15.05.2008 Sicherheitsrecht

VwGH: Löschung erkennungsdienstlicher Daten und Prognose hinsichtlich Begehung gefährlicher Angriffe

Aus einer bloßen Anzeigeerstattung oder Verdachtslage können keinesfalls Schlüsse in Richtung eines künftigen Fehlverhaltens gezogen werden


Schlagworte: Sicherheitspolizeirecht, Löschung erkennungsdienstlicher Daten, gefährliche Angriffe, Anzeige, Verdachtslage
Gesetze:

§ 74 SPG

GZ 2007/21/0508, 28.02.2008

Im Gefolge der Anzeigeerstattung (Verdacht der Begehung des Vergehens nach § 107 Abs 1 StGB) war der Beschwerdeführer erkennungsdienstlich behandelt worden. Nach Zurücklegung der Strafanzeige gem § 90 Abs 1 StPO stellte er den Antrag, die erhobenen erkennungsdienstlichen Daten zu löschen. Die Sicherheitsdirektion wies diesen Antrag gem § 74 Abs 1 und 2 iVm §§ 65 Abs 1 und 67 Abs 1 SPG ab.

VwGH: Gemäß § 74 Abs 1 SPG sind erkennungsdienstliche Daten, die gem § 65 Abs 1 SPG ermittelt wurden, auf Antrag des Betroffenen zu löschen, wenn der Verdacht, der für ihre Verarbeitung maßgeblich ist, schließlich nicht bestätigt werden konnte oder wenn die Tat nicht rechtswidrig war. Gem § 74 Abs 2 SPG ist dem Antrag jedoch nicht stattzugeben, wenn weiteres Verarbeiten deshalb erforderlich ist, weil auf Grund konkreter Umstände zu befürchten ist, der Betroffene werde gefährliche Angriffe begehen.

Diese Umstände erblickte die belangte Behörde darin, dass der Beschwerdeführer am 2. Februar 2005 - weil bei ihm am 22. Jänner 2005 Suchgift gefunden worden sei - und am 1. Mai 2005 - weil er in Verdacht gestanden habe, am 29. April 2005 an einem versuchten Diebstahl aus einem abgestellten PKW beteiligt gewesen zu sein - angezeigt worden sei. Diese Anzeigen seien (die erstgenannte gem § 35 Abs 1 SMG vorläufig, die zweitgenannte gem § 90 StPO) zurückgelegt worden. Mit Urteil des BG Dornbirn vom 18. August 2005 jedoch sei der Beschwerdeführer gem §§ 88 Abs 1 und 94 Abs 1 StGB verurteilt worden, weil er am 15. Mai 2004 mit einem PKW einen Verkehrsunfall verursacht und dabei einen Radfahrer fahrlässig leicht am Körper verletzt und weil er nach diesem Unfall seine Fahrt fortgesetzt und es unterlassen habe, dem Radfahrer die erforderliche Hilfe zu leisten. Bei der anzustellenden Prognoseentscheidung sei nicht nur auf diese letztgenannte Verurteilung abzustellen, sondern es sei der "gesamte aktenkundige Sachverhalt" zu berücksichtigen. Dabei zeige sich, dass der Beschwerdeführer mehrfach wegen unterschiedlicher Delikte zur Anzeige gelangt sei. "Im Rahmen der Beweiswürdigung" würden die bekannt gewordenen Sachverhalte dahingehend gewertet, dass der Beschwerdeführer einerseits bewusst gegen die Rechtsordnung verstoßen habe - Hinweise darauf, dass ihm etwa nicht bekannt gewesen sei, dass der Besitz von Suchtmitteln verboten sei, lägen nicht vor -, andererseits manifestiere insbesondere der Vorfall betreffend Imstichlassens eines Verletzten, dass der Beschwerdeführer geschützte Rechtsgüter und Personen nicht im von der Rechtsordnung erforderlichen Ausmaß achte. Vor allem die vom Beschwerdeführer gezeigte persönliche Einstellung zu den von der Rechtsordnung geschützten Gütern und die bereits erfolgte Verurteilung wegen §§ 88 Abs 1 und 94 Abs 1 StGB ließen befürchten, dass er gefährliche Angriffe begehen werde.

Diese Überlegung erweist sich in mehrfacher Hinsicht als verfehlt. Soweit die belangte Behörde bloß auf die Anzeigeerstattung als solche oder auf eine Verdachtslage Bezug nahm, ist ihr zunächst zu entgegnen, dass daraus keinesfalls Schlüsse in Richtung eines künftigen Fehlverhaltens gezogen werden können. Im Übrigen hätte sich die belangte Behörde aber nicht mit der Feststellung, der Beschwerdeführer habe gegen die Rechtsordnung verstoßen (Besitz von Suchtgift) und mit der bloß rudimentären Darstellung des der Verurteilung vom 18. August 2005 zu Grunde liegenden Fehlverhaltens begnügen dürfen. Vielmehr hätte sie eine nähere Darstellung der Tathandlungen und des Geschehensablaufs vornehmen müssen, weil nur daraus - allenfalls - konkrete Umstände abgeleitet werden könnten, die die Begehung gefährlicher Angriffe seitens des Beschwerdeführers befürchten ließen. Die belangte Behörde hat aber insgesamt eine nähere Auseinandersetzung mit dem strafrechtlich relevanten Vorverhalten des Beschwerdeführers unterlassen. Was den unbestrittenen Suchtgiftbesitz des Beschwerdeführers anlangt, so hat sie nämlich offenkundig nicht darauf Bedacht genommen, dass der Beschwerdeführer insoweit gar keinen gefährlichen Angriff verwirklicht haben kann. Das ergibt sich daraus, dass die Anzeige nach § 27 Abs 1 SMG gem § 35 Abs 1 SMG vorläufig zurückgelegt wurde, was nur in Betracht kam, wenn der Beschwerdeführer ("bloß") eine geringe Menge Suchtmittel zum eigenen Gebrauch erworben oder besessen hatte. Gem § 16 Abs 2 Z 4 SPG liegt in einem solchen Fall aber kein gefährlicher Angriff vor. Was die strafgerichtliche Verurteilung anlangt, so hat die belangte Behörde nicht einmal die Höhe der Strafe wiedergegeben. Aus den Verwaltungsakten ergibt sich, dass der Beschwerdeführer zu einer Geldstrafe im Ausmaß von 80 Tagessätzen verurteilt wurde. Aus dem im Verwaltungsakt erliegenden Urteil ergibt sich aber auch, dass das Strafgericht eine "Provokation durch Geschädigten" als mildernden Umstand erachtete, auch das hätte die belangte Behörde berücksichtigen müssen.