VwGH: Missbrauch von Formen und durch Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechtes iSv § 539a Abs 2 ASVG iZm einvernehmlicher Auflösung des Dienstverhältnisses während des entgeltpflichtigen Krankenstandes mit gleichzeitiger Zusage der erneuten Anstellung nach Gesundschreibung
Die mit dieser Vereinbarung - mit Blick auf die Wiedereinstellungszusage - angestrebte, bloß vorübergehende Sistierung der Hauptpflichten des Beschäftigungsverhältnisses, die einer Karenzierung gleichkommt, hat kein zureichendes Substrat, wenn und solange den Erstmitbeteiligten für die Dauer seiner Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit (dh zugleich für die Dauer der Karenzierung/Unterbrechung) eine Arbeitspflicht gar nicht getroffen hat; die denkmöglichen Zwecke einer solchen Vereinbarung reduzieren sich daher bei Betrachtung ihres wahren wirtschaftlichen Gehalts (§ 539a Abs 1 ASVG) in Ermangelung einer anderen, die Vereinbarung denkmöglich tragenden Absicht der Parteien, auf eine bloße Abdingung der Entgeltfortzahlungspflicht im Krankheitsfall, deren Zulässigkeit aber an § 6 EFZG scheitert
§ 539a Abs 2 ASVG, § 2 EFZG, § 5 EFZG, § 6 EFZG
GZ 2007/08/0327, 14.04.2010
Der Erstmitbeteiligte, der zum damaligen Zeitpunkt bei der bf Partei beschäftigt war, erlitt am 25. Juni 2005 einen Freizeitunfall; er war deshalb anschließend bis zum 24. Juli 2005 arbeitsunfähig und befand sich im Krankenstand. Am 28. Juni 2005 erfolgte die Abmeldung des Erstmitbeteiligten zur Pflichtversicherung durch die bf Partei rückwirkend mit 27. Juni 2005 mit der Begründung, dass eine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses am 27. Juni 2005 erfolgt sei. Mit 25. Juli 2005 wurde der Erstmitbeteiligte von der bf Partei wieder zur Pflichtversicherung angemeldet.
Im Akt befindet sich ein vom Erstmitbeteiligten am 25. Juli 2005 ausgefüllter Fragebogen der mitbeteiligten GKK. Darin gab er an, dass die Beendigung des Dienstverhältnisses am 27. Juni 2005 nach einem am 25. Juni 2005 erlittenen Unfall (somit während des Krankenstandes) vereinbart worden sei. Dieser Zeitpunkt sei gewählt worden, weil die Vermutung bestanden habe, dass der Heilungsprozess länger als sechs Wochen dauern würde. Die Initiative zur Beendigung des Dienstverhältnisses sei vom Dienstgeber ausgegangen. Eine Wiedereinstellung nach dem Krankenstand sei vom Dienstgeber unmittelbar nach der Vereinbarung festgelegt worden. Konkret sei die Wiedereinstellung nach Gesundschreiben des Chefarztes vereinbart worden.
VwGH: Zu einem sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnis gehört die Willensübereinstimmung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, dass abhängige Dienste entgeltlich geleistet und diese entgegengenommen werden. Auch der einseitige Wegfall dieses Willens - insbesondere auf Seiten des Dienstgebers, wenn dieser die entgeltlichen abhängigen Dienste also nicht mehr in Empfang nehmen möchte - beendet das sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis, mag auch das arbeitsrechtliche Verhältnis dadurch allein nicht einseitig aufgelöst sein.
Eine Ausnahme hievon ist bei den sog "diktierten Rechtsverhältnissen" gegeben. Solche liegen insbesondere vor, wenn der weggefallene Wille des Dienstgebers, weiterhin Leistungen in Empfang zu nehmen, durch Gesetz oder Richterspruch substituiert wird: In diesen Fällen besteht ein Beschäftigungsverhältnis, so lange der Arbeitnehmer, wenn auch gegen den Willen des anderen Teiles, abhängige Arbeit leistet oder - sofern ihm dies verwehrt wird - in Arbeitsbereitschaft verharrt.
Ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis außerhalb der erwähnten "diktierten Rechtsverhältnisse" kann somit durch einseitige (unter Umständen sogar den Arbeitsvertrag oder das Gesetz verletzende) Handlungen des Dienstgebers, aber auch durch solche des Dienstnehmers beendet werden, es kann aber auch durch eine einvernehmliche Auflösung, die grundsätzlich an keine besonderen Bedingungen gebunden ist, zu einer Beendigung des Dienstverhältnisses kommen.
Der VwGH hat sich bereits im Erkenntnis vom 23. Jänner 2008, 2006/08/0325, eingehend mit der Frage der arbeitsrechtlichen Wirksamkeit und sozialversicherungsrechtlichen Beachtlichkeit einer einvernehmlichen Auflösung eines Dienstverhältnisses während eines entgeltpflichtigen Krankenstandes auseinander gesetzt und dazu ausgeführt:"Ein Missbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechtes iSd § 539a ASVG liegt jedenfalls dann vor, wenn die Gestaltung der rechtlichen Verhältnisse anders als mit der Absicht der Umgehung gesetzlicher Verpflichtungen nicht erklärt werden kann. An Stelle der nach der erwähnten Gesetzesstelle unbeachtlichen Konstruktion tritt gem § 539a Abs 3 ASVG jene, die den wirtschaftlichen Vorgängen, Tatsachen und Verhältnissen angemessen gewesen wäre. Scheingeschäfte bleiben nach Abs 4 der erwähnten Bestimmung ohne Bedeutung.
Die einvernehmliche Auflösung eines Arbeitsverhältnisses stellt grundsätzlich keinen Missbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts dar; es handelt sich dabei um eine von mehreren rechtlichen Möglichkeiten, ein Arbeitsverhältnis zu beenden. Insbesondere kann nicht gesagt werden, dass es geradezu missbräuchlich oder dass es wirtschaftlich ganz ungewöhnlich wäre, die Absicht zur Auflösung eines Dienstverhältnisses nicht durch Kündigung zu verwirklichen, sondern durch eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Eine Auflösungsvereinbarung kann angesichts der differenzierenden Regelung des § 5 EFZG aber auch 'bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise' nicht einer Arbeitgeberkündigung gleichgehalten werden. Ein 'Umgehungsgeschäft' kann eine Vereinbarung nur dann sein, wenn der Bestand des Arbeitsverhältnisses schlechthin Schutzobjekt der §§ 5 und 6 EFZG wäre, ein 'Scheingeschäft' nur dann, wenn es auch ein von den Parteien der Vereinbarung in Wahrheit gewolltes 'verdecktes Geschäft' gäbe."
Der hier zu beurteilende Sachverhalt ist aber mit diesem Erkenntnis nicht vergleichbar:Die vereinbarte Wiedereinstellungszusage "nach Gesundschreibung durch den Chefarzt" zeigt nämlich, dass die Parteien - anders als nach dem Sachverhalt des zuvor zitierten Erkenntnisses - keineswegs beabsichtigt haben, das Beschäftigungsverhältnis dauernd zu beenden. Die bf Partei kann sich aber auch nicht darauf berufen, dass die Vereinbarung zulässigerweise auf eine Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses für die Dauer der Erkrankung gerichtet gewesen sei: Die mit dieser Vereinbarung - mit Blick auf die Wiedereinstellungszusage - angestrebte, bloß vorübergehende Sistierung der Hauptpflichten des Beschäftigungsverhältnisses, die einer Karenzierung gleichkommt, hat nämlich kein zureichendes Substrat, wenn und solange den Erstmitbeteiligten für die Dauer seiner Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit (dh zugleich für die Dauer der Karenzierung/Unterbrechung) eine Arbeitspflicht gar nicht getroffen hat. Die denkmöglichen Zwecke einer solchen Vereinbarung reduzieren sich daher bei Betrachtung ihres wahren wirtschaftlichen Gehalts (§ 539a Abs 1 ASVG) in Ermangelung einer anderen, die Vereinbarung denkmöglich tragenden Absicht der Parteien, auf eine bloße Abdingung der Entgeltfortzahlungspflicht im Krankheitsfall, deren Zulässigkeit aber an § 6 EFZG scheitert. Die Vereinbarung ist daher, da sie bei wahrer wirtschaftlicher Betrachtungsweise entgegen § 6 EFZG den Entgeltfortzahlungsanspruch des Erstmitbeteiligten ausschließt, nichtig. Die belangte Behörde hat daher im Ergebnis zu Recht die sozialversicherungsrechtliche Beachtlichkeit der Auflösungsvereinbarung verneint und das Weiterbestehen der Versicherungspflicht des Erstmitbeteiligten im gegenständlichen Zeitraum bejaht.