07.04.2011 Zivilrecht

OGH: Zur Verschuldenshaftung des Pistenbetreibers (iZm Unfall mit Pistengerät)

Grundsätzlich sind Pistengeräte während des Schibetriebs auf der Piste nur einzusetzen, wenn dies unbedingt notwendig - etwa bei Präparierung oder Rettungsfahrt - ist; in diesem Fall sind die Schifahrer vom Liftunternehmer - gerade bei Pisten mit unübersichtlichen oder engen Passagen - durch geeignete Maßnahmen, zB durch die Aufstellung deutlich sichtbarer Warntafeln, vor dem Einsatz des Geräts zu warnen


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Pistenbetreiber, Haftung, Pistengerät, Verkehrssicherungspflicht
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB

GZ 2 Ob 30/10s, 27.01.2011

OGH: Mit Abschluss des Beförderungsvertrags übernimmt der Liftunternehmer als Pistenhalter die Pflicht, im unmittelbaren Bereich des von ihm eröffneten Schiverkehrs die körperliche Integrität seiner Vertragspartner durch nach der Verkehrsauffassung erforderliche und zumutbare Maßnahmen zu schützen. Er und seine Leute sind im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht insbesondere verpflichtet, dort entsprechende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, wo dem Schifahrer durch nicht oder schwer erkennbare Hindernisse Gefahren drohen. Nach stRsp hat er demnach atypische Gefahren zu sichern, also solche Hindernisse, die der Schifahrer nicht ohne weiteres erkennen kann, und solche, die er trotz Erkennbarkeit nur schwer vermeiden kann. An die Verkehrssicherungspflicht des Pistenhalters dürfen aber auch keine überspitzten Anforderungen gestellt werden; sie darf nicht überspannt werden.

Der OGH hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass Pistengeräte typische Erscheinungen auf einer Schipiste sind. Dies enthebe den Betreiber des Pistengeräts aber nicht der Pflicht, auf die Möglichkeit Bedacht zu nehmen, dass Schifahrer - nicht auf Sicht fahrend - "zu Tale rasen".

Bereits in der E 1 Ob 582/86 wurde in diesem Zusammenhang betont, Schifahrer dürften durch den Einsatz von Pistengeräten nicht mehr behindert bzw gefährdet werden, als dies das Wesen der Pistenfahrzeuge zwangsläufig mit sich bringe; der pistensicherungspflichtige Unternehmer habe die durch den Einsatz solcher Fahrzeuge ausgelösten Gefahren für abfahrende Schiläufer, soweit dies möglich und zumutbar sei, auszuschalten. Demnach sollten solche für Schifahrer gefährliche Geräte nach Möglichkeit während der Liftbetriebszeit nicht eingesetzt werden. Erweise sich der Einsatz aber während des allgemeinen Schibetriebs - etwa wegen Veränderungen der Schneedecke - als unumgänglich, so seien die Schifahrer vom Liftunternehmer - gerade bei Pisten mit unübersichtlichen oder engen Passagen - durch geeignete Maßnahmen, zB durch die Aufstellung deutlich sichtbarer Warntafeln, vor dem Einsatz des Geräts zu warnen.

Unter Bezugnahme auf diese Entscheidung billigte der OGH in 4 Ob 2372/96v im Rahmen der Zurückweisung einer außerordentlichen Revision die zweitinstanzliche Rechtsansicht, es begründe einen schuldhaften Sorgfaltsverstoß des beklagten Liftunternehmers, mit der Auffahrt seiner Pistengeräte (über unübersichtliches Gelände) nicht noch eine halbe Stunde bis zum Ende des Liftbetriebs zugewartet zu haben. Soweit im (in der Entscheidung zitierten) Schrifttum die Auffassung vertreten werde, dass wegen der Eigenart und des Zwecks der Verwendung von Pistengeräten weder eine zeitliche noch eine örtliche Begrenzung des Betriebs solcher Geräte möglich und erforderlich sei, beruhe das auf dem Gedanken, dass die Wahl der Präparierungszeit von der Schneebeschaffenheit abhänge und frisch gefallener Schnee noch in diesem Zustand präpariert werden müsse; dazu komme, dass die Pistengeräte oft zur Rettung verunglückter Schifahrer eingesetzt werden müssten. Diese zweifellos zutreffenden Überlegungen böten aber keine Rechtfertigung dafür, dass Pistengeräte während des Schibetriebs auf der Piste eingesetzt werden, obwohl weder eine Präparierung noch eine Rettungsfahrt oder sonst ein unbedingt notwendiger Einsatz erforderlich geworden sei.

Der erkennende Senat hält an den Grundsätzen dieser Rsp fest. Im Übrigen entspricht es nun auch einer anlässlich eines Rechtssymposiums des Fachverbands der Seilbahnen für den Einsatz von Pistengeräten auf Pisten formulierten "Empfehlung" (ohne Rechtsnormqualität), die Benützung von Pistengeräten während des Pistenbetriebs nach Möglichkeit zu vermeiden. Die daran anschließende "Bemerkung" der Autoren, dass ungeachtet dieser Empfehlung allein aus dem Betreiben eines Pistengeräts auf "offener" Piste keine Haftung des Pistenhalters abgeleitet werden könne, steht zu der erörterten Rsp allerdings im Widerspruch:

Ein Pistengerät, das auf einer von Schifahrern frequentierten Piste bergwärts fährt, stellt eine besondere Gefahrenquelle dar, va, wenn es - wie im vorliegenden Fall - von entgegenkommenden Schifahrern infolge der örtlichen Verhältnisse längere Zeit nicht wahrgenommen werden kann. In solchen Fällen ist zwar für den Lenker des Pistenfahrzeugs "äußerste Vorsicht" geboten. Zeitlich (und logisch) vorgelagert ist aber schon die Beurteilung der Frage, ob die gefährliche Fahrt unter den konkreten Umständen überhaupt (unumgänglich) notwendig ist. Dabei ist dem Pistenhalter zweifellos ein gewisser Ermessensspielraum einzuräumen. Wie jeden Verkehrssicherungspflichtigen trifft ihn jedoch die Beweislast dafür, dass er die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat. Diese können auch in der Unterlassung einer nicht notwendigen Fahrt mit einem Pistenfahrzeug bestehen.

Nach den erstinstanzlichen Feststellungen gab der Pistenchef der beklagten Partei dem Lenker des Pistenfahrzeugs den Auftrag, vom Zielbereich des Schirennens Torstangen und Tische zu einem anderen Hang zu transportieren. Das Argument der beklagten Partei, sie habe damit lediglich ihrer Verkehrssicherungspflicht nachkommen und atypische Hindernisse aus dem Pistenbereich entfernen wollen, findet in dieser Feststellung keine Bestätigung. Aus ihr ist lediglich abzuleiten, dass das "Material" von einem zu einem anderen Hang transportiert werden sollte. Das bedeutet aber nicht das Beseitigen, sondern das bloße Verlagern einer allfälligen Gefahrenquelle. Aus den Feststellungen ergibt sich im Übrigen kein Anhaltspunkt dafür, dass die abzutransportierenden Torstangen und Absperrvorrichtungen, Tische und Bänke für abfahrende Schifahrer nicht schon von weitem erkennbar waren und ihr Verbleib auf der Piste bis zum Ende des Pistenbetriebs daher eine bedeutend geringere Gefahrenquelle dargestellt hätte als der Einsatz des Pistengeräts. Folgerichtig vermochte das Erstgericht nicht festzustellen, dass die Fahrt eine Stunde vor Betriebsschluss des Lifts dringend erforderlich gewesen wäre. Auch zur Aufstellung von Warntafeln liegt nur eine Negativfeststellung vor.

Der beklagten Partei ist es daher nicht gelungen, den ihr obliegenden Beweis zu erbringen, dass der Einsatz des Pistengeräts während des Pistenbetriebs (unumgänglich) notwendig war und dass die Pistenbenützer vor der dadurch ausgelösten Gefahr wenigstens gewarnt worden sind. Sie hat durch den Einsatz des Pistengeräts vor Betriebsschluss des Lifts eine unnötige Gefahrenquelle für abfahrende Schifahrer geschaffen, die sie - gemessen am Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB - als solche erkennen hätte müssen. Darin liegt eine schuldhafte Verletzung ihrer vertraglichen Verkehrssicherungspflicht.