OGH: § 1478 ABGB - zur Frage des Beginns der Verjährungsfrist (iZm Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes)
Soweit das Gesetz keine Ausnahme macht - wie etwa in § 1489 ABGB für die Verjährung von Schadenersatzansprüchen - hat die Kenntnis des Berechtigten vom Bestehen des Anspruchs keinen Einfluss auf den Beginn der Verjährung; ein Anspruch, für dessen Geltendmachung zunächst in einem anderen Verfahren die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden müssten, kann idR noch nicht iSd § 1478 ABGB ausgeübt werden; das in einem anderen Anlassfall eingeleitete Normenprüfungsverfahren kann nicht als vorgelagertes rechtsgestaltendes Verfahren angesehen werden, das der Berechtigte jedenfalls abwarten musste, bevor er seinen Anspruch geltend machen konnte
§ 1478 ABGB, Art 140 B-VG
GZ 8 ObA 21/10m, 22.02.2011
OGH: Gem § 1478 ABGB beginnt jede Verjährung zu laufen, wenn das Recht "an sich schon hätte ausgeübt werden können", also für den Gläubiger die objektive Möglichkeit der Geltendmachung seines Anspruchs bestand und er Anlass zur Klage hatte. Durch subjektive Hindernisse oder tatsächliche Erschwerungen wird der Beginn der Verjährung im Allgemeinen nicht hinausgeschoben. Soweit das Gesetz keine Ausnahme macht - wie etwa in § 1489 ABGB für die Verjährung von Schadenersatzansprüchen - hat die Kenntnis des Berechtigten vom Bestehen des Anspruchs keinen Einfluss auf den Beginn der Verjährung. Fehlendes Verschulden ist unbeachtlich, auch wenn der Berechtigte bei gewöhnlicher Sorgfalt keine Kenntnis vom Fristbeginn erlangen konnte.
Rechtliche Unmöglichkeit bildet dagegen nach der Rsp ein objektives Hindernis für die Geltendmachung eines Anspruchs. So beginnt die Verjährung des Anspruchs eines "Scheinvaters" gegenüber dem leiblichen Vater des Kindes auf Ersatz geleisteten Unterhalts nicht vor der rechtskräftigen Feststellung, dass der Leistende nicht der leibliche Vater des Kindes ist, unabhängig davon, ob die maßgeblichen Tatsachen den Beteiligten allenfalls auch schon früher bekannt waren. In diesem Fall besteht das einer früheren Geltendmachung entgegenstehende objektive Hindernis jedoch nicht (nur) darin, dass eine Klage zunächst aussichtslos gewesen wäre, sondern dass die aufrechte Vaterschaftsfeststellung bzw -vermutung Tatsachenwirkung entfaltet, auf deren Grundlage der Leistende bis zur Beseitigung seines Verpflichtungstitels eine eigene Schuld gegenüber dem Unterhaltsempfänger bezahlt hatte. Zur Beseitigung dieser Rechtslage bedarf es zunächst eines Statusverfahrens, dessen Ausgang für den Anspruch gegen den eigentlich Verpflichteten präjudiziell ist. Verallgemeinert kann ein Anspruch, für dessen Geltendmachung zunächst in einem anderen Verfahren die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden müssten, idR noch nicht iSd § 1478 ABGB ausgeübt werden.
Ein solcher Fall ist hier aber nicht gegeben. Beruht ein Leistungsanspruch auf einem Gesetz, dann bewirkt dessen Verfassungswidrigkeit nicht per se seine Unwirksamkeit oder die generelle Unzulässigkeit seiner Anwendung. Die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes hat auf die Normunterworfenen nur insoweit Auswirkungen, als sie der VfGH in einem aufhebenden oder feststellenden Erkenntnis feststellt, wobei eine Erstreckung der Anlassfallwirkung den Ausnahmefall vom Grundsatz der beschränkten Weitergeltung der aufgehobenen Norm bildet (Art 140 Abs 7 B-VG). Aus diesem Grund kann das in einem anderen Anlassfall eingeleitete Normenprüfungsverfahren nicht als vorgelagertes rechtsgestaltendes Verfahren angesehen werden, das der Kläger jedenfalls abwarten musste, bevor er seinen Anspruch geltend machen konnte.
Der Kläger, dessen laufende privatrechtliche Ruhegenussansprüche durch eine Gesetzesänderung verkürzt wurden, befand sich vielmehr in einer ähnlichen Situation wie ein Betriebspensionsempfänger, dessen laufende Ansprüche durch eine Vertragsänderung verringert werden. In beiden Fällen besteht ab Kenntnis der benachteiligenden Regelung sowohl Anlass als auch Möglichkeit, die aus der rechtlichen Unzulässigkeit des Eingriffs abgeleiteten Ansprüche durch Feststellungs- bzw Leistungsklage geltend zu machen.
Die frühere Geltendmachung seines Anspruchs unter Berufung auf eine Verfassungswidrigkeit des Eingriffs war dem Kläger schon deshalb nicht unzumutbar, weil sie die einzige Alternative gegenüber dem Akzeptieren der nachteiligen Bestimmung als geltendes Recht war. Für eine Erwartung, dass andere Betroffene die Initiative ergreifen würden und der Kläger dann in den Genuss der Anlassfallwirkung gelangen könnte, bestand keine rechtliche Grundlage.
Eine allein auf die Verfassungswidrigkeit einer zugrundeliegenden Norm gestützte Feststellungs- oder Leistungsklage ist auch nicht, wie die Revision argumentiert, objektiv aussichtslos. Es trifft zwar zu, dass die Gerichte erster Instanz nach Art 140 Abs 1 B-VG zur Einleitung eines Normenprüfungsverfahrens nicht berechtigt sind und den Parteien keine Antragslegitimation zur Anrufung des VfGH zukommt, jedoch steht es ihnen offen, unter Darlegung der dafür sprechenden Gründe die Gesetzesprüfung anzuregen. Selbst wenn die Rechtsmittelgerichte diese Gründe nicht für stichhältig erachten sollten und die Anregung nicht aufgreifen, ist diese Entscheidung das Ergebnis einer rechtlichen Würdigung der aufgezeigten Bedenken. Von einer objektiven Aussichtslosigkeit kann hier genauso wenig gesprochen werden wie im Fall einer auf Unwirksamkeit einer Vertragsbestimmung gestützten Klage, bei der für den Kläger auch nicht sicher vorhersehbar ist, ob die Gerichte seine rechtliche Beurteilung teilen werden.