04.09.2008 Verkehrsrecht

VwGH: Hintereinander fahren mit zu geringem Abstand gem § 18 StVO - Ausführungen zur Beweiswürdigung hinsichtlich der Messung des Tiefenabstandes

Hängt das Ergebnis eines Messvorganges von subjektiven Entscheidungen des Beamten ab - hier vom Setzen der Messlinien - muss dieser Vorgang zu einem späteren Zeitpunkt auf seine Genauigkeit überprüfbar sein


Schlagworte: Straßenverkehrsrecht, Hintereinander fahren, Tiefenabstand
Gesetze:

§ 18 Abs 1 StVO, § 99 Abs 2c Z 4 StVO

GZ 2008/02/0058, 25.06.2008

Der Beschwerdeführer wurde wegen Einhaltens eines zu geringen Abstands zum nächsten KFZ (§ 18 Abs 1 iVm § 99 Abs 2c Z 4 StVO) auf der A2 zu einer Geldstrafe verurteilt.

Die belangte Behörde führte am 11. Jänner 2008 eine Verhandlung durch, in der der Beamte, der die Messung mit dem genannten Gerät durchgeführt hat, ausführte, er sei geschult für diese Anlagen und führe Messungen regelmäßig durch. An die konkrete Messung könne er sich nicht erinnern. Zur Messung sitze er im Fahrzeug und beobachte den Verkehr durch die Videokamera. Wenn ihm ein Fahrzeug auffalle, starte er die Videoaufnahme. Unterhalb der Brücke befänden sich entlang der Autobahn drei Kontrollpunkte bei 0 m, 75 m und 150 m. Nach dem Passieren dieser Kontrollpunkte durch ein Fahrzeug stoppe er den Film, lasse diesen zurücklaufen und setze mit der Maus die Messlinien auf die Reifenaufstandspunkte. Zuerst werde das erste Fahrzeug, dann das zweite Fahrzeug gemessen. Dann lasse er das Videoband zur Nulllinie vorfahren, wo Messlinien auf den Reifenaufstandspunkt vom ersten Fahrzeug und vom zweiten Fahrzeug gesetzt würden. So könne er den Abstand von Vorderfront zu Vorderfront (von Vorderrad zu Vorderrad) erhalten, dann werde die Fahrzeuglänge des ersten Fahrzeuges abgezogen. Es würden nur jene Fahrzeuglenker angezeigt, deren Abstand zum Vordermann unter 0,5 Sekunden betrage. Über Befragen durch den Sachverständigen gab der Beamte weiter an, die Messlinien würden zunächst auf die Reifenaufstandspunkte des hinteren Fahrzeuges (des Vorderrades des hinteren Fahrzeuges) aufgesetzt, dann auf den Radaufstandspunkt des voranfahrenden Fahrzeuges. Dann werde der Film nach vor gespult und dann fange er wieder beim hinteren Fahrzeug an, die Reifenaufstandspunkte einzumessen. Dann wiederum vom vorderen Fahrzeug (das Vorderrad mit dem Radaufstandspunkt), dann werde der Radstand des voranfahrenden Fahrzeuges abgezogen. Nach der Messung bekomme er einen Abstandswert. Im Beschwerdefall seien dies 15,8 m gewesen, abzüglich des Radstandes von 2,3 m ergebe dies 13,5 m. Dieser Wert sei zu Gunsten des Beschuldigten auf 14 m aufgewertet worden. Die Anlage mache ein Foto vom Anklicken des ersten Radaufstandspunktes und dann wieder vom Anklicken des zweiten Radaufstandpunktes. Diese Fotos seien zur Dokumentation im Akt. Weitere Fotos seien nicht vorgeschrieben. Am ersten Foto sei die Breite des Messbalkens angezeigt, dieser liege zwischen 84,3 m und 83,2 m. Vom System werde hier der günstigere Wert für den Beschuldigten genommen. Von den anderen gesetzten Messpunkten gebe es keine Fotos. Das Videoband existiere noch, man sehe darauf nur das Fahrzeug fahren, aber keine Messung. Er lege die Messlinien immer nach bestem Wissen und Gewissen auf den Radaufstandspunkt. An die konkrete Messung könne er sich natürlich nicht erinnern, in Niederösterreich gebe es acht oder neun Messstellen.

Der Beschwerdeführer bringt vor, die Richtigkeit der Messung des Tiefenabstandes mit dem Gerät VKS 3.0-VIDIT könne nicht nachvollzogen werden. Die belangte Behörde hätte den genannten Sicherheitsabstand von 14 m bzw 0,38 Sekunden nicht feststellen dürfen, weil sich der messende Beamte einerseits an die konkrete Messung nicht erinnern könne, und anderseits nicht nachvollzogen werden könne, ob die Messlinien vom Beamten richtig gesetzt worden seien.

VwGH: Die belangte Behörde hat sich nicht mit der vom Beschwerdeführer bereits in der Berufung aufgeworfenen Frage der Nachvollziehbarkeit der konkreten Abstandsmessung auseinandergesetzt. Das Gutachten des Sachverständigen baut auf der Glaubwürdigkeit des messenden Beamten auf, der angab, die nicht auf den Fotos festgehaltenen weiteren drei Messlinien "richtig" gesetzt zu haben, sich jedoch an die konkrete Messung nicht erinnern zu können.

Schon an diesem Punkt wäre es geboten gewesen, sich mit der Aussage des Beamten näher zu befassen, zumal er zunächst angab, "Es wird zuerst das erste Fahrzeug, dann das zweite Fahrzeug gemessen" und über Befragen durch den Sachverständigen danach aussagte "Es wird die Messlinie zunächst auf die Reifenaufstandspunkte des hinteren Fahrzeuges (des Vorderrades vom hinteren Fahrzeug) aufgesetzt, dann auf dem Radaufstandspunkt des voran fahrenden Fahrzeuges". Geht man davon aus, dass die drei weiteren Messlinien tatsächlich bei dem Messverfahren nicht objektiv feststellbar sind, kann das Fehlen eines solchen objektiven Beweises nicht durch die Aussage des messenden Beamten, der sich an die Messung naturgemäß nicht mehr erinnern kann und selbst bei der allgemeinen Beschreibung der Durchführung der Messung keine einheitlichen Angaben machte, ersetzt werden. Hängt nämlich das Ergebnis eines Messvorganges von subjektiven Entscheidungen des Beamten ab - im Beschwerdefall vom Setzen der Messlinien - muss dieser Vorgang zu einem späteren Zeitpunkt auf seine Genauigkeit überprüfbar sein. Erst wenn objektiv feststellbar ist, dass die Messlinien an den in der Betriebsanleitung vorgesehenen Stellen gesetzt wurden, kann die Verlässlichkeit der vorgenommenen Abstandsmessung abschließend beurteilt werden.

Im Beschwerdefall blieb zudem unaufgeklärt, weshalb der nach den Angaben des Beamten noch vorhandene Videofilm nicht neuerlich ausgewertet wurde oder weshalb lediglich zwei anstatt der für die Nachvollziehbarkeit der Richtigkeit der Messung erforderlichen fünf Fotos mit Messlinien vorhanden sind. Gerade dann aber, wenn es technisch nicht ausgeschlossen ist, dass die einer Abstandsmessung zu Grunde gelegten Faktoren auch später noch nachvollzogen werden können, kann das Auslangen nicht mit Vermutungen gefunden werden. In Grenzbereichen von Messergebnissen, wo minimale Verschiebungen (hier um ein Pixel) die Strafbarkeit ausschlössen, muss die Überschreitung ausführlich und nachvollziehbar begründet werden.