05.01.2011 Baurecht

VwGH: Umweltsenat als Berufungsbehörde gem § 40 UVP-G - Beschränkung auf ersten und zweiten Abschnitt unionsrechtswidrig

In Angelegenheiten, in denen unionsrechtlich die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung geboten ist, hat ein Tribunal iSd Art 6 EMRK mit voller Kognition - vor einem Rechtszug an den VwGH - zu entscheiden; dieser unionsrechtlich gebotenen Rechtslage steht nach den österreichischen Rechtsvorschriften die Beschränkung der Zuständigkeit des Umweltsenates als Berufungsbehörde auf "Angelegenheiten des ersten und zweiten Abschnittes" des UVP-G 2000 in § 40 Abs 1 UVP-G 2000 und in § 5 USG entgegen


Schlagworte: Umweltverträglichkeitsprüfung, Berufung, Umweltsenat, Umweltverträglichkeitsprüfung für Bundesstraßen und Hochleistungsstrecken
Gesetze:

§ 40 Abs 1 UVP-G 2000, § 5 USG, Art 6 Abs 4 UVP-RL, Art 10a UVP-RL

GZ 2010/03/0051, 30.09.2010

VwGH: In Angelegenheiten, in denen unionsrechtlich die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung geboten ist, hat ein Tribunal iSd Art 6 EMRK mit voller Kognition - vor einem Rechtszug an den VwGH - zu entscheiden. Dieser unionsrechtlich gebotenen Rechtslage steht nach den österreichischen Rechtsvorschriften die Beschränkung der Zuständigkeit des Umweltsenates als Berufungsbehörde auf "Angelegenheiten des ersten und zweiten Abschnittes" des UVP-G 2000 in § 40 Abs 1 UVP-G 2000 und in § 5 USG entgegen.

Nach der Rsp des EuGH obliegt die sich aus einer Richtlinie ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das in dieser vorgesehene Ziel zu erreichen, sowie die Pflicht der Mitgliedstaaten gem Art 10 EG (vgl nunmehr Art 4 Abs 3 EUV), alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, allen Trägern öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch den Gerichten. Das nationale Gericht hat, soweit es das nationale Recht bei der Anwendung einer Richtlinie auszulegen hat, seine Auslegung soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Art 249 Abs 3 EG (nunmehr Art 288 Abs 3 AEUV) nachzukommen. Ist eine den Anforderungen der Richtlinie genügende Anwendung des nationalen Rechts nicht möglich, so ist das nationale Gericht verpflichtet, das Unionsrecht in vollem Umfang anzuwenden und die Rechte, die dieses dem Einzelnen einräumt, zu schützen, "indem es notfalls jene Bestimmung unangewendet lässt, deren Anwendung im konkreten Fall zu einem gegen diese Richtlinie verstoßenden Ergebnis führen würde, während die Nichtanwendung dieser Bestimmung das nationale Recht mit der Richtlinie in Einklang bringen würde".

Der EuGH hat im Urteil vom 19. Jänner 2010, C-555/07, wiederholt, dass es den nationalen Gerichten obliegt, den Rechtsschutz sicherzustellen, der sich für den Einzelnen aus den unionsrechtlichen Bestimmungen ergibt, und deren volle Wirkung zu gewährleisten, und dabei klargestellt, dass die Notwendigkeit der Gewährleistung der vollen Wirksamkeit unionsrechtlicher Bestimmungen auch "bedeutet, dass das nationale Gericht eine in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallende nationale Bestimmung, die es mit (dem Unionsrecht) für unvereinbar hält und die einer unionsrechtskonformen Auslegung nicht zugänglich ist, unangewendet lassen muss, ohne dass es verpflichtet oder gehindert wäre, zuvor den EuGH um Vorabentscheidung zu ersuchen".

Es sind daher die genannten, die Zuständigkeit des Umweltsenates auf Angelegenheiten des ersten und zweiten Abschnittes des UVP-G 2000 beschränkenden Rechtsvorschriften unangewendet zu lassen, sodass der Umweltsenat auch zur Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie in Angelegenheiten der Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem dritten Abschnitt des UVP-G 2000 - soweit diese unionsrechtlich geboten ist - zuständig ist. Dem steht auch nicht entgegen, dass es nach der Rsp des VfGH ausgeschlossen ist, dass die Entscheidung eines obersten Organes einem Instanzenzug unterliegt, da dem Unionsrecht auch Vorrang gegenüber dem innerstaatlichen Verfassungsrecht zukommt.

Aus dem Gesagten folgt, dass den bf Parteien das Recht der Berufung an den Umweltsenat zukommt. Dieses Rechtsmittel haben sie vor Erhebung der Beschwerde an den VwGH nicht ergriffen, weshalb die Beschwerden - in dem gem § 12 Abs 3 VwGG gebildeten Senat - mangels Erschöpfung des Instanzenzuges gem § 34 Abs 1 und 3 VwGG als unzulässig zurückzuweisen waren.

Hingewiesen wird auf die Möglichkeit, gem § 71 Abs 1 Z 2 AVG binnen zwei Wochen nach dem Zeitpunkt, in dem die bf Parteien von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt haben, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu stellen.