OGH: Zur Sachverständigenhaftung (hier: selbständiger Vermittler von besonders günstigen Verträgen über den Erwerb von fabriksneuen Kfz und Zusage der Risikolosigkeit)
Die Haftung nach § 1300 Satz 1 ABGB setzt nicht Entgeltlichkeit voraus; es genügt, dass der Rat oder die - diesem gleichgehaltene - Auskunft nicht aus bloßer Gefälligkeit (selbstlos) erteilt wurde; das trifft insbesondere dann zu, wenn das beanstandete Verhalten iZm einer von dritter Seite erwarteten Leistung (insbesondere einer Provision für die Vermittlung eines Geschäfts) gesetzt wird
§§ 1295 ff ABGB
GZ 4 Ob 137/10s, 31.08.2010
OGH: Der Beklagte handelte als Sachverständiger iSd §§ 1299, 1300 ABGB.
Der Begriff des Sachverständigen ist weit auszulegen. Er erfasst jeden, der eine Tätigkeit übernimmt, für die ein besonderes Können oder Fachwissen Voraussetzung ist.
Der Beklagte wurde als selbständiger Vermittler von besonders günstigen Verträgen über den Erwerb von fabriksneuen Kraftfahrzeugen tätig. Damit nahm er für sich in Anspruch, über besondere Sachkunde auf dem Gebiet des Kfz-Vertriebs zu verfügen, die es ihm ermöglichte, wesentlich höhere Rabatte zu erwirken als im sonstigen Handel. Diese Sachkunde bezog sich zwar - anders als bei Anlagevermittlern und Immobilienmaklern - nicht auf das vermittelte Produkt, sondern auf wirtschaftliche Zusammenhänge, die einen günstigen Vertragsabschluss ermöglichten. Genau diese Sachkunde nahmen aber die Kunden des Beklagten in Anspruch. Insofern trat er ihnen gegenüber als Sachverständiger auf.
Der Beklagte haftet - Kausalität vorausgesetzt - nach § 1300 Satz 1 ABGB.
Die Haftung nach § 1300 Satz 1 ABGB setzt nach stRsp nicht Entgeltlichkeit voraus; es genügt, dass der Rat oder die - diesem gleichgehaltene - Auskunft nicht aus bloßer Gefälligkeit (selbstlos) erteilt wurde. Das trifft insbesondere dann zu, wenn das beanstandete Verhalten iZm einer von dritter Seite erwarteten Leistung (insbesondere einer Provision für die Vermittlung eines Geschäfts) gesetzt wird.
Die Auskunft des Beklagten, das beabsichtigte Geschäft sei abgesehen von einem allfälligen Insolvenzrisiko des Herstellers sicher, erfolgte iZm der Vermittlung eines Vertrags, für dessen erfolgreichen Abschluss er eine Provision erhielt. Der Beklagte handelte daher nicht aus bloßer Gefälligkeit, sondern verfolgte ein eigenes wirtschaftliches Interesse. Aus diesem Grund haftet er nach § 1300 Satz 1 ABGB auch dann, wenn er durch bloß fahrlässiges Verhalten einen reinen Vermögensschaden verursacht. Auf das Bestehen eines vom Beklagten vermissten "Auskunftsvertrags" - der allerdings in der Rsp gelegentlich allein aufgrund der Auskunftserteilung angenommen wurde - kommt es daher nicht an.
Richtig ist, dass der Beklagte mangels ihm erkennbarer Anhaltspunkte für eine Insolvenz des deutschen Unternehmens nicht verpflichtet war, die Klägerin vor dem grundsätzlich mit jeder Vorauszahlung verbundenen Insolvenzrisiko zu warnen. Um eine solche allgemeine Warnpflicht geht es hier aber nicht. Die Klägerin wirft dem Beklagten vielmehr vor, dass er auf ihre Bedenken gegenüber dem Geschäftsmodell mit dem Hinweis reagiert habe, dieses sei abgesehen von einer Insolvenz des Herstellers "sicher". Da es sich beim Hersteller um ein Tochterunternehmen des VW-Konzerns handelte, erweckte der Beklagte damit den Eindruck völliger Risikolosigkeit.
Zwar führte der Beklagte nicht aus, aus welchen Gründen eine Insolvenz des deutschen Unternehmens unmöglich, äußerst unwahrscheinlich oder für die Klägerin unerheblich sei. Durch den Hinweis auf die "Sicherheit" nahm er aber für sich in Anspruch, das Vertriebssystem zu durchschauen und auf der Grundlage dieser besonderen Sachkunde eine Einschätzung über die mit der Zahlung verbundenen Risiken abgeben zu können. Damit ist der Beklagte durchaus mit einem Finanzdienstleister vergleichbar, der die Risikolosigkeit eines typischen Risikogeschäfts behauptet. Zwar bezog sich seine Auskunft nicht auf das vermittelte Produkt, sondern auf die Abwicklung des Geschäfts. Diese Abwicklung war aber für die Klägerin im konkreten Fall ähnlich undurchschaubar wie die Anlage in ein ungewöhnliches Finanzprodukt. Der Beklagte hätte daher die Auskunft über die "Sicherheit" dieser Abwicklung nur geben dürfen, wenn ihm entsprechende Tatsachen - etwa eine besondere wirtschaftliche Stärke des deutschen Unternehmens oder die Übernahme einer Haftung durch den Hersteller - bekannt gewesen wären. Der bloße Umstand, dass bis zu diesem Zeitpunkt anscheinend alle Fahrzeuge ausgeliefert worden waren, reichte als Grundlage für seine Aussage nicht aus.
Der Beklagte hat daher fahrlässig eine unrichtige Auskunft erteilt. Die Vorinstanzen haben allerdings keine Feststellungen zur Frage getroffen, ob diese Auskunft auch kausal für den Vertragsabschluss durch die Klägerin war. Aus diesem Grund kann derzeit nicht beurteilt werden, ob das Verhalten des Beklagten den Schaden der Klägerin tatsächlich verursacht hat. Die Beweislast dafür trifft die Klägerin.
Der Beklagte hat vorgebracht, dass die Klägerin das Risiko der Insolvenz ihres Geschäftspartners selbst tragen müsse. Damit hat er in der Sache einen Mitverschuldenseinwand erhoben.
Dieser Einwand ist berechtigt. Denn zum einen mussten der hohe Rabatt und die ungewöhnliche Geschäftsabwicklung, an der mehrere Unternehmen beteiligt waren, bei der Klägerin Zweifel an der Seriosität des Vertriebssystems erwecken. Zum anderen war die Aussage des Beklagten, dass das Geschäft abgesehen von einer Insolvenz des Herstellers "sicher" sei, angesichts der Vorauszahlung an ein anderes Unternehmen eine bloße Behauptung, für die er der Klägerin jede Begründung schuldig blieb. Dennoch hat sie dieser Aussage unbesehen vertraut und einen hohen Geldbetrag ohne jede Sicherheit an ein ihr unbekanntes Unternehmen überwiesen. Darin liegt eine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten, die jedoch deutlich geringer wiegt als das Verschulden des Beklagten, der zwar nach den Feststellungen gutgläubig war, aber doch ohne fundierte Kenntnisse die Risikolosigkeit des Systems zusagte. Das Ausmaß ihres Mitverschuldens ist mit einem Viertel zu bemessen.