16.12.2010 Zivilrecht

OGH: Zur Obsorgeentscheidung nach § 177a ABGB

Der Grundsatz der Kontinuität der Erziehung ist nicht das entscheidende Argument für die Zuteilung der Obsorge


Schlagworte: Familienrecht, Obsorgeentscheidung
Gesetze:

§ 177a ABGB

GZ 1 Ob 146/10t, 14.09.2010

OGH: Maßstab für den Inhalt einer Entscheidung nach § 177a ABGB ist allein, welcher Elternteil zur Übernahme der alleinigen Obsorge besser geeignet ist und welche Entscheidung dem Wohl des Kindes besser dient. Das Wohl des Kindes hat stets im Vordergrund zu stehen. Die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, welchem Elternteil bei Gegenüberstellung der Persönlichkeit, Eigenschaften und Lebensumstände die Obsorge für das Kind übertragen werden soll, ist immer eine solche des Einzelfalls, der keine grundsätzliche Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zuerkannt werden kann, sofern auf das Kindeswohl ausreichend Bedacht genommen wurde.

Das Erstgericht traf lediglich die Feststellungen zur Erziehungsfähigkeit, Bindungstoleranz und Kooperationsbereitschaft sowie zur Frage, ob die Trennung von den Halbgeschwistern dem Wohl des Minderjährigen abträglich wäre, aufgrund des psychologischen Sachverständigengutachtens. Ein Verfahrensmangel, der darin liegen soll, dass die Beweiswürdigung "in weiten Strecken" nicht vom Erst- bzw Rekursgericht, sondern "in unzulässiger Weise" vom psychologischen Sachverständigen vorgenommen worden sei, liegt nicht vor.

Nach der neueren Rsp ist das gem § 66 Abs 2 AußStrG im Revisionsrekursverfahren an sich herrschende Neuerungsverbot im Obsorgeverfahren aus Gründen des Kindeswohls insofern durchbrochen, als der OGH aktenkundige Entwicklungen, die die bisherige Tatsachengrundlage wesentlich verändern, auch dann berücksichtigen muss, wenn sie erst nach der Beschlussfassung einer der Vorinstanzen eingetreten sind. Obsorgeentscheidungen sollen auf einer aktuellen Tatsachengrundlage getroffen werden.

Eine Pflicht zur ständigen amtswegigen Erhebung der jeweiligen (neu eingetretenen) Umstände besteht nicht.

Aus dem Beschluss des Erstgerichts vom 23. August 2010 über die Ausübung des Besuchsrechts ist ableitbar, dass Nicolas derzeit durchgehend beim Vater lebt. Fest steht, dass die Übertragung der Obsorge auf den Vater eine Verbesserung des Kindeswohls mit sich bringt. Auch wenn Nicolas nach der Trennung der Eltern im September 2008 vorerst bei der Mutter lebte, stellt vor diesem Hintergrund der Grundsatz der Kontinuität nicht das entscheidende Argument für die Obsorgezuteilung dar.