23.09.2010 Zivilrecht

OGH: Erheblich nachteiliger Gebrauch gem § 1118 erster Fall ABGB - widmungswidrige Verwendung und (stillschweigender) Verzicht auf Geltendmachung des Kündigungsgrundes

Während bei widmungsgemäßer Benutzung des Bestandobjekts der Auflösungsgrund nach § 1118 erster Fall ABGB nur dann verwirklicht ist, wenn die mit dem Betrieb verbundenen Belästigungen das bei Unternehmen dieser Art übliche oder unvermeidbare Ausmaß übersteigen, berechtigt eine widmungswidrige Verwendung den Vermieter zur Auflösung wegen nachteiligen Gebrauchs bereits dann, wenn die mit der widmungswidrigen Verwendung zusammenhängenden Störungen zwar das übliche Ausmaß nicht übersteigen, die Nutzung aber eine erhebliche Interessenbeeinträchtigung des Vermieters bewirkt; falls hingegen der widmungswidrige Gebrauch nicht zugleich erheblich nachteilig ist, kann der Vermieter zwar die Unterlassung begehren, nicht aber den Bestandvertrag nach § 1118 erster Fall ABGB auflösen; ein Verzicht auf Geltendmachung des Kündigungsgrundes gilt nicht für zukünftiges weiteres vertragswidriges Verhalten


Schlagworte: Bestandrecht, Vertragsaufhebung, erheblich nachteiliger Gebrauch, widmungswidrige Verwendung, (stillschweigender) Verzicht auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes
Gesetze:

§ 1118 ABGB, § 30 Abs 2 MRG

GZ 3 Ob 87/10f, 04.08.2010

OGH: Erheblich nachteiliger Gebrauch gem § 1118 erster Fall ABGB umfasst sowohl den Tatbestand des nachteiligen Gebrauchs iSd § 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG als auch jenen des unleidlichen Verhaltens iSd § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG. Nachteiliger Gebrauch setzt neben einem erheblichen Nachteil für den Vermieter eine wiederholte längerwährende vertragswidrige Benützung der Bestandsache durch den Bestandnehmer voraus. Dabei ist nach stRsp erheblich nachteiliger Gebrauch nicht nur dann gegeben, wenn die körperliche Substanz des Bestandgegenstands beschädigt wird, sondern auch dann, wenn sich der Bestandnehmer eines solchen Verhaltens oder Vorgehens schuldig macht, das geeignet ist, den Ruf oder wichtige wirtschaftliche oder sonstige Interessen des Bestandgebers zu schädigen. Während bei widmungsgemäßer Benutzung des Bestandobjekts der Auflösungsgrund nach § 1118 erster Fall ABGB (entsprechend dem Kündigungsgrund gem § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG) nur dann verwirklicht ist, wenn die mit dem Betrieb verbundenen Belästigungen das bei Unternehmen dieser Art übliche oder unvermeidbare Ausmaß übersteigen, berechtigt eine widmungswidrige Verwendung den Vermieter zur Auflösung wegen nachteiligen Gebrauchs (entsprechend dem Kündigungsgrund gem § 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG) bereits dann, wenn die mit der widmungswidrigen Verwendung zusammenhängenden Störungen zwar das übliche Ausmaß nicht übersteigen, die Nutzung aber eine erhebliche Interessenbeeinträchtigung des Vermieters bewirkt. Falls hingegen der widmungswidrige Gebrauch nicht zugleich erheblich nachteilig ist, kann der Vermieter zwar die Unterlassung begehren, nicht aber den Bestandvertrag nach § 1118 erster Fall ABGB auflösen.

Der Grundsatz, dass Auflösungs- und Kündigungsgründe ohne unnötigen Aufschub geltend gemacht werden müssen, kann uneingeschränkt nur auf zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossene Tatbestände, nicht aber auf Dauertatbestände angewendet werden, weil bei letzteren grundsätzlich nicht auf einen Verzicht auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes geschlossen werden kann. Das gilt insbesonders für den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 MRG, der dem Aufhebungsgrund des § 1118 erster Fall ABGB entspricht. Die Anwendung dieses Grundsatzes auch auf Vertragsaufhebungsgründe wurde vom OGH bereits bejaht.

Auch bei erheblich nachteiligem Gebrauch und unleidlichem Verhalten ist - wenngleich unter Anlegung des allgemein streng anzusetzenden Maßstabs - ein stillschweigender Verzicht auf die Geltendmachung eines bereits verwirklichten Kündigungs(-auflösungs-)grundes möglich. Davon zu unterscheiden ist jedoch, dass dieser Verzicht nicht für zukünftiges weiteres vertragswidriges Verhalten gilt. Das in der Revisionsbeantwortung selbst als "plastisch drastisch" bezeichnete Beispiel des Mieters, der den Vermieter zunächst viermal jährlich und in der Folge acht Mal jährlich ohrfeigt, ohne dass der Vermieter Konsequenzen zieht, belegt die Richtigkeit dieses Grundsatzes eindrucksvoll: Selbstverständlich kann der Vermieter in diesem von der beklagten Partei gewählten Beispielsfall das Mietverhältnis auflösen, wenn der Mieter ihn nun im achten Jahr 25-30 Mal jährlich ohrfeigt. Die in der Revisionsbeantwortung offenbar vertretene Auffassung, die Duldung der Ohrfeigen in der Vergangenheit bewirke, dass der Vermieter sich auch in Zukunft und überdies weitaus häufiger ohrfeigen lassen müsse, ohne das Bestandverhältnis auflösen zu können, ist schlicht unhaltbar und mit den dargestellten Grundsätzen der Rsp nicht in Einklang zu bringen.