VwGH: Zur Frage, ob die Behörde aus Anlass der Berufung einer Partei mit nur eingeschränktem Mitspracherecht eine Überprüfung der Rechtsrichtigkeit des erstinstanzlichen Bescheides ohne Beschränkung auf jenen Bereich vornehmen darf, in dem die Partei mitspracheberechtigt ist (hier iZm UVP-G)
Sache iSd § 66 Abs 4 AVG ist ausschließlich jener Bereich, in welchem dem Bw ein Mitspracherecht zusteht
§ 66 Abs 4 AVG, § 8 AVG, § 19 UVP-G
GZ 2010/06/0262, 22.12.2010
Die Bf führt aus, die Entscheidungsbefugnis der Berufungsbehörde sei im Falle der Berufung von Parteien, denen wie im vorliegenden Fall nur ein eingeschränktes Mitspracherecht zustehe, auf jenen Bereich beschränkt, in dem das Mitspracherecht bestehe.
VwGH: Nach stRsp des VwGH darf die Berufungsbehörde auf Grund der von einer Partei mit einem eingeschränkten Mitspracherecht erhobenen Berufung bei ihrer Entscheidung nicht über den Themenkreis hinausgehen, in dem diese Partei mitzuwirken berechtigt ist. Sache iSd § 66 Abs 4 AVG ist ausschließlich jener Bereich, in welchem dem Bw ein Mitspracherecht zusteht. Die Berufungsbehörde ist auch nicht berechtigt, aus Anlass der Berufung andere Fragen als (rechtzeitig geltend gemachte) Rechtsverletzungen der betreffenden Partei aufzugreifen.
Dem von der belangten Behörde zur Stützung ihres Standpunktes herangezogenen Erkenntnis vom 10. Juni 1999, 96/07/0191, in dem es um einen Ersatz für Sachverständigengebühren ging, ist zwar die gegenteilige Auffassung zu entnehmen: (Wörtlich: "Darüber hinaus vertritt der VwGH die Auffassung ...") Der Berufungsbehörde erwachse mit einer zulässigen Berufung durch welche Partei des Verfahrens immer jedenfalls im Anlagenbewilligungsverfahren eine völlig uneingeschränkte Befugnis, die von der Behörde - und nur von der Behörde - wahrnehmbaren öffentlichen Interessen umfassend und damit auch dort und in jenem Ausmaß zu prüfen, wo und in welchem Ausmaß eine Prüfung der zu beachtenden öffentlichen Interessen von der Erstbehörde verabsäumt worden sei. Diese Auffassung ist allerdings vereinzelt geblieben und war als "obiter dictum" nicht tragend für die Entscheidung. Der VwGH ist in seiner späteren Judikatur darauf auch nicht mehr zurückgekommen.
Es führt aber - im Gegensatz zu der von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift vertretenen Auffassung - auch die der Behörde durch das UVP-G 2000 auferlegte Verpflichtung zur "integrativen Betrachtungsweise" nicht zum Ergebnis, dem Umweltsenat komme als Berufungsbehörde - abweichend vom Regelfall - eine uneingeschränkte Entscheidungsbefugnis zu. Dem UVP-G 2000 liegt nämlich im Gegenteil der Standpunkt zu Grunde, dass öffentliche Interessen im Verfahren nur von Parteien geltend gemacht werden können, denen dies als subjektives Recht ausdrücklich zugestanden ist. Das ergibt sich daraus, dass das UVP-G 2000 zwei Arten von Parteien vorsieht, und zwar einerseits solche Parteien, die sie betreffende subjektive Rechte im Verfahren geltend machen können, und andererseits solche Parteien, die öffentliche Interessen (Einhaltung von Umweltschutzvorschriften) als subjektive Rechte im Verfahren geltend machen können. Die öffentlichen Interessen können daher auch nur von den letztgenannten, nicht aber von allen Parteien an die Berufungsbehörde herangetragen werden (vgl § 19 Abs 3 und 10 UVP-G 2000). Eine Befugnis der Berufungsbehörde, über die Rechtsrichtigkeit des erstbehördlichen Bescheides abzusprechen, ist daher nur in jenem Umfang gegeben, in dem eine Partei eine Rechtsverletzung bei der Berufungsbehörde geltend machen kann. Die Zulässigkeit der Wahrnehmung öffentlicher Interessen durch die Berufungsbehörde hängt folglich davon ab, ob diese von einem Bw, der dazu befugt war, geltend gemacht wurden, und zwar unabhängig davon, dass die Behörde erster Instanz selbstverständlich zu einer umfassenden Prüfung verpflichtet ist.
Soweit sich die mitbeteiligten Parteien in der Berufung auf ihre Stellung als "UVP-Nachbarn" beriefen, konnten sie damit jedenfalls keine öffentlichen Interessen des Forstwesens geltend machen (vgl § 19 Abs 1 Z 1 UVP-G 2000). Die mitbeteiligten Parteien konnten aber auch als - wie sie in ihrer Berufung behaupteten - "Materiengesetznachbarn" gem § 19 Abs 1 Z 2 UVP-G 2000 iVm § 19 Abs 4 Z 4 ForstG gegen die von der Bf beantragte Rodung ein subjektives Recht (nur) insoweit geltend machen, als es um den Schutz von Waldflächen, an denen sie Eigentum haben oder dinglich berechtigt sind, vor nachteiligen Einwirkungen geht, die durch die Rodung hervorgerufen werden, nicht hingegen die Beeinträchtigung anderer öffentlicher Interessen. Soweit sie sich daher gegen die Annahmen der Erstbehörde betreffend das Vorliegen eines öffentlichen Interesses an der beantragten Rodung wenden, gehen sie über jenen Bereich hinaus, in welchem ihnen ein Mitspracherecht eingeräumt ist.
Dies führt im Ergebnis zu einer eingeschränkten Prüfungsbefugnis der Berufungsbehörde, da der belangten Behörde nur die Berufungen der Mitbeteiligten vorlagen, denen kein umfassendes Mitspracherecht gesetzlich eingeräumt ist. Der belangten Behörde war es verwehrt, auf Grund dieser Berufungen die Frage aufzugreifen, ob entsprechend den Annahmen der Behörde erster Instanz an der beantragten Rodung ein das öffentliche Interesse an der Walderhaltung überwiegendes öffentliches Interesse besteht.