VwGH: Disziplinarstrafe der Entlassung nach § 92 Abs 1 Z 4 BDG bei Versetzungsmöglichkeit?
Sind geeignete Versetzungsmöglichkeiten - bei deren Inanspruchnahme die Begehung gleichartiger Disziplinarvergehen durch den Beamten mit ausreichender Wahrscheinlichkeit verhindert werden kann - offenkundig oder werden sie vom Beamten im Disziplinarverfahren konkret ins Treffen geführt, so kann diese Frage in der Begründung dafür, warum er dessen ungeachtet zu entlassen sei, nicht zur Gänze ausgeklammert bleiben
§§ 91 ff BDG
GZ 2006/09/0108, 24.06.2009
Der beschwerdeführende Disziplinaranwalt zieht die Feststellungen der belangten Behörde, dass sich die Mitbeteiligte auf ihrem neuen Arbeitsplatz bewährt habe, nicht ausdrücklich in Zweifel, er meint aber, dass die Mitbeteiligte als Beamtin des Bundes auf ihrem bisherigen Arbeitsplatz als Abteilungssekretärin der Abteilung II/8 des Bundeskanzleramtes untragbar geworden sei und daher zu entlassen gewesen wäre. Die belangte Behörde habe weder den zuständigen Abteilungsleiter noch den zuständigen Referatsleiter oder einen anderen Mitarbeiter der nunmehrigen Abteilung der Mitbeteiligten mit der Frage befasst, ob der Mitbeteiligten nunmehr auf ihrem neuen Arbeitsplatz eine Chance zur Bewährung eingeräumt worden sei.
VwGH: Der VwGH hat bereits darauf hingewiesen, dass es sich auch bei der Entlassung gem § 92 Abs 1 Z 4 BDG um eine Strafe handelt und sich die Disziplinarkommission auch bei einer objektiv schwer wiegenden Dienstpflichtverletzung gem § 93 Abs 1 dritter Satz BDG an den nach dem StGB für die Strafbemessung maßgebenden Gründen zu orientieren und gem § 32 Abs 1 StGB vom Ausmaß der Schuld des Täters als Grundlage für die Bemessung der Strafe auszugehen hat. Die Disziplinarkommission hat in jedem Fall die Erschwerungs- und die Milderungsgründe gegeneinander abzuwägen (§ 32 Abs 2 StGB) und dabei auf alle geltend gemachten oder der Aktenlage nach zu berücksichtigenden Milderungsgründe Bedacht zu nehmen.
Im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 14. November 2007, 2005/09/0115, ist der VwGH ausdrücklich von dem in der früheren Rechtsprechung entwickelten "Untragbarkeitsgrundsatz" abgegangen und hat betont, dass § 93 Abs 1 erster Satz BDG die Schwere der Dienstpflichtverletzung als "Maß für die Höhe der Strafe" festlegt. Dieser Maßstab richtet sich nach dem Ausmaß der Schuld iSd "Strafbemessungsschuld" des Strafrechtes. Für die Strafbemessung ist danach ausgehend vom objektiven Gewicht der Tat der Grad des Verschuldens maßgebend. Das objektive Gewicht der Tat (der "Unrechtsgehalt") wird dabei in jedem konkreten Einzelfall - in Ermangelung eines typisierten Straftatbestandskatalogs im Sinne etwa des StGB - wesentlich durch die objektive Schwere der in jedem Einzelfall konkret festzustellenden Rechtsgutbeeinträchtigung bestimmt.
Hinsichtlich des Grades des Verschuldens ist nach dem gem § 93 Abs 1 dritter Satz BDG zu berücksichtigenden § 32 StGB darauf Bedacht zu nehmen, inwieweit die Tat auf eine gegenüber rechtlich geschützten Werten ablehnende oder gleichgültige Einstellung des Täters und inwieweit sie auf äußere Umstände oder Beweggründe zurückzuführen ist, durch die sie auch einem mit rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen nahe liegen können.
Für die Strafbemessung im engeren Sinn ist weiters zu prüfen, inwieweit eine Disziplinarstrafe erforderlich ist, um den Täter von der weiteren Begehung von Dienstpflichtverletzungen abzuhalten; ferner sind die Erschwerungs- und Milderungsgründe iS der §§ 33 ff StGB zu berücksichtigen, die nicht die Tatbegehungsschuld betreffen, also im Zeitpunkt der Tatausübung noch nicht vorhanden waren, wie etwa die seither verstrichene Zeit, Schadenswiedergutmachung oder das reumütige Geständnis.
Der VwGH hat auch darauf hingewiesen, dass das gänzliche Außerachtlassen von Versetzungsmöglichkeiten (oder gar von schon erfolgten Versetzungen) nach den Gesetzesmaterialien dem Willen des Gesetzgebers nicht entspricht. Sind geeignete Versetzungsmöglichkeiten - bei deren Inanspruchnahme die Begehung gleichartiger Disziplinarvergehen durch den Beamten mit ausreichender Wahrscheinlichkeit verhindert werden kann - offenkundig oder werden sie vom Beamten im Disziplinarverfahren konkret ins Treffen geführt, so kann diese Frage in der Begründung dafür, warum er dessen ungeachtet zu entlassen sei, nicht zur Gänze ausgeklammert bleiben. Dies gilt auch für die Verwendung auf einem anderen Arbeitsplatz ohne Versetzung. Das bedeutet freilich keinen Anspruch des Betroffenen auf Versetzung oder Verwendung auf einem anderen Arbeitsplatz an Stelle einer Entlassung, sondern verpflichtet die Behörde lediglich dazu, sich in der Begründung ihrer Entscheidung mit einem diesbezüglichen im Verwaltungsverfahren erstatteten Vorbringen des Disziplinarbeschuldigten auseinander zu setzen.