06.01.2011 Zivilrecht

OGH: Identitätsschutz nach § 7a MedienG - zur Frage, ob ein nicht allgemein bekannter Träger eines hohen Amts über eine Stellung in der Öffentlichkeit verfügt, die wegen des damit begründeten öffentlichen Interesses auch dann eine identifizierende Berichterstattung über den Verdacht einer strafbaren Handlung erlaubt, wenn diese nicht iZm der Ausübung des öffentlichen Amts steht

Soweit sich Strafverfahren gegen Träger öffentlicher Ämter richten, liegt es im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege, dass Medien hier Nachforschungen anstellen und durch identifizierende Berichterstattung eine präventive Funktion erfüllen; gegenüber diesem Interesse an einer identifizierenden Verdachtsberichterstattung muss das Anonymitätsinteresse des Betroffenen jedenfalls dann zurücktreten, wenn der beanstandete Bericht klarstellt, dass es sich um einen bloßen Verdacht handelt, und wenn dem Betroffenen Gelegenheit zu einer Äußerung gegeben wurde


Schlagworte: Medienrecht, Urheberrecht, Identitätsschutz, Bildnisschutz, Verdacht einer strafbaren Handlung, Träger öffentlicher Ämter, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, Freiheit der Meinungsäußerung
Gesetze:

§ 7a MedienG, § 78 UrhG, Art 8 EMRK, Art 10 EMRK

GZ 4 Ob 166/10f, 09.11.2010

OGH: Nach § 78 UrhG dürfen Bildnisse von Personen nicht veröffentlicht werden, wenn dadurch berechtigte Interessen der Abgebildeten verletzt würden. Bei der danach gebotenen Interessenabwägung zwischen dem Persönlichkeitsschutz des Abgebildeten und dem Veröffentlichungsinteresse des Mediums ist auch der Begleittext der Veröffentlichung zu beachten. Bei einem Bericht über einen im Kern wahren Sachverhalt fällt die Interessenabwägung gewöhnlich zugunsten des Mediums aus. Daneben sind bei Berichten über den Verdacht einer strafbaren Handlung oder über eine strafgerichtliche Verurteilung auch die Wertungen des § 7a MedienG zu berücksichtigen, nach denen ein - hier zweifellos verletzter - Identitätsschutz bestehen kann. Allerdings ist die Identität von Erwachsenen, die eines Verbrechens verdächtig sind oder wegen eines solchen verurteilt wurden, nur dann geschützt, wenn die Veröffentlichung ihr Fortkommen unverhältnismäßig beeinträchtigen kann. Dabei wird nicht danach unterschieden, ob die Identität durch Wort- oder durch Bildberichterstattung verletzt wird, der Schutz der Identität wird somit in beiden Fällen gleich beurteilt. Erforderlich ist daher eine Abwägung zwischen den jeweils grundrechtlich geschützten Interessen des Mediums an einer identifizierenden Berichterstattung (Art 10 EMRK) und des Betroffenen an der Wahrung seiner Anonymität (Art 8 EMRK).

Im vorliegenden Fall verfügt der Kläger als stellvertretender Sicherheitsdirektor und Leiter des Landesamts für Verfassungsschutz über eine hervorgehobene Stellung im öffentlichen Leben seines Bundeslands. Zwar stellen die Artikel keinen Zusammenhang zwischen dieser Stellung und den Vorwürfen her, und ein solcher Zusammenhang ist auch nicht bescheinigt. Unabhängig davon stünde aber das Verhalten des Klägers bei Zutreffen des Verdachts in einem diametralen Gegensatz zu jenem, das die Öffentlichkeit von einem hochrangigen Vertreter des Staates erwartet, der mit der Verfolgung strafbarer Handlungen betraut ist. Damit ist ein öffentliches Interesse an der Offenlegung der Person des Verdächtigen begründet. Denn zum einen wird dadurch ein Generalverdacht zu Lasten anderer Polizeibeamter vermieden, der durch eine nicht identifizierende Berichterstattung - die jedenfalls zulässig wäre - verursacht würde. Zum anderen besteht die durch Art 10 EMRK geschützte Rolle der Medien als "public watchdog" auch und gerade gegenüber den Strafverfolgungsbehörden. Eine über das zur Wahrung anderer Grundrechte Erforderliche hinausgehende Beschränkung der Verdachtsberichterstattung hinderte die Medien daran, auf möglicherweise unsachliche Erwägungen bei der Einstellung von Strafverfahren hinzuweisen und so ihre auch in diesem Zusammenhang grundrechtlich geschützte Kontrollfunktion wahrzunehmen.

Soweit sich solche Verfahren gegen Träger öffentlicher Ämter richten, hat diese Aufgabe der Medien besonderes Gewicht. Denn in der Öffentlichkeit besteht - wegen der Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft und der an sich sinnvollen Nichtöffentlichkeit des Verfahrens - der allgemeine Verdacht, dass es sich Politiker und hohe Beamte (auch) in Strafverfahren "richten" könnten. Das wird zwar in der weit überwiegenden Zahl der Fälle tatsächlich nicht zutreffen. Es liegt jedoch im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege, dass Medien hier Nachforschungen anstellen und durch identifizierende Berichterstattung eine präventive Funktion erfüllen.

Gegenüber diesem Interesse an einer identifizierenden Verdachtsberichterstattung muss das Anonymitätsinteresse des Betroffenen jedenfalls dann zurücktreten, wenn der beanstandete Bericht klarstellt, dass es sich um einen bloßen Verdacht handelt, und wenn dem Betroffenen Gelegenheit zu einer Äußerung gegeben wurde. Beides war hier der Fall. Eine Verletzung der Unschuldsvermutung liegt nicht vor, weil - auch in den Überschriften zweier Artikel - durchwegs nur von "Vorwürfen" und einem "Verdacht" die Rede ist. Reißerisch ist zwar die Formulierung "Sexskandal" in der Überschrift des ersten Artikels. Schon im Untertitel und im fett gedruckten ersten Absatz wird aber deutlich, dass es sich nur um eine "Anzeige" und um "Vorwürfe" handelt. In weiterer Folge schließt es der Hinweis auf das anhängige Verfahren aus, den Artikel als Vorwurf einer tatsächlich begangenen strafbaren Handlung zu verstehen. Damit ist die Überschrift ausreichend relativiert. Im Übrigen geben die Artikel objektiv gehaltene Stellungnahmen von Ermittlungs- und Dienstbehörden wieder und verweisen auf die Weigerung des Klägers, sich dazu zu äußern. Dass Letzteres nicht zuträfe, hat er nicht behauptet.

Auf dieser Grundlage hat das von der Beklagten in Anspruch genommene Grundrecht der freien Meinungsäußerung im konkreten Fall ein höheres Gewicht als das Recht des Klägers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Die identifizierende Berichterstattung war wegen der herausragenden Stellung des Klägers als Träger öffentlicher Gewalt, der durch seine Suspendierung objektivierten Verdachtslage, der insgesamt die Unschuldsvermutung nicht verletzenden Fassung der beanstandeten Artikel, und der dem Kläger eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme medienrechtlich zulässig. Wegen der Parallelität der maßgebenden Wertungen gilt das auch für die Veröffentlichung der an sich unbedenklichen Lichtbilder.