OGH: Unterhaltsanspruch nach § 68a EheG - führt ein vorhandener Vermögensstamm des Unterhaltsberechtigten zu einer Befreiung des Unterhaltspflichtigen?
Das Gewicht der Unbilligkeitsgründe nach § 68a Abs 3 EheG ist auch maßgebend für die Frage, inwieweit vom Unterhaltsbedürftigen verlangt werden kann, seinen Unterhalt aus dem Stamm seines Vermögens zu decken
§ 68a EheG, § 67 EheG
GZ 8 Ob 60/10x, 18.08.2010
OGH: Nach der Unbilligkeitsklausel des § 68a Abs 3 EheG vermindert sich oder entfällt der Unterhaltsanspruch zufolge Kinderbetreuung (Abs 1) oder Erwerbsunmöglichkeit (Abs 2), soweit die Gewährung des Unterhalts unbillig wäre, weil der Bedürftige einseitig besonders schwerwiegende Eheverfehlungen begangen hat, dieser seine Bedürftigkeit grob schuldhaft herbeigeführt hat oder ein gleich schwerwiegender Grund vorliegt. Je gewichtiger die Minderungs- oder Versagungsgründe sind, desto eher ist vom Bedürftigen zu verlangen, seinen Unterhalt durch die Erträgnisse einer anderen als einer zumutbaren Erwerbstätigkeit oder aus dem Stamm seines Vermögens zu decken. Nach dem Bericht des Justizausschusses soll durch diese Regelung verdeutlicht werden, dass sich eine Unbilligkeit der Unterhaltsgewährung nicht nur - iSe "Alles oder Nichts" - auf das Bestehen des Unterhaltsanspruchs, sondern auch auf dessen Höhe (vermindernd) auswirken kann. Das Gericht sei durch die Schaffung eines beweglichen Systems in die Lage versetzt, zur Verwirklichung der Einzelfallgerechtigkeit nach den jeweiligen Gegebenheiten des Falls den Unterhalt stufenlos zwischen der Abdeckung des Lebensbedarfs und der gänzlichen Versagung auszumessen. In dieser Hinsicht hat eine umfassende Interessenabwägung der Unbilligkeitsgründe nach den Umständen des Einzelfalls stattzufinden. Das Gewicht der Unbilligkeitsgründe nach § 68a Abs 3 EheG ist auch maßgebend für die Frage, inwieweit vom Unterhaltsbedürftigen verlangt werden kann, seinen Unterhalt aus dem Stamm seines Vermögens zu decken.
Richtig ist, dass in der Literatur die Ansicht vertreten wird, dass die Einschränkung des § 67 Abs 2 EheG analog bzw aufgrund eines Größenschlusses auch auf die Unterhaltstatbestände des § 68a EheG anzuwenden seien und daher auch nach § 68a EheG eine Befreiung von der Unterhaltspflicht entsprechend § 67 Abs 2 EheG möglich sei, wenn der Unterhaltsberechtigte seinen Lebensbedarf in zumutbarer Weise aus dem Stamm seines (verwertbaren) Vermögens bestreiten könne.
§ 68a Abs 4 EheG verweist ausdrücklich (nur) auf § 67 Abs 1 EheG. Der Unterhaltsanspruch nach § 68a EheG verringert sich somit ebenso wie der angemessene Unterhalt nach § 66 EheG auf einen reduzierten Betrag nach Billigkeit, wenn der Unterhaltspflichtige durch die Unterhaltsgewährung bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen seinen eigenen angemessenen Unterhalt gefährden würde. Die Verweisung auf den Befreiungstatbestand des § 67 Abs 2 EheG erachtete der Justizausschuss ausdrücklich für entbehrlich, weil die Frage, inwieweit der Stamm des Vermögens bei der Unterhaltsbemessung zu berücksichtigen sei, für den Unterhaltstatbestand des § 68a EheG in dessen Abs 3 geregelt sei.
Ob dem Gesetzgeber zufolge einer an sich gewollten und nur irrtümlich für entbehrlich gehaltenen Einbeziehung auch des § 67 Abs 2 EheG in § 68a Abs 4 EheG ein Redaktionsversehen zu unterstellen ist und daher die Voraussetzungen für einen Analogie- oder Größenschluss gegeben sind, muss hier aber nicht näher vertieft werden. Aufgrund des Verweises in § 67 Abs 2 EheG auf § 67 Abs 1 EheG steht nämlich fest und ist auch in der Literatur unbestritten, dass der Befreiungstatbestand des § 67 Abs 2 EheG nur bei Gefährdung des angemessenen Unterhalts des Unterhaltspflichtigen nach Maßgabe seiner eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse zum Tragen kommt. Selbst bei Bejahung der Anwendbarkeit des § 67 Abs 2 EheG auf die Unterhaltstatbestände auch des § 68a EheG könnte sich der Unterhaltspflichtige (hier der Beklagte) gegenüber dem bedürftigen geschiedenen Ehegatten somit nur darauf berufen, dass er durch die Gewährung des Unterhalts bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen den eigenen angemessenen Unterhalt gefährden würde. Einen derartigen Einwand hat der Beklagte trotz Vorbringens der Klägerin, dass die Voraussetzungen des § 67 Abs 1 EheG nicht gegeben seien, nicht erhoben.