OGH: Ausschluss des ordentlichen und außerordentlichen Kündigungsrechts in Genussschein-AGB
Der Ausschluss eines außerordentlichen Kündigungsrechts für die Dauer des Bestehens der Gesellschaft ist als sittenwidrig iSd § 879 Abs 3 ABGB anzusehen, ohne dass es auf die Börsengängigkeit der Beteiligung ankäme; der Ausschluss der ordentlichen Kündigung kann grundsätzlich nur dann zulässig sein, wenn die Übertragbarkeit der Beteiligung ausreichend gesichert ist und dem Anleger eine der Kündigung gleichwertige Beendigungsmöglichkeit geboten wird
§ 174 Abs 3 AktG, § 879 Abs 3 ABGB, § 6 Abs 1 Z 1 KSchG
GZ 1 Ob 105/10p, 06.07.2010
OGH: Zum Ausschluss der außerordentlichen Kündigung:Unbestritten sind die hier zu beurteilenden Genussscheinbedingungen Grundlage für Vertragsbeziehungen, die die Gewährung von Genussrechten nach § 174 Abs 3 AktG zum Gegenstand haben. Gesetzliche Regelungen, die das Genussrecht genauer definieren und seine rechtliche Gestaltung regeln, hat der Gesetzgeber bewusst nicht erlassen in dem Bestreben, die Entwicklung dieses Instruments unter Achtung des Prinzips der Privatautonomie nicht zu hindern. Entsprechend vielfältig ist die Art der Genussrechte, die damit eingeräumt werden können. In der Regel werden Genussrechte als Gegenleistung für Unternehmensfinanzierung eingeräumt und gewähren Ansprüche auf einen Teil des Gewinns, oft auch eine Beteiligung am Liquidationsergebnis. Sie können alle Rechte betreffen, die typischerweise Vermögensrechte eines Aktionärs sein können, nicht aber Verwaltungsrechte, insbesondere weder Stimmrecht noch Anfechtungsbefugnis. Genussrechte gewähren daher keine mitgliedschaftlichen Rechte. Im Gegensatz zu Aktien leiten sich Genussrechte nicht aus einem Gesellschaftsverhältnis ab, sondern sind schuldrechtlicher Natur und gewähren reine Gläubigerrechte.
Die Tatsache, dass die rechtliche Ausgestaltung der Genussrechte keiner besonderen gesetzlichen Regelung unterliegt, bedeutet für den Emittenten weitgehende Gestaltungsfreiheit. Der Privatautonomie sind aber grundsätzlich durch die Bestimmungen der §§ 864a, 879 ABGB und § 6 KSchG Grenzen gesetzt. Das auf Einräumung von Genussrechten gerichtete Rechtsgeschäft ist nach der Rsp ein Vertrag sui generis und begründet ein Dauerschuldverhältnis. Ihm liegen regelmäßig formularmäßige Bedingungen zugrunde, welche den für AGB sonst geltenden Vorschriften der §§ 864a, 879 Abs 3 ABGB sowie des KSchG unterliegen.
Da Genussrechte im Allgemeinen der Unternehmensfinanzierung dienen, sind sie auf Dauer angelegt und daher Dauerschuldverhältnisse. Nach in LuRsp unbestrittener Auffassung ist die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung, also einer Kündigung aus wichtigem Grund, allen Dauerschuldverhältnissen immanent. Ein völliger Ausschluss des Kündigungsrechts bei einem unbefristeten Dauerschuldverhältnis wird daher grundsätzlich als sittenwidrig und als Verstoß gegen § 879 ABGB angesehen.
Auch für ein Genussrechtsverhältnis wird allgemein die Auffassung vertreten, dass das Recht auf eine außerordentliche Kündigung im Kern zwingend ist und durch allgemeine Geschäftsbedingungen nicht abbedungen werden kann, wenn das weitere Festhalten am Vertrag für eine Partei unzumutbar ist.
Der Ausschluss eines außerordentlichen Kündigungsrechts für die Dauer des Bestehens der Gesellschaft ist daher insgesamt bei den von der Beklagten ausgegebenen Genussscheinen als sittenwidrig iSd § 879 Abs 3 ABGB anzusehen, ohne dass es auf die Börsengängigkeit der Beteiligung ankäme.
Zum Ausschluss der ordentlichen Kündigung:Hier meint die Revisionswerberin, dass bei Kapitalgesellschaften das Austrittsrecht durch ein Übertragungsrecht ersetzt werde, um den Haftungsfonds zu Gunsten der Gläubiger zu erhalten. Wie bereits dargelegt, erwerben die Zeichner von Genussrechten aber keine sozietären Anteile an der Beklagten, sondern eine Gläubigerstellung, sodass dieses Argument fehlschlägt.
Die Tatsache, dass die Beklagte die Erlöse aus der Emission der Genussscheine als Eigenkapital behandeln möchte, hat nicht zur Rechtsfolge, dass ein Austrittsrecht durch ein Übertragungsrecht ersetzt werden darf. Vielmehr ist umgekehrt zuerst in zivilrechtlicher Hinsicht - hier gegenüber Verbrauchern - die Zulässigkeit des Ausschlusses des Kündigungsrechts zu prüfen; daran können sich gegebenenfalls zB bilanz- oder steuerrechtliche Rechtsfolgen knüpfen.
Wie bereits in 10 Ob 34/05f dargelegt, kann der Ausschluss der Kündigung grundsätzlich nur dann zulässig sein, wenn die Übertragbarkeit der Beteiligung ausreichend gesichert ist und dem Anleger eine der Kündigung gleichwertige Beendigungsmöglichkeit geboten wird. Dieser Umstand wurde dort in der Verbriefung und Börsezugänglichkeit gesehen. Der 10. Senat sah eine unkündbare Zurverfügungstellung von Kapital (in Bezug auf das ordentliche Kündigungsrecht) für rechtfertigbar, wenn die Übertragbarkeit der Anteile über eine organisierte Markteinrichtung - insbesondere über die Börse - möglich ist. Keinen Einfluss maß er dem Umstand bei, dass durch mangelnden Umsatz weder die rasche Veräußerbarkeit gewährleistet sei, noch (wegen des Kursrisikos) die Sicherheit bestehen kann, dass der Anleger den tatsächlichen Wert seines eingesetzten Vermögens lukrieren kann. Dies falle vielmehr in das typische Anlegerrisiko. Die Börsennotierung sei aber keine automatische Berechtigung, sondern nur ein starkes Indiz für die Zulässigkeit des Austauschs der Lösungsrechte, weil mit der Börsennotierung nicht nur die Vereinfachung der Vertragspartnersuche, sondern auch die Bewertung der Kapitalanlage einhergehe. Auch wenn eine im Zeitpunkt des Erwerbs des Wertpapiers bestehende Börsennotierung noch keine verlässliche Sicherheit dafür biete, dass das Wertpapier auch während der nachfolgenden Jahrzehnte immer an der Börse zu seinem dort bestehenden Kurswert verkauft werden könne, treffe dieses Marktrisiko den veräußernden Anleger. Die nachträgliche Verschlechterung der Veräußerungsmöglichkeit durch eine unvorhergesehene Änderung der Marktlage schade nicht. Die Liquidität werde nicht nur vom Emittenten alleine sondern im Zusammenwirken mit den am Handel Beteiligten und schließlich va durch die kauf- und verkaufswilligen Anleger bestimmt. Die Börsennotierung gebe dem Anleger grundsätzlich die Möglichkeit, seine Kapitalanlage jederzeit zu objektiv festgestellten Konditionen zu veräußern.
Selbst wenn man davon ausginge, dass Börsegängigkeit grundsätzlich den Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts rechtfertigen könnte, ist hier aber auf folgende besondere Umstände Bedacht zu nehmen:
In den AGB der Beklagten wird die ordentliche Kündigung der Anleger auf Dauer des Bestehens der Beklagten ausgeschlossen. Die Beklagte dagegen ist beginnend mit Ende 2004, also rund 3 Jahre nach Erstausgabe der Genussscheine, berechtigt, zum Ende eines jeden Wirtschaftsjahres die Genussrechte zu kündigen und zurückzukaufen. Dies ist aber doppelt bedenklich: Einerseits kann damit verhindert werden, dass nach Ablauf der Verzichtsfrist der Kurs der Gewinnscheine steigt, weil die Käufer mit der jederzeitigen Kündigung rechnen müssen. Die Kündigung ist aber gerade dann zu befürchten, wenn die Gewinnaussichten der Emittenten gut sind, weil dann Genussscheine wegen der Gewinnbeteiligung tendenziell "teuer" sind. Die Kündigungsmöglichkeit durch die Emittenten kann also die Lukrierung dieser Ertragsaussichten und damit möglicherweise auch das Zustandekommen eines Sekundärmarkts verhindern. Das aber stellt den Zweck der Börseneinführung und die Rechtfertigung für die Unkündbarkeit der Gewinnscheine in Frage. Da tendenziell bei positiver wirtschaftlicher Entwicklung mit einer Kündigung durch den Emittenten gerechnet werden muss, bleiben die Anleger von den Ertragsaussichten eher ausgeschlossen, obwohl sie mit demselben Risiko wie die Gesellschafter ihren kapitalmäßigen Beitrag geleistet haben. Umgekehrt haben sie aber bei schlechter Ertragsentwicklung keine Möglichkeit, sich von der Beteiligung zu trennen, mit Ausnahme der Veräußerung über die Börse zu einem Kurs, der die schlechte wirtschaftliche Lage voll widerspiegeln wird.
Da die schlechte Marktlage in der Regel kein Grund für die Ausübung des außerordentlichen Kündigungsrechts, sondern Teil des Anlegerrisikos ist, bedeutet diese unterschiedliche Ausgestaltung der ordentlichen Kündigungsrechte eine gröbliche Benachteiligung der Anleger zu Gunsten der Beklagten, für die eine sachliche Rechtfertigung nicht zu erkennen ist.
Ob daher die Börsengängigkeit von Genussrechten grundsätzlich geeignet wäre, das ordentliche Kündigungsrecht - zumindest für die Dauer der tatsächlichen Börsennotierung - zu ersetzen, braucht hier nicht abschließend beurteilt zu werden, weil im Hinblick auf die übrigen Bestimmungen der AGB bei der Gesamtabwägung von einer Nichtigkeit der beanstandeten Klauseln iSd § 879 Abs 3 ABGB und § 6 Abs 1 Z 1 KSchG auszugehen ist.