20.10.2010 Fremdenrecht

VwGH: Verbüßung einer Strafhaft - Arbeitslosenversicherungspflicht (§ 66a AlVG) bei (zu erwartender) Abschiebung?

Ausländische Strafgefangene, die nicht Staatsangehörige eines EWR-Staates sind, sowie auch solche, bei denen damit zu rechnen ist, dass ihnen nach Verbüßung der Strafhaft die Abschiebung droht, sind aufgrund der im Sozialversicherungsrecht vorherrschenden Prinzipien der Einkommens- und der Risikosolidarität während ihrer Arbeitsleistung in der Strafhaft arbeitslosenversichert und daher beitragspflichtig


Schlagworte: Arbeitslosenversicherungsrecht, Strafvollzugsrecht, Ausländer, Sonderbestimmungen für Strafgefangene, Abschiebung
Gesetze:

§ 66a AlVG, § 7 AlVG, § 69 ASVG

GZ 2009/08/0129, 08.09.2010

Die Beschwerde wendet eine Verletzung des Gleichheitssatzes ein: Nur jene Personen könnten in der Arbeitslosenversicherung beitragspflichtig sein, die zumindest hypothetisch dem versicherten Risiko Arbeitslosigkeit ausgesetzt seien und daher zumindest potentiell Anspruch auf Leistungen aus dem AlVG hätten. Dies sei aber beim Bf nicht der Fall, weil er nicht vermittlungsfähig sei. Er werde nach Beendigung der Strafhaft abgeschoben, es gebe bereits einen "Abschubbescheid".

VwGH: Die Arbeitslosenversicherung ist - ungeachtet der Tatsache, dass sie nicht in Selbstverwaltung besorgt wird - ein Zweig der Sozialversicherung. Grundgedanke jeder Sozialversicherung ist die Zusammenfassung der Angehörigen eines Berufsstandes zu einer Riskengemeinschaft, wobei es Sache des Gesetzgebers ist, im Rahmen seiner rechtspolitischen Gestaltungsfreiheit innerhalb der Schranken der Verfassung und dabei insbesondere des dem Gleichheitssatz innewohnenden Sachlichkeitsgebotes die Grenzen für die Einbeziehung bestimmter Berufsgruppen in eine Sozialversicherungspflicht zu ziehen. Innerhalb der jeweiligen Riskengemeinschaft steht der Versorgungsgedanke im Vordergrund, wohingegen der Versicherungsgedanke in der Ausprägung der Vertragsversicherung zurückgedrängt ist. Es gilt daher in der Sozialversicherung nicht der Grundsatz der Äquivalenz von Beitragsleistung und Versicherungsleistung, sodass auch in Kauf genommen werden muss, dass es in manchen Fällen trotz Leistung von Pflichtbeiträgen zu keiner Versicherungsleistung kommt. Der Gesetzgeber ist daher durch den Gleichheitssatz nicht gehalten, Personen, bei denen das versicherte Risiko nicht oder in ganz seltenen Fällen zum Tragen kommen kann, von einer solchen Versicherung auszunehmen.

Dass gerade ehemalige Häftlinge von dem - nunmehr versicherten - Risiko der Arbeitslosigkeit häufig betroffen sind, war maßgebliches Motiv des Gesetzgebers für die Einführung der Bestimmung des § 66a AlVG.

Es ist zwar wenig wahrscheinlich, dass ein Fremder, der nicht Angehöriger eines Vertragsstaats des EWR ist, nach Verbüßung der Strafhaft Anspruch auf Arbeitslosengeld haben wird (§ 7 Abs 3 Z 2 AlVG: berechtigter Aufenthalt im Bundesgebiet, um eine unselbständige Beschäftigung aufzunehmen und auszuüben). Gänzlich ausgeschlossen ist dies aber - anders als bei einem gesetzlichen Ausschluss eines Anspruches auf Arbeitslosengeld trotz Arbeitslosenversicherung - nicht. Der VwGH hegt daher keine Bedenken dagegen, dass auch ausländische Strafgefangene, die nicht Staatsangehörige eines EWR-Staates sind, sowie auch solche, bei denen damit zu rechnen ist, dass ihnen nach Verbüßung der Strafhaft die Abschiebung droht, aufgrund der im Sozialversicherungsrecht vorherrschenden Prinzipien der Einkommens- und der Risikosolidarität während ihrer Arbeitsleistung in der Strafhaft arbeitslosenversichert und daher beitragspflichtig sind.