10.03.2011 Zivilrecht

OGH: Zum Familienprivileg des § 67 Abs 2 VersVG - analoge Anwendung auf Lebensgefährten von Angehörigen des Versicherungsnehmers?

§ 67 Abs 2 VersVG ist auf Lebensgefährten von Angehörigen des Versicherungsnehmers analog anzuwenden


Schlagworte: Versicherungsrecht, Familienprivileg, Haftungsausschluss, häusliche Gemeinschaft, Lebensgefährten von Angehörigen des Versicherungsnehmers
Gesetze:

§ 67 Abs 2 VersVG

GZ 7 Ob 240/10k, 19.01.2011

Die Klägerin, die dem Versicherungsnehmer aus der Versicherung eine Entschädigung von 120.000 EUR leistete, begehrt von der Beklagten gem § 67 Abs 1 VersVG diese Zahlung ersetzt. Die Beklagte habe den Brand dadurch grob fahrlässig verschuldet, dass sie auf dem Holzbalkon der Mansardenwohnung des versicherten Hauses eine glimmende Zigarette in einen Blumentrog mit Torferde gesteckt habe.

Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Es bestehe ein Haftungsausschluss nach § 67 Abs 2 VersVG, weil sie zum Zeitpunkt des Ausbruchs des Brandes gemeinsam mit dem Sohn des Versicherungsnehmers in dessen Haushalt gelebt habe.

OGH: Die Frage, welche Anforderungen an das Vorliegen einer häuslichen Gemeinschaft iSd § 67 Abs 2 VersVG zu stellen sind, ist vor deren "Wertungshintergrund" zu beantworten. Nach hM besteht ein doppelter Normzweck: Zum einen soll verhindert werden, dass durch den Regress gegen den Angehörigen der Versicherungsnehmer selbst in Mitleidenschaft gezogen wird; es soll nicht etwa der Angehörige geschützt, sondern vermieden werden, dass der Versicherungsnehmer am Ende den Schaden doch aus eigener Tasche bezahlen muss und die Leistung des Versicherers für ihn daher wertlos wird. Zweitens soll generell der Familienfrieden erhalten werden, der gestört werden würde, wenn Streitigkeiten über die Verantwortung der Schadenszufügung ausgetragen werden müssten. Unter diesen Aspekten ist für das Vorliegen einer häuslichen Gemeinschaft iSd § 67 Abs 2 VersVG nach stRsp zu fordern, dass der betreffende Familienangehörige in den Haushalt so eingegliedert ist, dass eine auf Dauer angelegte Gemeinschaft der Wirtschaftsführung gegeben ist. Da sich die wirtschaftliche Abhängigkeit in häuslicher Gemeinschaft lebender Familienangehöriger im Einzelfall nicht leicht mit genügender Sicherheit bejahen oder verneinen lässt, musste das Gesetz Lebensverhältnisse herausgreifen, die nach allgemeiner Lebenserfahrung mit einer wirtschaftlichen Abhängigkeit verknüpft sind.

Der Umstand, dass nur ein Strom- und Wasserzähler vorhanden ist (und die Strom- und Wasserkosten allenfalls vom Versicherungsnehmer allein getragen wurden), lässt nicht mit ausreichender Sicherheit auf eine wirtschaftliche Gemeinschaft der Beklagten mit dem Versicherungsnehmer schließen. Auch die Feststellung, dass "die Tiefkühltruhe in den Räumlichkeiten des Versicherungsnehmers untergebracht ist", lässt offen, ob bei Brandausbruch eine wirtschaftliche Eingliederung der Beklagten in den Haushalt des Versicherungsnehmers gegeben war oder nicht. Auch die Frage eines gemeinsamen Wohnens der Beklagten und ihres Freundes mit dem Versicherungsnehmer lässt sich aufgrund der erstgerichtlichen Feststellungen noch nicht abschließend beantworten. Ein bloß gemeinsames Wohnen würde im Übrigen aber auch nicht ausreichen, da das Gesetz fordert, dass der Familienangehörige mit dem Versicherungsnehmer in häuslicher Gemeinschaft "lebt". Um die Frage einer häuslichen Gemeinschaft im aufgezeigten Sinn verlässlich beantworten zu können, ist eine entsprechende Verbreiterung der Sachverhaltsbasis demnach unumgänglich.

Eine häusliche Gemeinschaft mit dem Versicherungsnehmer nach § 67 Abs 2 VersVG ist kaum denkbar, falls die Beklagte nicht die Lebensgefährtin des Sohnes des Beklagten (gewesen) wäre. Eine Lebensgemeinschaft, die als eheähnlicher Zustand definiert wird, der dem typischen Erscheinungsbild des ehelichen Zusammenlebens entspricht, setzt nach stRsp im Allgemeinen eine Geschlechtsgemeinschaft, Wohnungsgemeinschaft und Wirtschaftsgemeinschaft voraus, wobei jedoch nicht stets alle drei Merkmale gemeinsam vorhanden sein müssen.

Dass die Lebensgefährtin des Versicherungsnehmers zu den Familienangehörigen iS dieser Bestimmung gehört, wird seit der Entscheidung 7 Ob 44/88 in stRsp vertreten. Dieser allgemein geteilten Ansicht hat sich nun auch der deutsche BGH zu § 67 Abs 2 VVG aF in der Entscheidung vom 22. 4. 2009 IV ZR 160/07 ausdrücklich angeschlossen. Jene Überlegungen, die den OGH zur Gleichbehandlung eines Lebensgefährten (einer Lebensgefährtin) mit der Ehefrau (dem Ehemann) des Versicherungsnehmers (der Versicherungsnehmerin) veranlasst haben, sprechen aber gleichermaßen für die Gleichsetzung etwa einer Lebensgefährtin des Sohnes des Versicherungsnehmers mit dessen Ehefrau. Nach dem Normzweck kann es keinen wesentlichen Unterschied machen, ob der Lebensgefährte eines mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Kindes oder der in häuslicher Gemeinschaft mit ihm lebende Schwiegersohn (oder die Schwiegertochter) zum Regress herangezogen würde. Offenbar haben ähnliche Überlegungen den deutschen Gesetzgeber dazu veranlasst, das "Familienprivileg" in § 86 Abs 3 VVG nF zu erweitern: Der Übergang des Ersatzanspruchs auf den Versicherer nach § 86 Abs 1 VVG scheidet nunmehr dann aus, wenn sich der Sachanspruch des Versicherungsnehmers gegen eine Person richtet, mit der er bei Eintritt des Schadens in häuslicher Gemeinschaft lebt. Nach dem Gesetzeswortlaut sind demnach in Deutschland nicht mehr lediglich "Familienangehörige" privilegiert, sondern auch Personen, die mit dem Versicherungsnehmer nicht verwandt oder verschwägert sind, soweit sie die Voraussetzung, mit ihm in häuslicher Gemeinschaft zu leben, erfüllen. Diese Gesetzesänderung wurde in Deutschland vorgenommen, weil die Beschränkung des Regressausschlusses auf Familienangehörige in häuslicher Gemeinschaft nicht mehr den heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen entsprechend angesehen wurde.

Unter der Voraussetzung, dass die Beklagte zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls mit dem Versicherungsnehmer als Lebensgefährtin dessen Sohnes in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat, wäre daher der Forderungsübergang auf die Klägerin zufolge des Familienprivilegs des § 67 Abs 2 VersVG ausgeschlossen, zumal eine vorsätzliche Herbeiführung des Schadens durch die Beklagte von der Klägerin gar nicht behauptet wurde.