OGH: Unredliche Bauführung - analoge Anwendung des § 416 ABGB beim Grenzüberbau von Liegenschaften, die verschiedenen Eigentümern gehören?
Würde man einen Eigentumserwerb des Bauführers am überbauten Grund auch im Fall von dessen Schlechtgläubigkeit annehmen, würde man sich in einen unauflöslichen Wertungswiderspruch zum Schadenersatzrecht setzen, das bereits bei leichter Fahrlässigkeit Schadenersatz, uzw in der Regel in Form von Naturalrestitution (§ 1323 ABGB), vorsieht
§ 416 ABGB, § 418 ABGB
GZ 6 Ob 167/10t, 11.10.2010
OGH: Außerbücherlicher Eigentumserwerb an der Baufläche iSd § 418 dritter Satz ABGB tritt nur ein, wenn der Grundeigentümer vom Bau weiß, ihn vorwerfbar aber dennoch nicht untersagt (sich also verschweigt) und der Bauführer redlich ist. Bei geringfügigem Grenzüberbau kann der Schikaneeinwand des Bauführers berechtigt sein, wenn die Verhaltensweise des Grundnachbarn überwiegend auf eine Schädigung des Bauführers abzielt und die Wahrung und Verfolgung der sich aus der Freiheit des Eigentums ergebenden Rechte deutlich in den Hintergrund tritt.
Bei "Eigengrenzüberbauten", wenn also der Eigentümer die Grenze zweier eigenen Liegenschaften (Grundstücke) überbaut, erwirbt selbst ein unredlicher Bauführer Eigentum an der überbauten Nachbargrundfläche, wenn diese nur geringwertig ist. Die überbaute Fläche wächst dem "Hauptteil" zu.
Nach Jabornegg ist der Grenzüberbau unter Einbeziehung grundsätzlicher Wertungen des § 418 ABGB im Allgemeinen nach §§ 415, 416 ABGB zu beurteilen. Ist die vom Bauführer in Anspruch genommene fremde Grundfläche wertmäßig im Vergleich zum gesamten Gebäude und der eigenen Grundfläche kaum von Gewicht, erwirbt der Bauführer - auch bei Unredlichkeit - analog zu § 416 ABGB schon mit der Bauführung auch das Eigentum an der Grundfläche. Ist der Grenzüberbau weder nach § 418 dritter Satz noch analog § 416 ABGB zu beurteilen, steht er gem § 415 ABGB im (außerbücherlich entstandenen) Miteigentum von Bauführer und Grundnachbar. Für den Fall, dass der redliche Grundnachbar einem unredlichen Bauführer gegenübersteht, hält auch Jabornegg einen Anspruch auf Naturalrestitution für möglich.
Der OGH hat zuletzt in der Entscheidung 1 Ob 239/08s zum Grenzüberbau Stellung genommen und zu einem dem vorliegenden Fall vergleichbaren Sachverhalt den "außerbücherlichen" Eigentumserwerb einer Bauführerin an einer von der Baumaßnahme betroffenen Grundfläche im Hinblick auf deren Unredlichkeit und das Untersagen der Bauführung durch den Grundeigentümer verneint. Weiters hat er die Auffassung vertreten, dass die zum Eigengrenzüberbau ergangene Rsp nicht mit dem zu beurteilenden Sachverhalt vergleichbar sei. Das Recht des Grundstückseigentümers werde nur durch das Verbot der schikanösen Rechtsausübung beschränkt.
Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts hat der OGH daher auch nach den zu "Eigengrenzüberbauten" ergangenen Entscheidungen 4 Ob 266/97i und 1 Ob 18/05b, in denen er der Meinung Jaborneggs gefolgt ist und die Anwendung des § 416 ABGB bejaht hat, beim Grenzüberbau von Liegenschaften, die verschiedenen Eigentümern gehören, keinen Anlass gesehen, von der stRsp abzugehen. Eine unterschiedliche Beurteilung rechtfertigt hier allein schon der Umstand, dass es sich beim Eigengrenzüberbau nicht um einen Fall des Bauens auf fremdem Grund iSd § 418 ABGB handelt. Würde man einen Eigentumserwerb des Bauführers am überbauten Grund auch im Fall von dessen Schlechtgläubigkeit annehmen, würde man sich zudem in einen unauflöslichen Wertungswiderspruch zum Schadenersatzrecht setzen, das bereits bei leichter Fahrlässigkeit Schadenersatz, uzw in der Regel in Form von Naturalrestitution (§ 1323 ABGB), vorsieht.