OGH: § 1440 ABGB - zur Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen bei einer zweckwidrigen Verwendung einer Akontozahlung im Auftragsverhältnis der Beauftragte dem Rückforderungsanspruch Gegenforderungen entgegenhalten kann
Wird eine mit einer Zweckbestimmung versehene Akontozahlung vom Beauftragten widmungswidrig verwendet, so kann sich der Übergeber auf das Aufrechnungsverbot nach § 1440 Satz 2 ABGB berufen und die Aufrechnung mit Gegenforderungen des Beauftragten verhindern, sofern er nicht aufgrund der konkreten Vertragslage mit Gegenansprüchen des Beauftragten aus demselben Rechtsverhältnis rechnen musste
§ 1440 ABGB
GZ 8 Ob 94/10x, 22.09.2010
OGH: In LuRsp ist anerkannt, dass das Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsverbot nach § 1440 Satz 2 ABGB auch dann gilt, wenn sich der Anspruch auf Herausgabe bestimmter (auch vertretbarer) Sachen infolge schuldhafter Nichterfüllung oder verschuldeter Unmöglichkeit der Leistung in einen Schadenersatzanspruch auf Geld verwandelt hat. Ebenso ist anerkannt, dass das Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsverbot für vergleichbare Fälle analogiefähig ist.
Die Norm des § 1440 Satz 2 ABGB gliedert sich in zwei Fallgruppen, nämlich in die der vorwerfbaren Handlung durch eigenmächtiges oder listiges Entziehen der Sache sowie jene der Übergabe der Sache aufgrund bestimmter Rechtsverhältnisse wie Leihe, Verwahrung und Bestandvertrag. Listig entzogen iSd ersten Fallgruppe sind beispielsweise veruntreute Gelder oder betrügerisch erlangte Sachen. Der jeweilige Straftatbestand muss allerdings nicht erfüllt sein; es genügt die Entziehung zum Zweck unerlaubter Selbsthilfe. Geldbeträge, die entgegen der vertraglichen Vereinbarung nicht abgeführt, sondern zur Aufrechnung mit angeblichen Gegenforderungen verwendet werden, sind nach der E 1 Ob 64/02x nicht listig entzogen. Derartige nachträgliche "Zueignungshandlungen" sind vielmehr der zweiten Fallgruppe zuzuordnen, bei der die Sache dem Herausgabepflichtigen ursprünglich aufgrund eines bestimmten Rechtsverhältnisses und damit rechtmäßig zugekommen ist. Eine (analoge) Anwendung des in Rede stehenden Aufrechnungs- bzw Zurückbehaltungsverbots kommt somit auch im Hinblick auf widmungswidrig verwendete Gelder in Betracht. Auch in diesem Fall liegt bei Verweigerung der Herausgabe ein Verstoß gegen die (vertragliche) Zuweisungsordnung in Ansehung der übernommenen Rechtsgüter vor. Der "Zueignungsvorsatz" besteht allerdings nicht schon im Zeitpunkt der Übergabe, sondern wird erst nachträglich iZm der Verweigerung der Herausgabe gefasst.
Hinsichtlich der beschriebenen zweiten Fallgruppe besteht der Normzweck des Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsverbots darin, die Aufrechnung sowie das Zurückbehaltungsrecht zu versagen, wenn deren missbräuchliche Ausübung aufgrund der konkreten Rechtsbeziehung geradezu einen Vertrauensbruch darstellen würde. Dementsprechend gilt das Aufrechnungsverbot nicht für Fälle, in denen der Rückforderungsberechtigte wegen offenkundig zu erwartender Gegenansprüche keine uneingeschränkte Rückgabeerwartung haben darf. Dies ist etwa dann der Fall, wenn dem Anspruch des einen Vertragspartners auf Ausfolgung einkassierter Gelder Gegenansprüche des anderen Vertragsteils aus demselben Rechtsverhältnis gegenüberstehen, also von vornherein wechselseitige Ansprüche aus einem einheitlichen Vertragsverhältnis begründet sind.
Im vorliegenden Fall hat die Beklagte im Rahmen eines Auftragsverhältnisses die mit einer konkreten Zweckbestimmung erhaltene Akontozahlung widmungswidrig verwendet.
Die Frage, ob das Aufrechnungsverbot iSd § 1440 Satz 2 ABGB auf Auftrags- und Treuhandverhältnisse (analog) anwendbar ist, wird uneinheitlich beantwortet. In der Lehre wird die Anwendbarkeit des Verbots vorwiegend abgelehnt. Nach der jüngeren Rsp ist die Aufrechnung jedenfalls in jenen Fällen zulässig, in denen der Rückforderungsgläubiger typischerweise mit Gegenansprüchen des Beauftragten (jedenfalls) aus demselben Rechtsverhältnis rechnen muss, sodass die Aufrechnung für ihn nicht überraschend kommt. Schon die ältere, aufrechnungsfreundliche Rsp ließ die Aufrechnung dann nicht zu, wenn dem Beauftragten die Sache bzw der betreffende Geldbetrag mit einem bestimmten Verwendungszweck übergeben wurde. Ähnlich wurde in der (ein Treuhandverhältnis betreffenden) E 6 Ob 16/02z die Aufrechnung mit einer nicht mit dem Treuhandverhältnis im Zusammenhang stehenden Gegenforderung abgelehnt, weil aus der im Treuhandvertrag enthaltenen Zweckbestimmung, nämlich der Verwendung des Treuhandbetrags zur Lastenfreistellung und Zahlung des Restbetrags an den Verkäufer, ein Aufrechnungsverbot folge.
Bei Übergabe einer Sache zu einem bestimmten Verwendungszweck, der sich auch durch Vertragsauslegung ergeben kann, oder bei Leistung eines Geldbetrags mit einer bestimmten Widmung hat die bisherige Rsp auch im Auftragsverhältnis die (analoge) Anwendung des Aufrechnungsverbots iSd § 1440 Satz 2 ABGB aus guten Gründen bejaht. Diese Wertung wird durch folgende Überlegungen zu § 133 StGB gestützt: Nach dieser Bestimmung ist ein Gut anvertraut, wenn die Verfügungsgewalt darüber jemandem mit einer Rückzahlungs- oder Verwendungsverpflichtung in die ausschließliche Gewahrsame überlassen wurde. Wird die Verfügungsgewalt aufgrund eines Rechtsgeschäfts oder eines vertragsähnlichen Rechtsverhältnisses mit der Verpflichtung erlangt, die Sache nur iSd Gewaltgebers zu verwenden, zu verwahren oder zurückzustellen, so gehört sie wirtschaftlich nicht zum Vermögen des Übernehmers, sondern zum Vermögen des Übergebers. Wird das anvertraute Gut vom Übernehmer abredewidrig in eigenes Vermögen oder das Vermögen eines Dritten übergeführt, so liegt eine unrechtmäßige Zueignung vor.
Die widmungswidrige Verwendung einer Akontozahlung kann demnach - ungeachtet der Frage nach dem Vorliegen eines präsenten Deckungsfonds - in die Nähe einer Veruntreuung gerückt werden. Die Verweigerung der Rückzahlung und der Hinweis auf die Abdeckung von Gegenforderungen, für die der Geldbetrag gerade nicht übergeben wurde, stellt letztlich nichts anderes als eine eigenmächtige Selbsthilfe dar und kommt einem Vertrauensbruch gleich. Zugunsten des Rückzahlungsberechtigten ist somit ein schutzwürdiges Interesse an einer effektiven Leistung anzuerkennen.
Entgegen der nicht näher begründeten Ansicht von Dullinger entspricht die Bejahung des Aufrechnungsverbots gerade für den vorliegenden speziellen Fall dem schon dargestellten Normzweck des § 1440 Satz 2 ABGB, weshalb eine analoge Anwendung gerechtfertigt erscheint. Die gegenteilige Ansicht würde die Widmung einer Akontozahlung, die noch nicht als Erfüllung einer bereits entstandenen und fälligen Verbindlichkeit gedacht ist, geradezu ad absurdum führen.
Der Ansicht von Iro, dass jeder Gläubiger einer auf Gattungssachen und damit auch auf Geld gerichteten Forderung immer damit rechnen müsse, dass sein Anspruch durch Kompensation mit einer gleichartigen Forderung ganz oder teilweise zum Erlöschen gebracht werde, kann in dieser allgemeinen Form nicht beigepflichtet werden. In diesem Sinn anerkennt auch Jabornegg das Vertrauen des Auftraggebers auf unverzügliche Rückstellung, wenn ausnahmsweise Gegenansprüche in Frage stehen, die für den Auftraggeber geradezu überraschend sein müssten.