EU-Kommission: Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich und Deutschland wegen Einschränkungen des Vorsteuerabzugs
Die Europäische Kommission hat am 24. Juli 2003 beschlossen, gemäß Art. 226 EG-Vertrag den EuGH wegen eines Vertragsverstoßes Österreichs anzurufen, das Mehrwertsteuer auf bestimmte Dienstleistungen erhebt, die für einen Steuerpflichtigen in einem anderen Mitgliedstaat erbracht werden, in dem (auf der Grundlage der 8. MwSt.-Richtlinie) die darauf anfallende MwSt. - anders als in Österreich - erstattet wird. Die von Österreich erhobene MwSt. ist nicht abzugsfähig und belastet den Steuerpflichtigen als zusätzlicher Kostenfaktor, der zwangsläufig im Preis seinen Niederschlag findet.
Nach dem derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts ist es den Mitgliedstaaten gestattet, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der 6. MwSt.-Richtlinie in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften festgelegten Ausschlüsse vom Vorsteuerabzugsrecht beizubehalten. In den einzelnen Mitgliedstaaten sind daher unterschiedliche Ausschlüsse vorgesehen. So sind in Österreich bestimmte Ausgaben vom Vorsteuerabzugsrecht ausgeschlossen, insbesondere die beim Kauf, bei der Reparatur und der Vermietung von Personenkraftwagen anfallende MwSt.
Um zu verhindern, dass österreichische Steuerpflichtige diese Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch nehmen, in dem ein solcher Ausschluss vom Vorsteuerabzug nicht vorgesehen ist und die entsprechende MwSt. daher erstattet wird, besteuert Osterreich erneut alle in einem anderen Land entstandenen und dort bereits besteuerten Ausgaben für Leistungen, die in anderen Mitgliedstaaten abzugsfähig, in Österreich hingegen vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen sind.
Mit dieser Steuer verstößt Österreich laut Auffassung der Kommission gegen die 6. MwSt.-Richtlinie, die vorsieht, dass eine Dienstleistung nicht in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten und damit doppelt besteuert werden darf. Den Steuerpflichtigen kann kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass sie die durch die geltenden Rechtsvorschriften eröffneten Möglichkeiten - ohne irgendwelche Betrugsabsicht - nutzen.
Solange die Mitgliedstaaten sich nicht darüber einigen, welche Ausschlüsse beibehalten werden sollen (einen entsprechenden Vorschlag hat die EU-Kommission bereits 1998 vorgelegt), müssen sie die Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten in dieser Frage respektieren. Das bedeutet auch, dass Österreich nicht das Recht zukommt, in die Befugnisse der anderen Mitgliedstaaten einzugreifen und im Inland eine Besteuerung vorzunehmen, die allein darauf ausgerichtet ist, die in einem anderen Mitgliedstaat legal erlangte Erstattung wieder zunichte zu machen.
Hinzuzufügen ist, dass derzeit ein Vorabentscheidungsverfahren in einer ähnlichen Rechtssache (C-155/01) beim EuGH anhängig ist und dass der Generalanwalt Geelhoed in seinen Schlussanträgen vom 10. Oktober 2002 dieselbe Auffassung wie die Kommission vertritt.
Die Kommission hat außerdem beschlossen, gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 228 EG-Vertrag wegen Nichtbefolgung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 15. Oktober 2002 einzuleiten. Dieses Urteil legt fest, dass Hersteller zum Abzug der Mehrwertsteuer auf von ihnen ausgegebene Preisnachlassgutscheine berechtigt sind. Eine ordnungsgemäße Anwendung der MwSt.-Vorschriften in diesem Bereich würde für Hersteller (von Gebrauchsartikeln wie etwa Kosmetika und Haushaltsartikeln) die Ausgabe von Preisnachlassgutscheinen attraktiver machen, sodass auch die Verbraucher häufiger in den Genuss von Preisnachlässen kommen würden.
Gemäß dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 15. Oktober 2002 in der Rechtssache C-427/98 (Kommission gegen Bundesrepublik Deutschland) verstößt Deutschland gegen seine Verpflichtungen aus Art. 11 der 6. MwSt.-Richtlinie, wenn es die von Herstellern für Endverbraucher ausgegebenen Preisnachlassgutscheine, die den Einzelhändlern nach dem Kauf durch den Endverbraucher von den Herstellern erstattet werden, vom Vorsteuerabzugsrecht der Hersteller ausschließt.
Der EuGH bestätigte damit die in seinem Urteil vom 24. Oktober 1996 in der Rechtssache C-317/94 (Elida Gibbs Ltd.) vertretene Rechtsauffassung. Trotz dieses Urteils hat Deutschland bislang keine Vorschriften erlassen, die eine entsprechende Erstattung zulassen. Da Deutschland noch immer nicht mitgeteilt hat, welche Maßnahmen es getroffen hat, um diesem Erkenntnis nachzukommen, hat die Europäische Kommission beschlossen, auf der Grundlage von Art. 228 EG-Vertrag ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, in dessen Rahmen auch ein Zwangsgeld wegen Nichtbefolgung des Urteils verhängt werden kann.