VwGH: Tierschutzgesetz - zum Zutrittsrecht des Amtstierarztes
Das Zutrittsrecht, das auch gegen den Willen des Halters durchgesetzt werden kann, besteht sowohl zum Zweck der Durchführung routinemäßiger Überwachungshandlungen als auch bei vorliegendem begründetem Verdacht auf den Verstoß gegen eine tierschutzrechtliche Bestimmung
§ 36 TSchG, § 35 TSchG, § 34 TSchG, § 67c Abs 3 AVG, Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG, § 67a Z 2 AVG
GZ 2007/05/0254, 19.01.2010
Auf Grund der Anzeige eines Nachbarn fand im Haus der Bf, sie betreibt in diesem eine Hundezucht, eine Erhebung durch den Amtstierarzt Dr H statt.
VwGH: Gem Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG und § 67a Z 2 AVG können Personen, die behaupten, durch einen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein, gegen diesen Akt Beschwerde an den UVS erheben. Eine solche Beschwerde hat die Bf erhoben; zu prüfen ist zunächst, ob bzw ab wann im Zuge des festgestellten Handlungsverlaufes von einem Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt die Rede sein kann. Unstrittig lag ein solcher Akt hier vor, sobald der Amtstierarzt unter Polizeieinsatz Räume im gegenständlichen Haus betreten hat; strittig ist aber, ob, nachdem der Amtsarzt zunächst freiwillig ins Haus geleitet worden war und dort im Büroraum wartete, sein (unbegleitetes) Betreten des Wohnraumes, nachdem er die Türen Nr 1 und Nr 2 durchschritten hatte, als derartiger Akt zu qualifizieren sei.
Ein Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsorgan im Rahmen der Hoheitsverwaltung einseitig einen Befehl erteilt oder Zwang ausübt und dieser Akt gegen individuell bestimmte Adressaten gerichtet ist. Als Akt der unmittelbaren verwaltungsbehördlichen Befehls- und Zwangsgewalt wurde in diesem Sinne das Aufsperren verschlossener Räume oder das gewaltsame Eindringen in ein ehemaliges Geschäftslokal bzw in eine Wohnung qualifiziert.
Das Weiterschreiten des Amtsorgans durch die Türen Nr 1 und 2 erfüllte diese Kriterien nicht; es wurde weder ein Befehl erteilt noch Zwang ausgeübt. Von einem Akt unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt konnte erst ab dem Zeitpunkt die Rede sein, als der Amtstierarzt, nachdem er zum Verlassen aufgefordert worden war, unterstützt durch zwei Polizeiorgane, gegen den Widerstand der Bf neuerlich den Wohnraum betreten hat, um über die Türe Nr 8 in den westseitig gelegenen Garten zu gelangen. Weiters ist als Akt unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt zu qualifizieren, dass der Amtsarzt versucht hat, quer durch das Gebäude, also über die Schwingtüre Nr 4 durch das Schlafzimmer über die Türe Nr 5 in den Badevorraum und dort über die Türe Nr 7 in den Wintergarten zu gelangen, wo gleichfalls eine Hundehaltung vermutet wurde.
In Anwendung des § 67c Abs 3 AVG hatte die belangte Behörde zu klären, ob der bei ihr angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig war. Die Abweisung der Beschwerde als unbegründet hat zu erfolgen, wenn der Verwaltungsakt nicht rechtswidrig ist; da die Maßnahmenbeschwerde ein Mittel zur Durchsetzung subjektiver Rechte ist, darf ein objektiv rechtswidriger Verwaltungsakt dann nicht aufgehoben werden, wenn subjektive Rechte des Bf nicht verletzt werden.
Die Behörde ist berechtigt, Tierhaltungen unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit jederzeit zu kontrollieren; nach dem zweiten Satz des § 35 Abs 4 TSchG ist sie bei Vorliegen der dort beschriebenen Verdachtslage zu einer Kontrolle sogar verpflichtet.
Die belangte Behörde hat es zwar im angefochtenen Bescheid unterlassen, zu präzisieren, der Begehung welcher konkreter Tierschutzvorschrift die Bf verdächtig war ("illegal" kann eine Hundehaltung aus verschiedensten Rechtsgründen sein); wenn erstmals in der Gegenschrift § 31 Abs 1 TSchG (bewilligungspflichtige gewerbliche Tierhaltung) genannt wurde, kann darauf auf Grund des im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbotes nicht eingegangen werden.
Da aber nach dem ersten Satz des § 35 Abs 4 TSchG die Behörde zur jederzeitigen Kontrolle berechtigt war, kann allein die Ausübung dieser Befugnis noch nicht zu einer Rechtswidrigkeit iSd § 67c Abs 3 AVG führen. Auch die der Behörde in § 36 Abs 1 TSchG eingeräumten Zwangsbefugnisse stellen nicht darauf ab, ob es sich um eine bloße Kontrolle iSd § 35 Abs 4 erster Satz oder um eine Kontrolle auf Grund einer Verdachtslage handelt, weil § 36 Abs 1 TSchG auf § 35 insgesamt verweist und durch die Formulierung des zweiten Satzes des § 36 Abs 1 klargestellt ist, dass es sich beim begründeten Verdacht um eine Alternativvoraussetzung handelt. Auch ohne Verdachtslage ist die hier ausgeübte Kontrolle unter Inanspruchnahme der vom Gesetz vorgegebenen Zwangsmittel und unter Hilfeleistung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (§ 34 Abs 2 TSchG) rechtmäßig, wenn die Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel gewahrt ist. Das Zutrittsrecht, das auch gegen den Willen des Halters durchgesetzt werden kann, besteht sowohl zum Zweck der Durchführung routinemäßiger Überwachungshandlungen als auch bei vorliegendem begründetem Verdacht auf den Verstoß gegen eine tierschutzrechtliche Bestimmung. Nach den Gesetzesmaterialien räumt diese Bestimmung zum Zwecke der Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften dieses Bundesgesetzes sowie für den Fall des begründeten Verdachts einer Übertretung dieses Bundesgesetzes den Organen der mit der Vollziehung dieses Bundesgesetzes betrauten Behörden sowie den zugezogenen Sachverständigen ein Recht zum Betreten von Liegenschaften, Räumen und Transportmitteln ein.
Diese Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel ist im Beschwerdefall auf Grund des festgestellten Sachverhalts zu bejahen. Auszugehen ist davon, dass der Amtstierarzt lediglich jene Örtlichkeiten besichtigen wollte, wo er Tiere wahrgenommen hat (Garten A) bzw einen Käfig gesehen hat (Wintergarten). Um zu diesen Örtlichkeiten zu gelangen, mussten gewisse Türen geöffnet und Räumlichkeiten durchschritten werden; die Überwindung der dabei von der Bf und anderen Personen entgegen gestellten Hindernisse erfolgte jedenfalls nicht mit einer Intensität, dass von einer Unverhältnismäßigkeit der Mittel gesprochen werden kann. Dass sich das einschreitende Amtsorgan am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientiert hat, ergibt sich insbesondere daraus, dass der Versuch, über die Tür Nr 7 den Wintergarten zu erreichen, abgebrochen wurde, um eine weitere Eskalation zu verhindern.
Es ist wohl richtig, dass ein Fehlverhalten in einzelnen Teilbereichen zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme insgesamt führt; auch wenn sich die Bf bei ihrem unberechtigten Widerstand geringfügige Verletzungen zugezogen hat, lässt sich daraus noch kein Fehlverhalten und daher keine daraus ableitbare Unverhältnismäßigkeit ableiten. Eine Sachbeschädigung wurde gar nicht festgestellt.