04.11.2010 Zivilrecht

OGH: Arzthaftung - unvorhersehbare Änderung der Operation / Operationserweiterung und mutmaßliche Einwilligung des Patienten

Ergibt sich im Verlauf einer Operation am vollnarkotisierten Patienten eine nicht vorhersehbare Änderung der Operation, kann der Eingriff ausnahmsweise auf der Grundlage einer mutmaßlichen Einwilligung des Patienten durchgeführt werden, die darauf beruht, wie sich ein Patient bei objektiver Bewertung der Situation entschieden hätte


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Arzthaftung, unvorhersehbare Änderung der Operation, Operationserweiterung, mutmaßliche Einwilligung des Patienten
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB

GZ 2 Ob 142/10m, 15.09.2010

OGH: Ergibt sich im Verlauf einer Operation am vollnarkotisierten Patienten eine nicht vorhersehbare Änderung der Operation, kann der Eingriff ausnahmsweise auf der Grundlage einer mutmaßlichen Einwilligung des Patienten durchgeführt werden, die darauf beruht, wie sich ein Patient bei objektiver Bewertung der Situation entschieden hätte. Dabei ist vom Arzt eine Abwägung zwischen Lebens- und Gesundheitsgefährdung (bei Abbruch des Eingriffs) und dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten vorzunehmen. Die wesentlichen Eckpunkte für die ärztliche Entscheidung werden von der Dringlichkeit der Eingriffsindikation und von der Bedeutung der Folgen einer Unterlassung des weiteren Eingriffs einschließlich der Zumutbarkeit einer Unterbrechung der Anästhesie gebildet. Je dringlicher der Erweiterungseingriff ist und je mehr der Operationsabbruch medizinisch kontraindiziert ist, desto unbedenklicher ist die Einwilligungsvermutung. Demgegenüber wiegt die freie Selbstbestimmung des Patienten umso schwerer, je größer die zusätzlichen Risken des eigenmächtigen Erweiterungseingriffs und je gravierender die Auswirkungen auf den Patienten sind. Im Zweifel wiegt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten höher.

Ob nach diesen Grundsätzen eine Operationserweiterung durchgeführt werden darf oder allenfalls sogar muss, ist eine Frage des Einzelfalls.