14.10.2010 Zivilrecht

OGH: Eingriffe in den höchstpersönlichen Lebensbereich und Interessenabwägung

Im Kernbereich der geschützten Privatsphäre kann - auch bei Politikern - die Interessenabwägung nur dann zugunsten des Äußernden ausfallen, wenn ein allgemeines Informationsinteresse besteht oder der Verletzte seine privaten Lebensumstände öffentlich gemacht hat; ob schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt wurden und zu wessen Gunsten die Interessenabwägung ausschlägt, hängt im Allgemeinen von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab


Schlagworte: Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, Eingriffe in den höchstpersönlichen Lebensbereich, Interessenabwägung, Politiker
Gesetze:

Art 8 EMRK, § 16 ABGB, § 7 MedG, § 78 UrhG

GZ 6 Ob 71/10z, 24.06.2010

OGH: Auch eine allgemein bekannte Person, für deren Leben sich die breite Bevölkerung interessiert und die immer wieder Gegenstand von Medienberichten ist, hat Anspruch darauf, dass die Allgemeinheit ihren höchstpersönlichen Lebensbereich respektiert. Als Kernbereich der durch das Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art 8 EMRK) geschützten Privatsphäre genießt der höchstpersönliche Lebensbereich besonderen Schutz vor medialer Preisgabe.

In der E 6 Ob 103/07a wurde ausgeführt, dass der höchstpersönliche Lebensbereich den Kernbereich der geschützten Privatsphäre darstellt und daher einer den Eingriff rechtfertigenden Interessenabwägung regelmäßig nicht zugänglich ist. Dass aber eine Abwägung der berührten Persönlichkeitsinteressen und der Gegeninteressen, insbesondere der Informationsinteressen der Öffentlichkeit und der öffentlichen Aufgabe der Medien, in jedem Fall ausgeschlossen ist, hat der OGH in dieser Entscheidung nicht ausgesprochen. Die E 4 Ob 150/08z präzisiert im Hinblick auf die Rsp des EGMR dahin, dass bei Personen des öffentlichen Lebens, insbesondere Politikern, zu beachten ist, ob die Veröffentlichung einen Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse leistet oder nur die Neugier eines bestimmten Publikums im Hinblick auf Einzelheiten aus dem Privatleben einer bekannten Person befriedigen will. Im letztgenannten Fall legt der Gerichtshof das Recht der freien Meinungsäußerung weniger weit aus.

Es ist stRsp des OGH, dass eine Interessenabwägung insofern vorzunehmen ist, als die Interessen des Verletzten in seiner durch Art 8 EMRK geschützten Sphäre den Interessen des Äußernden gegenüber zu stellen sind, wobei im Kernbereich der geschützten Privatsphäre - auch bei Politikern - die Interessenabwägung nur dann zugunsten des Äußernden ausfallen kann, wenn ein allgemeines Informationsinteresse besteht oder der Verletzte seine privaten Lebensumstände öffentlich gemacht hat. Ob schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt wurden und zu wessen Gunsten die Interessenabwägung ausschlägt, hängt im Allgemeinen von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab.