OGH: Hohes Einkommen des Unterhaltspflichtigen und "Luxusgrenze" bzw "Überalimentierung"
Die Auffassung, als Regel für den Durchschnittsfall könne gelten, dass wegen des pädagogisch wichtigen Leistungsanreizes vermieden werden solle, die Unterhaltsleistung an das die Selbsterhaltungsfähigkeit herstellende Einkommen eines voll Erwerbstätigen heranzuführen, ist vereinzelt geblieben; eine so zu bestimmende Obergrenze des Unterhalts ist wegen ihrer sozialen Variabilität kaum praktikabel
§ 140 ABGB
GZ 6 Ob 127/10k, 01.09.2010
OGH: Hohes Einkommen des Unterhaltspflichtigen darf nicht dazu führen, den Unterhaltsberechtigten über die Angemessenheitsgrenze des § 140 ABGB hinaus zu alimentieren. Bei einem überdurchschnittlichen Einkommen des Unterhaltspflichtigen ist die Prozentkomponente daher nicht voll auszuschöpfen. Wo die Grenzen einer den Bedürfnissen des Kindes und dem Leistungsvermögen des Unterhaltspflichtigen angemessenen Alimentierung zu ziehen sind, lässt sich nur im Einzelfall beurteilen. Maßgebend ist hierbei die Verhinderung einer pädagogisch schädlichen Überalimentierung. Jede (deutliche) Abweichung vom Ergebnis der Prozentsatzmethode bedarf einer besonderen Rechtfertigung. Einer Begründung bedarf dann aber auch die Setzung des Unterhaltsstopps im jeweiligen Einzelfall; die bloße Angabe eines bestimmten Vielfachen des Regelbedarfs als starre Rechengröße genügt hingegen nicht. Den Unterhaltspflichtigen trifft die Beweislast für die seine Unterhaltsverpflichtung aufhebenden oder vermindernden Umstände.
Wenngleich sich die Grenzen einer den Bedürfnissen des Kindes und dem Leistungsvermögen des Unterhaltspflichtigen angemessenen Alimentierung nur im Einzelfall ziehen lassen, können aber nach gefestigter Rsp als Richtwerte das Zweifache (bei Kindern unter 10 Jahren) bzw das Zweieinhalbfache (bei älteren Kindern) des Regelbedarfs gelten. Die Auffassung, als Regel für den Durchschnittsfall könne gelten, dass wegen des pädagogisch wichtigen Leistungsanreizes vermieden werden solle, die Unterhaltsleistung an das die Selbsterhaltungsfähigkeit herstellende Einkommen eines voll Erwerbstätigen heranzuführen, ist vereinzelt geblieben. Eine so zu bestimmende Obergrenze des Unterhalts ist wegen ihrer sozialen Variabilität kaum praktikabel.
Im vorliegenden Fall ging das Erstgericht iSe starren Begrenzung vom Zweieinhalbfachen des Regelbedarfs aus, ohne eine individuelle Bewertung der Angemessenheitsgrenze vorzunehmen. Es hat lediglich entsprechend der stRsp des OGH, wonach dem Unterhaltspflichtigen die verfassungsmäßig gebotene steuerliche Entlastung durch Anrechnung von Transferleistungen auch dann zugute kommt, wenn seine Leistungsfähigkeit aufgrund eines infolge Erreichens der Luxusgrenze angenommenen Unterhaltsstopps nicht zur Gänze ausgeschöpft wird, den mit dem Zweieinhalbfachen des Regelbedarfs berechneten Geldunterhaltsanspruch gekürzt. Es fand Folgendes keinerlei Beachtung: Der Vater hat sich im Unterhaltsvergleich zu einer Unterhaltsleistung verpflichtet, die dem rund 2,42-fachen des damals in der Altersklasse seiner Kinder gegebenen Regelbedarfs (302 EUR) entsprach, nicht aber dem um anzurechnende Transferleistungen gekürzten Zweieinhalbfachen des Regelbedarfs. Der Unterhaltsvergleich hält auch ausdrücklich fest, dass sich die Unterhaltsbeträge exklusive Familienbeihilfe verstehen. Der Vater hat also jahrelang höhere Unterhaltsbeiträge als im Durchschnittsfall geleistet und damit einen "Standard" geschaffen, der nun - auch aufgrund des höheren Alters der Kinder - beträchtlich unterschritten würde, folgte man der Auffassung der Vorinstanzen. Der Vater hat nicht behauptet, dass sich seine Einkommensverhältnisse seit dem Unterhaltsvergleich verschlechtert hätten und sein Einkommen in den Jahren 2007 und 2009 wesentlich von jenem für das Jahr 2008 festgestellten abwich. Es besteht daher kein Anlass, von der dem Unterhaltsvergleich zugrundeliegende Relation zwischen Unterhaltsleistung und Regelbedarf zu Lasten der Kinder abzuweichen.
Gesetzliche Unterhaltsansprüche unterliegen der Umstandsklausel. Der Anspruch kann daher im Fall einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse neu festgelegt werden. Eine allgemein gültige Regel, ab wann von einer solchen Änderung der Verhältnisse auszugehen ist oder nicht, lässt sich nicht aufstellen, weil die Umstände des Einzelfalls von wesentlicher Bedeutung sind. Die Kinder haben ihr Erhöhungsbegehren auf ihre aufgrund des höheren Alters auch gestiegenen Bedürfnisse und die Geldentwertung gestützt. Weder der Änderung der Regelbedarfssätze, die das Erstgericht herangezogen hat, noch dem Wechsel der Altersgruppe kommt aber für sich genommen die Bedeutung einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse zu.