktien zurückzugeben (sofern sich die Vorwürfe der Klägerin als berechtigt erweisen sollten). Das erfordert deren Bestimmbarkeit und Abgrenzbarkeit im Vermögen der Klägerin, weshalb es einer entsprechenden Darstellung durch die Klägerin und einer Spezifizierung im Urteilsbegehren bedarf. Auch die Zug-um-Zug-Leistung der betreibenden Partei muss nämlich iSd § 7 Abs 1 EO genau bezeichnet sein. Die Spezifizierbarkeit der bei der konkreten Veranlagung erworbenen Wertpapiere ist schon deshalb notwendig, um sicherzustellen, dass der Anleger nicht einen Vermögensverlust aus dem Kauf gleichartiger Wertpapiere (zB Aktien derselben Kapitalgesellschaft), die er trotz korrekter Information gezeichnet und deren Wert/Kurs sich ungünstig entwickelt hat, im Weg der Naturalrestitution eines anderen Wertpapiergeschäfts, das zwar wegen fehlerhafter Information zustande gekommen, dennoch aber wegen (rechtzeitigen) Verkaufs der Wertpapiere unter Realisierung von Kursgewinnen erfolgreich verlaufen ist, ungerechtfertigt überwälzen kann.

 

Sollte der Klägerin die ausreichende Spezifikation nicht (mehr) möglich sein, muss die begehrte Naturalrestitution als unmöglich angesehen und das darauf gerichtete Begehren abgewiesen werden.

 

Die Rechtsrüge des Drittbeklagten zielt primär darauf ab, dass die nunmehr auf Geldersatz gegen ihn gerichtete Schadenersatzklage unzulässig sei, weil die Klägerin weder die Aktien veräußert habe noch Naturalrestitution begehre und ihre Aktien Zug um Zug anbiete.

 

Dieses Urteilsbegehren widerspricht der hA, dass ein Ersatz des nach der Differenzmethode ermittelten rechnerischen Schadens (des Vermögensschadens) in Geld erst nach einem Verkauf der Wertpapiere begehrt werden kann. Einen Verkauf der Aktien hat die Klägerin aber nicht behauptet und könnte dies auch nicht, ohne mit dem Klagebegehren gegenüber der Erst- und der Zweitbeklagten in Widerspruch zu geraten, in dem ja die Übertragung der Aktien durch die Klägerin bei Zahlung vorgesehen ist. Schon daraus folgt, dass die Klägerin nicht beide Begehren parallel aufrecht erhalten kann. Vielmehr muss sie sich entscheiden, ob sie den realen oder den rechnerischen Schaden ersetzt verlangt. Auf eine endgültige Wertlosigkeit der Aktien wegen Unverkäuflichkeit hat sich die Klägerin nicht berufen.

 

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass eine Solidarhaftung des mit einem Geldleistungsbegehren in Anspruch genommenen Drittbeklagten gemeinsam mit den beiden anderen Beklagten, von denen Naturalrestitution verlangt wird, nicht möglich ist. Um Gesamtschuld annehmen zu können, bedarf es einer Identität der geschuldeten Leistung, die für die beiden unterschiedlichen Begehren zu verneinen ist.