16.11.2003 EU

EU-Kommission: Vorschlag für "Europäische Beweisanordnung", um die Erlangung von Beweismitteln über die Grenzen hinweg zu erleichtern


Die Europäische Kommission hat am 14. November 2003 einen Vorschlag für eine "Europäische Beweisanordnung" vorgelegt, womit der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung hinsichtlich der Erlangung bestimmter Beweismittel zur Verwendung in Strafverfahren umgesetzt werden soll.

Der Vorschlag stützt sich auf den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen, der vom Europäischen Rat 1999 in Tampere als Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit benannt worden ist. Dem liegt die Idee zugrunde, dass der von einer Justizbehörde eines Mitgliedstaats ausgestellte Haftbefehl in einem anderen Mitgliedstaat unmittelbar anerkannt und vollstreckt werden soll.

Im Vergleich zu den bestehenden Rechtshilfeverfahren würde die Europäische Beweisanordnung insofern Vorteile bringen, als die Verfahren für die Ausstellung und Vollstreckung eines Haftbefehls beschleunigt und mit klaren Schutzgarantien versehen würden. Damit der Vorschlag angenommen wird, muss er vom EU-Ministerrat nach Anhörung des Europäischen Parlaments einstimmig gebilligt werden.

Im Mittelpunkt des Vorschlags stehen Sachen, Schriftstücke und Daten, die auf Grundlage nationaler verfahrensrechtliche Maßnahmen wie Vorlageanordnungen oder Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen verlangt werden können. Ebenfalls erfasst werden Informationen, die bereits in Polizei- oder Gerichtsakten, etwa Strafregistern, enthalten sind.

Allerdings bezieht sich der Vorschlag nicht auf Vernehmungen (in welcher Form auch immer) von Verdächtigten, Beschuldigten, Zeugen oder Opfern. Diese Fragen werden im Grünbuch der Kommission - Verfahrensgarantien in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union (IP/03/245) behandelt und sollen Gegenstand eines weiteren Vorschlags sein.

Ebenfalls nicht einbezogen sind

.) die Entnahme von Beweismitteln aus dem Körper einer Person wie DNA-Proben,

.) die Erhebung von Beweismitteln in Echtzeit wie die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs und von Kontobewegungen, sowie

.) Fälle, in denen weitere Ermittlungen wie etwa ein Sachverständigengutachten erforderlich sind. Für die Erlangung derartiger Beweismittel von einem anderen Mitgliedstaat gelten weiterhin die bestehenden Rechtshilfebestimmungen. Nach Auffassung der Kommission sollten sämtliche Rechtshilferegelungen zu gegebener Zeit durch EU-Vorschriften ersetzt werden, die sich auf den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung stützen.

Der Vorschlag verfolgt bei der gegenseitigen Anerkennung denselben Ansatz wie beim Europäischen Haftbefehl. Die Europäische Beweisanordnung wäre ein einziges Dokument, das von der Anordnungsbehörde in die Amtssprache des Vollstreckungsstaats übersetzt würde. Darüber hinausgehende Übersetzungen wären nicht erforderlich. Dies bedeutet, dass die Europäische Beweisanordnung unverzüglich in gleicher Weise wie eine innerstaatliche verfahrensrechtliche Maßnahme vollstreckt werden könnte.

Mit dem gewählten Ansatz sollen auch die erheblichen Unterschiede im Strafverfahrensrecht der Mitgliedstaaten überwunden werden. Festgelegt würde das zu erreichende Ziel; es bliebe dem Vollstreckungsstaat überlassen, sich das Beweismittel in Übereinstimmung mit dem nationalen Prozessrecht zu verschaffen.

So würde die Situation vermieden, dass ein auf der gegenseitigen Anerkennung einzelstaatlicher Anordnungen basierendes System einen Mitgliedstaat dazu verpflichtet, eine Durchsuchungsanordnung zu vollstrecken, obwohl normalerweise weniger einschneidende Mittel angewandt würden. Um Bankinformationen zu erlangen, wird beispielsweise in einigen Mitgliedstaaten eine Durchsuchungsanordnung erlassen, während in anderen auf das weniger einschneidende Mittel einer "Vorlageanordnung" zurückgegriffen wird.

Der Vorschlag enthält besondere Schutzgarantien für den Anordnungs- und den Vollstreckungsstaat, die das innerstaatliche Recht ergänzen sollen. Eine Europäische Beweisanordnung könnte nur von einem Richter, Ermittlungsrichter oder Staatsanwalt ausgestellt werden. Die Anordnungsbehörde müsste sich davon vergewissern, dass die Sachen, Schriftstücke oder Daten unter ähnlichen Umständen erlangt werden könnten, wenn sie im Hoheitsgebiet des Anordnungsstaats verfügbar wären.

Damit soll vermieden werden, dass mit der Europäischen Beweisanordnung nationale Schutzgarantien bei der Erlangung von Beweismitteln umgangen werden. So würde sicher gestellt, dass ein im Anordnungsstaat geltendes Verbot der Erlangung von Beweismitteln, die unter den Vertraulichkeitsschutz fallen, auch zur Anwendung gelangt, wenn die Justizbehörden solche Beweismittel aus einem anderen Mitgliedstaat anfordern.

Der Vollstreckungsstaat würde sicher stellen, dass das Grundrecht, sich nicht selbst belasten zu müssen, gewahrt bleibt und die zusätzlichen Schutzgarantien für die Durchsuchung und Beschlagnahme respektiert werden. Erforderlich wären auch wirksame Rechtsmittel in den Anordnungs- und Vollstreckungsstaaten, wenn Zwangsmaßnahmen zur Erlangung von Beweismitteln angewandt würden.

Eine weitere Schutzgarantie wäre das Verbot der Doppelbestrafung, welches als Versagungsgrund für die Vollstreckung der Europäischen Beweisanordnung angeführt wird.

Bei Interesse finden Sie weitere Informationen im Internet unter der Adresse europa.eu.int/comm/justice_home/fsj/criminal/procedural/fsj_criminal_procedural_en.htm