12.05.2011 Zivilrecht

OGH: Zur Frage der "Vorteilsausgleichung" im Enteignungsverfahren (hier: nach dem WRG)

§ 7 Abs 2 EisbEG betrifft nur die Projektvorteile im engsten Sinn des Worts; die "allgemeinen Planungsgewinne" aus der Erschließung eines gesamten Gebiets verbleiben hingegen dem Enteigneten so wie allen seinen Nachbarn, soweit sie sich zum Stichtag für die Entschädigungsbemessung schon im Wert des Grundstücks niedergeschlagen haben


Schlagworte: Enteignung, Wasserrecht, Entschädigung, Vorteilsaugleich, Projektvorteile im engsten Sinn des Worts, allgemeine Planungsgewinne
Gesetze:

§ 365 ABGB, § 7 Abs 2 EisbEG, § 117 Abs 4 WRG, § 118 Abs 1 WRG

GZ 1 Ob 230/10w, 23.02.2011

Nachdem kein Einvernehmen zwischen den Parteien über die Nutzung des Grundstücksstreifens für das Hochwasserschutzprojekt der Antragsgegnerin erzielt werden konnte, räumte ihr die zuständige Behörde auf ihren Antrag im wasserrechtlichen Verfahren bescheidmäßig eine Zwangsservitut ein, nämlich "die für die Errichtung, Erhaltung und den Betrieb der Bachumlegung notwendige Dienstbarkeit". Dadurch ist die Antragstellerin in ihrer Verfügungsmöglichkeit über den Grundstücksteil bzw in der Gestaltungsfreiheit jedenfalls insoweit eingeschränkt, als die Teilfläche nicht mehr als mögliche Erholungsfläche genutzt werden kann. Sonstige wertrelevante Faktoren des Grundstücks werden durch die Einräumung der Dienstbarkeit hingegen nicht berührt; das Fehlen bzw das Vorhandensein einer solchen Grünfläche hat keinen Einfluss auf die Höhe des zu erzielenden Mietzinses bzw auf die Höhe des für die Wohneinheiten erzielbaren Verkaufspreises.

Die Antragstellerin begehrt (nach § 117 Abs 4 WRG) eine Enteignungsentschädigung.

OGH: Vorweg ist festzuhalten, dass sich der OGH in der - auch in diesem Verfahren aufgeworfenen - Frage der "Vorteilsausgleichung", also der Berücksichtigung von vermögenswerten Vorteilen, die dem Enteigneten durch das Enteignungsprojekt zukommen, dem Ansatz von Rummel angeschlossen hat (2 Ob 282/05t). Im damals entschiedenen Fall war zwar die Begründung einer Servitut zu Zwecken des Betriebs einer U-Bahn zu beurteilen, doch sind die allgemeinen Grundsätze des Enteignungsrechts auch auf Enteignungen im wasserrechtlichen Verfahren, etwa nach § 63 lit b WRG, anzuwenden, wofür nach § 60 Abs 2 WRG eine angemessene Entschädigung zu leisten ist. § 118 Abs 1 WRG verweist insoweit auf die §§ 4 bis 7 EisbEG.

Gem § 7 Abs 2 EisbEG hat bei der Berechnung der Entschädigung ua eine Werterhöhung außer Betracht zu bleiben, die der Gegenstand der Enteignung infolge der Anlage der Eisenbahn erfährt; eine inhaltsgleiche Regelung findet sich in § 18 Abs 1 BStG. Diese Bestimmungen ordnen somit für den Fall werterhöhender Vorwirkungen die Vorverlegung des für die wertbestimmenden Eigenschaften des Grundstücks maßgebenden Zeitpunkts an. In der Regel wird dabei von der Qualität des Grundstücks auszugehen sein, die es besaß, bevor die eingeleitete Planung ihre werterhöhende Funktion wirksam werden ließ. Dies folgt schon aus dem Zweck der Enteignungsentschädigung, den Vermögensnachteil des Enteigneten bloß auszugleichen, nicht aber dessen Bereicherung herbeizuführen.

Rummel hat sich insbesondere mit der Frage beschäftigt, wie in dem Fall zu verfahren ist, in dem bei Teilenteignung das Restgrundstück durch das Enteignungsprojekt eine Werterhöhung erfährt, was im vorliegenden Fall von der Antragsgegnerin behauptet wurde. In der bereits zitierten Vorentscheidung folgte der OGH der Auffassung des Autors, dass § 7 Abs 2 EisbEG nur die Projektvorteile im engsten Sinn des Worts betreffe. Die "allgemeinen Planungsgewinne" aus der Erschließung eines gesamten Gebiets sollten hingegen dem Enteigneten so wie allen seinen Nachbarn verbleiben, soweit sie sich zum Stichtag für die Entschädigungsbemessung schon im Wert des Grundstücks niedergeschlagen hätten. Das Kausalitätserfordernis sei nach dem Wortlaut des § 7 Abs 2 EisbEG eindeutig auf das Projekt selbst beschränkt. Nur Wertsteigerungen des Grundstücks durch den Bau, also das Projekt selbst, blieben daher außer Betracht. Dies erfordere nach Rummel die (im Einzelfall schwierige) Unterscheidung zwischen der Kausalität der Projektplanung einerseits und jener der Projektausführung andererseits. Werde etwa eine ganze Gegend durch die Erschließung aufgewertet, solle der Enteignete nicht schlechter stehen als alle seine Nachbarn. Dies folgt aus dem Gedanken, dass Enteignungen grundsätzlich nur in Betracht kommen, wenn das Enteignungsprojekt überwiegende Vorteile im allgemeinen Interesse erwarten lässt (so für Wasserbauvorhaben § 63 lit b WRG). Ein Enteigneter wäre aber schlechter gestellt, wenn er im Wesentlichen dieselben Vorteile erlangte wie seine (nicht von Enteignungen betroffenen) Nachbarn, ihm diese Vorteile aber deshalb nicht verblieben, weil sie bei der Festsetzung der Enteignungsentschädigung als entschädigungsmindernd berücksichtigt würden.

Mit der (maßgeblichen) Frage, welcher Personenkreis vom konkreten Wasserschutzprojekt erhebliche Vorteile hat bzw haben wird, hat sich das Rekursgericht im Wesentlichen mit der Begründung nicht auseinandergesetzt, dass das Projekt selbst nach dem Vorbringen der Antragsgegnerin eine "ganze Gegend" aufwerte, zumal es doch drei Abschnitte mit zahlreichen betroffenen Liegenschaften umfasse und die konkret zu beurteilende Enteignung nur den zweiten Projektabschnitt betreffe. Dieser Umstand bietet nun nach Auffassung des erkennenden Senats noch keine ausreichende Entscheidungsgrundlage, um beurteilen zu können, ob vom Wasserschutzprojekt ein großer Personenkreis profitiert und sich zahlreiche begünstigte Liegenschaftseigentümer nicht durch Zurverfügungstellung von Grundstücksteilen an den Baumaßnahmen beteiligen müssen oder ob - wie dies die Antragsgegnerin behauptet - die Projektvorteile nur wenigen Liegenschaftseigentümern zugute kommen und dabei insbesondere die ohne das Projekt besonders hochwassergefährdete Liegenschaft der Antragstellerin begünstigt würde. Rummel hat etwa - am Beispiel eines Straßenbauprojekts - die Auffassung vertreten, steige durch das Projekt das gesamte Umland im Wert, solle der daraus resultierende Vorteil allen Liegenschaftseigentümern zugute kommen und damit auch die Entschädigung eines (teil-)enteigneten Liegenschaftseigentümers nicht mindern. Profitiere hingegen vom Projekt - und vorher schon von der Planung - nur ein schmales Gebiet rechts und links der künftigen Straße und ändere sich die Verwendungsmöglichkeit des übrigen Umlands nicht, dann spreche alles dafür, dass die Preissteigerung im Projektgebiet allein auf das Projekt im engeren Sinn und nicht auf allgemeine Planungsgewinne - mögen diese auch ohne Projekt nicht möglich sein - zurückgehe. Zusammenfassend seien nach dem Willen des historischen Gesetzgebers nur Werterhöhungen aufgrund von "Projektvorteilen" im engsten Sinn des Wortes bei der Ermittlung der Enteignungsentschädigung nicht zu berücksichtigen. Die bloßen allgemeinen Planungsgewinne aus der Erschließung eines ganzen Gebiets hingegen verblieben dem Enteigneten so wie allen seinen Nachbarn, so weit sie sich zum Stichtag der Entschädigungsbemessung schon im Wert des Grundstücks niedergeschlagen hätten.

Auch wenn es im hier zu beurteilenden Fall nicht um die Erschließung eines Gebiets durch den Bau einer Straße geht, können die dargelegten - von Rummel entwickelten und vom OGH zustimmend übernommenen - Grundsätze doch auch auf Enteignungsmaßnahmen zum Zwecke der Durchführung eines Wasserschutzprojekts herangezogen werden, mag auch hier die Abgrenzung zwischen den vom Enteignungsprojekt mitprofitierenden entfernteren Nachbarn und "unmittelbaren Betroffenen", denen gegebenenfalls erheblich größere Vorteile zukommen, noch schwieriger sein.

Die Antragsgegnerin hat nun schon im Verfahren erster Instanz behauptet, dass die Liegenschaft der Antragstellerin ohne die geplanten Hochwasserschutzmaßnahmen besonders überschwemmungsgefährdet sei und daher durch das Projekt eine im Verhältnis zu anderen Liegenschaften besonders hohe Wertsteigerung erfahre. Darüber hinaus hat sie (unbestritten) vorgebracht, alle anderen betroffenen Grundeigentümer hätten die Zustimmung zu den Projekten, insbesondere zu den Grundablösen, erteilt, wobei allerdings offen blieb, welche Grundeigentümer das waren, in welchem Umfang sie Grundstücksteile abgegeben haben und ob dies mit oder ohne Gegenleistung geschehen ist. Im fortgesetzten Verfahren werden nach Erörterung mit den Parteien ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sein, insbesondere zur Frage, ob die Antragstellerin zu jenen Liegenschaftseigentümern gehört, die eine (im Liegenschaftswert zum Ausdruck kommende) besondere Verbesserung bei Hochwasserereignissen erfahren wird.

Sollte sich ergeben, dass nur wenige Liegenschaftseigentümer in unverhältnismäßig höherem Maße - insbesondere durch eine wirtschaftlich relevante verbesserte Bebaubarkeit ihrer Liegenschaft - vom Projekt profitieren als die Mehrzahl der übrigen von Hochwasserereignissen geringer betroffenen Nachbarn, dürften bei der Bemessung einer allenfalls zu leistenden Enteignungsentschädigung der wirtschaftlich erfassbare besondere Projektvorteil und die damit verbundene Erhöhung des Liegenschaftswerts nicht unberücksichtigt bleiben. Ein solcher Vorteil wäre insbesondere auf das Projekt zurückzuführen, wenn etwa die Umwidmung von "Aufschließungsgebiet" zum "Wohngebiet" ohne den geplanten Hochwasserschutz nicht erfolgt wäre bzw wenn in einem erlassenen Bebauungsplan erhebliche Einschränkungen gegenüber der tatsächlich zugelassenen Baudichte vorgenommen oder kostenintensive Auflagen erteilt worden wären.

Unerheblich wäre im Falle eines solchen "Projektvorteils" entgegen der Auffassung des Rekursgerichts, dass die Antragstellerin die Liegenschaft nach Erlassung des Bebauungsplans gekauft und dabei "gegebenenfalls" den durch den "Planungsgewinn" höheren Preis ohnehin bezahlt, somit den Vorteil, der ihr angerechnet werden soll, gar nicht lukriert habe. Spätestens mit der Erlassung des Bebauungsplans (samt Erläuterungsbericht) war einerseits objektiv bekannt, dass sich die Liegenschaft nun nicht mehr als bloßes "Aufschließungsgebiet" darstellt, sondern in einer - sehr konkret festgelegten Art und Weise - bebaut werden kann, andererseits aber auch, dass für die nähere Zukunft die Errichtung eines Bachbetts am nördlichen Grenzstreifen der Liegenschaft zu erwarten ist. Sollte die Antragstellerin letzteren Umstand bei der getroffenen Vereinbarung über den Kaufpreis unbeachtet gelassen und die mit ziemlicher Sicherheit zu erwartende Einbuße einer Nutzungsmöglichkeit (sei es durch Enteignung eines Liegenschaftsteils oder aber die Begründung einer Zwangsservitut für das Wasserschutzprojekt) aus sonstigen Gründen nicht zum Anlass für einen Preisabschlag vom Preis einer solchen Liegenschaft ohne eine solche Nutzungseinschränkung genommen haben, hat sie allenfalls den Verkäufern einen sachlich nicht gerechtfertigten Vermögensvorteil zukommen lassen, den sie aber nun nicht im Rahmen der Enteignungsentschädigung vergütet verlangen kann.

Spätestens mit Erlassung des Bebauungsplans im Herbst 2000 war nicht nur die Verpflichtung der seinerzeitigen Liegenschaftseigentümer zur Freihaltung des 8 m breiten nördlichen Grenzstreifens des Grundstücks bekannt, sondern auch der dahinterstehende Zweck, wurde doch im Erläuterungsbericht auf die Absicht der "Ausformung eines neuen Bachs" innerhalb dieses Streifens hingewiesen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wurden daher auch die voraussehbaren (oder zumindest erwarteten) Vor- und Nachteile des Hochwasserschutzprojekts preis- und damit wertbestimmende Faktoren für die Liegenschaft. Sollte sich somit der Verkehrswert der Liegenschaft im zeitlichen Nahbereich zum Bekanntwerden des Wasserschutzprojekts verändert haben, kann durchaus von entsprechenden "Vorwirkungen" der Enteignung gesprochen werden. Spätestens mit Bekanntwerden des Erläuterungsberichts zum Bebauungsplan war für die interessierte Öffentlichkeit auch klar, dass der im Bebauungsplan ausgewiesene Grünstreifen nicht unverändert bleiben, sondern in näherer Zukunft zur Ausformung eines Bachbetts herangezogen werden würde. Es kann daher durchaus davon ausgegangen werden, dass sich auch dieser Umstand auf die (allenfalls bloß fiktive) Preisbildung ausgewirkt hat. Sollte sich im fortgesetzten Verfahren ergeben, dass als Vorwirkung des Wasserschutzprojekts eine Verkehrswertsteigerung der Liegenschaft eingetreten ist, auf die - wie oben dargelegt - bei der Beurteilung eines allfälligen Anspruchs auf Enteignungsentschädigung im Wege einer "Vorteilsausgleichung" Bedacht zu nehmen wäre, wäre dem (fiktiven) Wert der Liegenschaft zum maßgeblichen Beurteilungsstichtag ohne Hochwasserschutz - und damit auch ohne die Beeinträchtigung durch die Zwangsservitut - der reine Liegenschaftswert (ohne Bebauung) unter Berücksichtigung der bestehenden Zwangsservitut und des für die nahe Zukunft zu erwartenden Hochwasserschutzes gegenüberzustellen.

Sollte sich eine allenfalls festzustellende Werterhöhung - sofern sie überhaupt vorliegt - hingegen als bloß "allgemeiner Planungsgewinn" iSd Ausführungen Rummels darstellen, der in ähnlicher Weise auch zahlreichen anderen Liegenschaftseigentümern zugute kommt, ohne dass sie einen vermögenswerten Beitrag zum Enteignungsprojekt leisten müssten, wäre der Antragstellerin die durch die Begründung der Zwangsservitut - einschließlich der (vorwirkenden) Nutzungsbeschränkung durch die Freihalteverpflichtung - entstehende Wertminderung der Liegenschaft ungeschmälert zu vergüten.