10.03.2011 Zivilrecht

OGH: Abgrenzung zwischen Garantie und Bürgschaft

§ 1353 Satz 1 ABGB ist nur auf unentgeltliche und allenfalls auf entgeltliche Sicherungsgeschäfte ohne ein ausgeprägtes eigenwirtschaftliches Interesse des Sicherungsgebers anzuwenden


Schlagworte: Bürgschaft (auf erstes Anfordern), Garantie, Abgrenzung, Umfang
Gesetze:

§§ 1346 ff ABGB, § 880a ABGB

GZ 6 Ob 142/10s, 17.12.2010

OGH: Die Beklagte erklärt unmissverständlich, dass sie die Verpflichtungen "erfüllen" wird. Das Wort "erfüllen" ist eindeutig iSd identen Übernahme einer bestimmten Verpflichtung zu verstehen, mag es sich dabei auch um eine nicht in einer Geldzahlung bestehende Verpflichtung handeln. Das bloße Einstehen für einen Erfolg dergestalt, dass die Haftung für den aus dem Nichteintritt eines versprochenen Erfolgs entstehenden Schadens in Geld übernommen wird, wird gemeinhin mit dem Wort "haften" ausgedrückt, das die Beklagte aber nicht verwendet hat. Der Bürge kann sich im Rahmen der Privatautonomie auch zur Erfüllung vertretbarer Handlungen oder Unterlassungen verpflichten.

Bürgschaftsverträge bzw Bürgschaftserklärungen wie auch Garantieverträge sind grundsätzlich nach den §§ 914 f ABGB auszulegen.

Die Überschrift enthält - wie auch der vorletzte Absatz - das englische Wort "Guarantee". Nun lässt sich nicht leugnen, dass das englische Wort "Guarantee" sowohl von der Schreibweise her als auch phonetisch große Ähnlichkeiten mit dem deutschen Wort "Garantie" hat, wohingegen eine solche Ähnlichkeit mit dem deutschen Wort "Bürgschaft" nicht besteht. Die Beklagte musste daher damit rechnen, dass das in der Überschrift verwendete englische Wort "Guarantee" beim österreichischen Vertragspartner Erwartungen in Richtung einer nach österreichischem Recht abstrakten Garantie wecken könnte.

Die Bezeichnung eines Vertrags durch die Parteien ist zwar jedenfalls dann für die rechtliche Beurteilung des Vertragsverhältnisses nicht entscheidend, wenn ein mit der Bezeichnung nicht im Einklang zu bringender Vertragsinhalt und eine auf diesen Vertragsinhalt gerichtete Parteiabsicht festgestellt sind. Umgekehrt schließt etwa die gleichzeitige Verwendung der Worte "als Bürge und Zahler" die Annahme einer Bankgarantie nicht zwangsläufig aus.

Nach stRsp kann aus der Anführung des Valutaverhältnisses allein noch nicht auf eine Akzessorietät der Haftung geschlossen werden.

Der zweite Absatz verwendet einmal das Wort "verbürgen" und im letzten Satz das Wort "Bürgschaft", wie im Übrigen auch die Gerichtsstandsklausel des letzten Absatzes. Die Verwendung dieser Worte deutet auf die Übernahme einer (akzessorischen) Bürgschaft hin. Auch hier gilt aber wiederum, dass allein diese Wortwahl noch nicht zwingend eine Garantie ausschließt.

Aus österreichischem Erklärungsempfängerhorizont deutet die Wendung "unter ausdrücklichem Verzicht auf die Einreden der Vorausklage" gerade nicht auf eine Bürgschaft hin. Nach § 1355 ABGB setzt die Fälligkeit der Bürgenhaftung nur die (außergerichtliche) Einmahnung, nicht auch die gerichtliche Klage voraus. Für eine österreichische Bürgschaftsverpflichtung ergibt der Verzicht auf die Einrede der Vorausklage gerade keinen Sinn. Die Klägerinnen mussten nicht wissen, dass der Urkundenverfasser (nach dem Vorbringen der Beklagten ein deutscher Rechtsanwalt) damit offensichtlich auf § 771 BGB Bezug genommen hat, wonach nach deutschem Recht der Bürge die Einrede der Vorausklage hat.

Im konkreten Fall fehlen zwar bei Garantien sonst übliche Wendungen wie "auf erstes Anfordern", "ohne Einwendung" oder "ohne Prüfung des zu Grunde liegenden Rechtsverhältnisses" oder ähnliche Wendungen. Dies schließt aber eine Garantie nicht zwangsläufig aus. Die Voraussetzung, dass der Begünstigte erklären muss, die Hauptleistung nicht erhalten zu haben, steht der Annahme einer Garantie nicht entgegen.

Das Wort "Verpflichtungen" mag zunächst zwar "tatsächlich bestehende Verpflichtungen" bedeuten, sodass man unter Umständen in der Formulierung einen nochmaligen Hinweis auf die Akzessorietät der Verpflichtung sehen könnte. Die Erklärung kann man aber auch anders verstehen, nämlich dahin, dass die Leistungsbereitschaft eben auch für den Fall, dass die Verpflichtungen gar nicht bestehen, erklärt wird, wenn bloß vom Begünstigten erklärt wird, die Hauptschuldnerin wäre ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen ("diese Verpflichtungen"). So hat auch das OLG München der Wendung "an den Auftraggeber auf erstes Anfordern zu zahlen, sofern der Auftragnehmer seine vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllt" nicht die Bedeutung beigemessen, dass der Begünstigte erst den Beweis für die Nichterfüllung der Vertragspflichten führen müsste. Vielmehr sei nahe gelegen, dass die Begünstigte diesen Zusatz dahingehend auffassen würde, die Nichterfüllung mit wenigen Worten lediglich beschreiben zu müssen, um der bürgenden Bank die Prüfung zu ermöglichen, ob ein Fall der Nichterfüllung überhaupt möglich sein könne.

Übung des redlichen Verkehrs iSd § 914 ABGB:Speziell bei Haftungserklärungen ist nach der Rsp bei der Auslegung auf die konkreten Umstände, namentlich auf den Geschäftszweck und die Interessenlage, Bedacht zu nehmen. Vor allem die Interessenlage ist für die Abgrenzung der Garantie von der Bürgschaft von wesentlicher Bedeutung. Forderte die Interessenlage erkennbar die Sicherung des Begünstigten gegen allfällige Einwendungen aus dem Valutaverhältnis oder sonst eine Verstärkung seiner Stellung im Vergleich zu bloßer Bürgenhaftung, spricht das auch ohne Verwendung des Ausdrucks Garantie - ja selbst bei Verwendung des Begriffs Bürgschaft - für eine Garantie. Dagegen kann aus der auch bei einer Garantie üblichen Bezugnahme auf das Valutaverhältnis nicht allein auf eine akzessorische Haftung geschlossen werden, weil dadurch in erster Linie bloß umschrieben werden soll, welche Leistung eines bestimmten Dritten dem Begünstigten garantiert werden soll.

Zeitigt die Auslegung eines Vertrags nach § 914 ABGB kein eindeutiges Ergebnis, so ist subsidiär § 915 ABGB heranzuziehen, was grundsätzlich (zumindest für § 915 erster Fall ABGB) auch für Bürgschaft und Bankgarantie anerkannt ist.

Bei der Bürgschaft ist allerdings das Verhältnis von § 915 ABGB zu § 1353 erster Satz ABGB, wonach die Bürgschaft nicht weiter ausgedehnt werden kann, als sich der Bürge ausdrücklich erklärt hat, nicht ganz klar "Ausdrücklich" iSd § 1353 ABGB bedeutet nach der Rsp nicht mehr als "deutlich erkennbar".

Zählt man die Bürgschaft zu den einseitig verbindlichen Geschäften, gibt es kein maßgebliches Auslegungsproblem, weil § 915 erster Fall ABGB ("eher die geringere Last") und § 1353 erster Satz ABGB zum selben Ergebnis führen.

Wie schon das Erstgericht erkannt hat, ist hier aber die Verpflichtungserklärung der Beklagten als zweiseitig verbindliches Geschäft iSd § 915 ABGB anzusehen, weil die Übernahme der "Parent Company Guarantee" Bestandteil der jeweiligen Lieferverträge mit der Hauptschuldnerin war und somit jedenfalls im Verhältnis zur Klägerin in einem Entgeltsverhältnis steht.

Bei zweiseitig verbindlichen Bürgschaften (und sonstigen Sicherungsgeschäften wie Garantien) hält die Rsp und überwiegende Lehre die Unklarheitenregelung gem § 915 zweiter Halbsatz ABGB für anwendbar.

Sofern die Haftungserklärung vom daraus Begünstigten formuliert wurde (was bei Bankgarantien und Bankbürgschaften meist der Fall ist), kommt auch bei einer zweiseitig verbindlichen Haftungserklärung der Frage, ob § 915 zweiter Fall ABGB oder § 1353 erster Satz ABGB anzuwenden ist, keine entscheidende Bedeutung zu, weil beide Regelungen Unklarheiten zugunsten des Bürgen bzw Garanten ausschlagen lassen.

Nach § 915 zweiter Halbsatz ABGB wird bei zweiseitig verbindlichen Verträgen eine undeutliche Äußerung zum Nachteil desjenigen erklärt, der sich derselben bedient hat. Dabei ist unter diesem derjenige zu verstehen, der die Erklärung formuliert, ausgearbeitet oder sonst in das vertragliche Geschehen eingeführt hat. Nach dem Vorbringen der Beklagten selbst hat der deutsche Rechtsanwalt der Hauptschuldnerin die Verpflichtungserklärung ausgearbeitet. Dass dieser Anwalt nicht auch der Anwalt der Beklagten war, hindert entgegen der unzutreffenden Rechtsansicht der Beklagten die Anwendung der Unklarheitenregelung zu ihren Lasten nicht, hat diese doch die vom deutschen Anwalt der Hauptschuldnerin formulierte Erklärung übernommen, somit gebilligt und in die Vertragsverhandlungen mit den Klägerinnen eingeführt.

Bei Anwendung von § 915 zweiter Fall ABGB geht somit jede Unklarheit zulasten der Beklagten, bei Anwendung von § 1353 Satz 1 ABGB hingegen zu ihren Gunsten.

Bei der Frage, welche dieser gegensätzlichen Normen hier anzuwenden ist, ist Folgendes zu berücksichtigen: Es ist Unternehmern im Wirtschaftsleben zu unterstellen, Geschäfte wie das vorliegende in der Absicht abzuschließen, daraus einen Vorteil etwa in Form eines Gewinns, der Ausweitung des eigenen Aktionsradius' oder der Steigerung des Werts des eigenen Unternehmens zu erzielen. Wie schon das Erstgericht erkannt hat, hatte hier die Beklagte als Muttergesellschaft der Hauptschuldnerin ein nicht zu leugnendes eigenwirtschaftliches Interesse am Zustandekommen der Verträge. Ein durch das Zustandekommen der Verträge erzielter Vorteil kommt letztlich auch der Beklagten zugute, etwa in Form ausgeschütteter Gewinne oder der Wertsteigerung ihrer Beteiligung an der Hauptschuldnerin.

Aufgrund dieses ausgeprägten eigenwirtschaftlichen Interesses der Beklagten ist der erkennende Senat der Ansicht, dass hier bei Auslegung der Haftungserklärung nicht § 1353 Satz 1 ABGB, der nach der Lehre dispositiv ist, sondern § 915 zweiter Halbsatz ABGB anzuwenden ist. § 1353 Satz 1 ABGB ist somit nur auf unentgeltliche und allenfalls auf entgeltliche Sicherungsgeschäfte ohne ein ausgeprägtes eigenwirtschaftliches Interesse des Sicherungsgebers anzuwenden.

Angesichts der verschiedenen Deutungsmöglichkeiten der in Rede stehenden Verpflichtungserklärung ist somit die für die Klägerinnen günstigste, für die Beklagte ungünstigste Auslegungsvariante zu wählen. Unter Berücksichtigung der bereits vorgetragenen Argumente kommt der Senat somit zum Ergebnis, dass bei der für die Beklagte ungünstigsten Auslegung die Verpflichtungserklärung zumindest die Anforderungen an eine Bürgschaft auf erstes Anfordern erfüllt.

Darunter wird verstanden, dass dem Bürgen wie dem Garanten verwehrt ist, gegen seine Inanspruchnahme Einwendungen aus dem Hauptschuldverhältnis zu erheben. Die Akzessorietät ist jedoch insofern nicht aufgehoben, als der Bürge bei fehlendem Grundverhältnis wieder zurückfordern kann ("zuerst zahlen, dann prozessieren"). Dieses im Gesetz nicht geregelte Institut ist von LuRsp anerkannt.

Der Bürge haftet mangels ausdrücklicher Übernahme nicht für die Verzugsfolgen des Schuldners. Da hier aber die Beklagte im zweiten Absatz ausdrücklich "Ansprüche auf Schadensersatz" (Verzugsfolgen begründen solche Ansprüche) erwähnt und sich im dritten Absatz der Haftungserklärung sinngemäß für den jeweiligen Bestand der Hauptverbindlichkeit verpflichtet hat ("dass die [Hauptschuldnerin] ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen ist"), haftet die Beklagte auch für die Prozesskosten der Vorprozesse, da auch diese eine "Verpflichtung" der Hauptschuldnerin sind.