04.11.2010 Zivilrecht

OGH: Ist bei einem Liegenschaftskauf von einem massiven Sachmangel auszugehen, wenn sich für den Käufer nachträglich herausstellt, dass das von ihm erworbene Einfamilienhaus nicht auf natürlich gewachsenem Boden, sondern auf einer aufgefüllten Schottergrube errichtet worden ist?

Beim Erwerb eines Einfamilienhauses ohne Hinweis auf eine besondere Bodenbeschaffenheit kann im Allgemeinen ein natürlich gewachsener Untergrund erwartet werden; die Reichweite eines vertraglichen Gewährleistungsverzichts ist durch Auslegung zu ermitteln; auf das Fehlen einer auch nur schlüssig zugesicherten Eigenschaft erstreckt sich selbst ein umfassender Gewährleistungsverzicht nicht; ohne Darlegung besonders rücksichtswürdiger Verkäuferinteressen besteht für eine Preisminderung nach der relativen Berechnungsmethode keine Untergrenze mit dem Verkehrswert des mangelhaften Objekts


Schlagworte: Gewährleistungsrecht, Sachmangel, Einfamilienhaus, aufgefüllte Schottergrube, Gewährleistungsverzicht, Preisminderung, relative Berechnungsmethode
Gesetze:

§§ 922 ff ABGB

GZ 9 Ob 50/10h, 28.07.2010

§ 6 des Kaufvertrags vom 8. 9. 2004 enthält folgende Klausel:"Den Käufern ist der Zustand der Liegenschaft bekannt und sie hatten auch die Gelegenheit, sich über den tatsächlichen Zustand der Liegenschaft, sowohl in sachlicher wie auch in öffentlich-rechtlicher Hinsicht zu informieren.

Die Verkäufer haften demnach für keine bestimmte Beschaffenheit des Vertragsgegenstands, jedoch dafür, dass dieser Vertragsgegenstand frei von bücherlichen oder außerbücherlichen Rechten und Lasten - sohin lastenfrei - in das Eigentum der Käufer übergeht. Es wird keine Haftung für ein bestimmtes Ausmaß sowie einen bestimmten Ertrag oder Verwendbarkeit durch die Verkäufer übernommen."

OGH: Eine Mangelhaftigkeit iSe Vertragswidrigkeit besteht in einer qualitativen oder quantitativen Abweichung der Leistung vom vertraglich Geschuldeten. Die Gewährleistung soll Störungen der subjektiven Äquivalenz abhelfen. Aus diesem Grund hat der Gewährleistungspflichtige den Minderwert seiner Leistung zu vertreten. Der geschuldete Vertragsgegenstand wird durch die gewöhnlich vorausgesetzten oder die ausdrücklich oder stillschweigend zugesicherten Eigenschaften bestimmt. Ob eine Eigenschaft als zugesichert anzusehen ist, hängt nicht davon ab, was der Erklärende wollte, sondern was der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben aus der Erklärung des Vertragspartners erschließen durfte. Seine berechtigte Erwartung ist an der Verkehrsauffassung zu messen. Der Kaufgegenstand muss auch der Natur des Geschäfts oder der geschlossenen Verabredung entsprechend benützt und verwendet werden können.

Die Vertragswidrigkeit eines Leistungsgegenstands ist allerdings nicht abstrakt, sondern immer aufgrund des konkreten Veräußerungsvertrags zu beurteilen. Die Vertragsparteien können eine Sache, die objektiv gesehen mangelhaft ist, durchaus als vertragsgemäß ansehen. So kann etwa ein auffallend niedriger Kaufpreis ein Indiz dafür sein, dass bestimmte negative Eigenschaften des Kaufgegenstands nach der Vorstellung der Parteien keinen Mangel darstellen und somit auch keine Gewährleistungsansprüche auslösen sollen. Wer beispielsweise billig ein aufgelassenes Fabriksgelände erwirbt, darf sich im Allgemeinen nicht darüber beschweren, dass der Boden mit Altöl oder anderen Sonderabfällen, die beim Betrieb der Fabrik angefallen sind, kontaminiert ist.

Bei Unterlassung einer nach Treu und Glauben berechtigt erwarteten Aufklärung - wie hier über die Bodenbeschaffenheit - darf nicht ohne weiteres eine schlüssige Zusage angenommen werden, wenn der Erwerber keine Auskünfte oder Belehrungen verlangt. Wenn aber der Verkäufer die Wichtigkeit der tatsächlich fehlenden Eigenschaft für den Käufer kennt oder diese zumindest erkennen muss, ist er bei Nichtaufklärung über das Fehlen der berechtigt erwarteten Eigenschaft grundsätzlich gewährleistungspflichtig.

Nach gesicherter Rsp erstreckt sich ein umfassend abgegebener Gewährleistungsverzicht grundsätzlich auch auf geheime und solche Mängel, die normalerweise vorausgesetzte Eigenschaften betreffen. Im Zweifel sind Verzichtserklärungen allerdings restriktiv auszulegen. Ein vertraglicher Gewährleistungsverzicht erstreckt sich daher nicht auf das Fehlen ausdrücklich oder schlüssig zugesicherter Eigenschaften oder auf arglistig verschwiegene Mängel. Durch das neue Gewährleistungsrecht hat sich an diesen Grundsätzen nichts geändert.

Der Haftungsausschluss in § 6 des Kaufvertrags steht mit dem Hinweis auf den den Käufern bekannten Zustand der Liegenschaft und der ihnen gegebenen Gelegenheit zur Informationsbeschaffung (zB durch Besichtigung) in Verbindung (arg: "Die Verkäufer haften demnach ..."). Es handelt sich somit um keinen umfassenden Gewährleistungsverzicht. Vielmehr bezieht sich dieser nur auf Mängel, die für die Käufer etwa durch Besichtigung sowie Informationsaufnahme erkennbar gewesen wären. Eine Nachfrageobliegenheit zur Bodenbeschaffenheit hat für die Kläger nicht bestanden. Sie konnten sich mangels gegenteiliger Anhaltspunkte auf natürliche Bodenverhältnisse verlassen. Dass die Bodenbeschaffenheit für den Käufer einen wichtigen, den Kaufabschluss unmittelbar beeinflussenden Umstand darstellt, ist nicht nur allgemein bekannt, sondern musste den Beklagten schon aufgrund des Hinweises im eigenen Kaufvertrag bewusst sein. Weil die Kläger über das Fehlen einer konkret erwarteten Eigenschaft von den Beklagten trotz deren entsprechenden Wissensstands nicht aufgeklärt wurden, ist ausgehend vom Erkenntnishorizont der Kläger von einer konkludent zugesicherten Eigenschaft, nämlich dem Vorhandensein gewachsenen Bodens, auszugehen.

Entgegen der Ansicht der Beklagten setzt die Unwirksamkeit eines Gewährleistungsverzichts nicht die Unbrauchbarkeit der Leistung voraus.

Zur Ermittlung der Höhe der Preisminderung bedient sich die stRsp der sog relativen Berechnungsmethode. Damit soll die mit dem Kaufpreis im Verhältnis zum Verkehrswert des Kaufobjekts festgelegte subjektive Äquivalenz aufrecht erhalten werden. Nach dieser Berechnungsmethode soll sich der geminderte Preis zum vereinbarten Preis wie der Wert der mangelhaften Sache zum Wert der mangelfreien Sache verhalten.

An der relativen Berechnungsmethode wurde bisher mit dem Argument festgehalten, dass der Mangel in die Sphäre des Verkäufers falle und dem Käufer die durch einen günstigen Kauf erworbene Wertrelation erhalten bleiben solle. Dementsprechend findet die Preisminderung nicht im gemeinen Wert (Verkehrswert) des mit dem Mangel behafteten Kaufobjekts ihre Untergrenze. Auf Verkäuferinteressen wurde in der Rsp bisher aber dann Bedacht genommen, wenn sich der Kaufpreis nach der relativen Berechnungsmethode auf Null reduzierte.