22.07.2010 Zivilrecht

OGH: Schadenersatzrecht - Raufhandel und Notwehr

Notwehr ist die innerhalb der Grenzen der notwendigen Verteidigung gehaltene Abwehr eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs auf Leben, Freiheit oder Vermögen; notwendig ist aber stets nur jene Verteidigung, die unter den verfügbaren Mitteln das schonendste darstellt, um den gegenwärtigen oder unmittelbar bevorstehenden Angriff sofort und endgültig abzuwenden; das Maß der Abwehr bestimmt sich nach der Art, der Wucht und der Intensität des Angriffs bzw der Gefährlichkeit des Angreifers und der zur Abwehr zur Verfügung stehenden Mittel


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Raufhandel, Notwehr
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB, § 19 ABGB

GZ 4 Ob 143/09x, 20.04.2010

Der Beklagte macht geltend, dass die gesamte Auseinandersetzung als Notwehrsituation für den Beklagten zu qualifizieren sei, weil die gerichtlichen Feststellungen keine Differenzierung in eine Notwehrhandlung und in einen Raufhandel zuließen. Der Kläger macht geltend, die gesamte tätliche Auseinandersetzung sei dem Beklagten zuzurechnen, weil dieser auf den Kläger zu- und losgegangen sei.

OGH: Notwehr ist die innerhalb der Grenzen der notwendigen Verteidigung gehaltene Abwehr eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs auf Leben, Freiheit oder Vermögen. Das drohende Erheben einer Metallfeile durch den Kläger mag als solcher Angriff gelten.

Notwendig ist aber stets nur jene Verteidigung, die unter den verfügbaren Mitteln das schonendste darstellt, um den gegenwärtigen oder unmittelbar bevorstehenden Angriff sofort und endgültig abzuwenden. Das Maß der Abwehr bestimmt sich nach der Art, der Wucht und der Intensität des Angriffs bzw der Gefährlichkeit des Angreifers und der zur Abwehr zur Verfügung stehenden Mittel. Faustschläge, die ua zu einer Gehirnerschütterung und einer Mittelgesichtsfraktur mit Impression der Kieferhöhlenvorderwand führen, stellen nicht das schonendste Mittel dar, um den drohenden Angriff des Klägers durch Erheben einer Metallfeile abzuwehren, zumal es der Beklagte selbst war, der auf den Kläger zugegangen war, um ihn wegen einer vorangegangenen Auseinandersetzung anzusprechen.

Der Beklagte handelte daher aufgrund von Ausübung unangemessener Gewalt rechtswidrig. Er handelte auch schuldhaft, weil er hätte erkennen können, dass auch schonendere Mittel zielführend sind. Die schwere Schädigung hätte er vermeiden können. Es wäre zwar unrealistisch, vom Beklagten die exakte Abschätzung der Abwehrwirkung seiner Schläge zu verlangen, jedoch wäre ihm sehr wohl zumutbar gewesen, von Faustschlägen mit derartiger Wucht Abstand zu nehmen, die dem Kläger letztlich ua eine Mittelgesichtsfraktur mit Impression der Kieferhöhlenvorderwand zufügten. Bei Gesamtbewertung der gegenseitigen Aggressionshandlungen ist letztlich auch zu berücksichtigen, dass es der Beklagte war, der sich durch die Äußerungen des Klägers am Arbeitsplatz beleidigt fühlte, und er es war, der sich am Betriebsparkplatz dem Kläger näherte um ihn zur Rede zu stellen.

Den Kläger trifft durch seine drohende Haltung und das Auslösen einer Notwehrsituation ein Mitverschulden. Wird der Schädiger durch den Verletzten provoziert, ist stets ein Mitverschulden des Verletzten anzunehmen, dessen Ausmaß allerdings von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängt. Die Verschuldensteilung des Erstgerichts im Verhältnis 1:1 ist zutreffend. Nicht geteilt wird die auf Grundsätze alternativer Kausalität gestützte Auffassung des Berufungsgerichts, wonach der Kläger einen größeren Schadensanteil tragen müsse. Der vom Berufungsgericht zur Begründung herangezogene Rechtssatz, wonach in dem Fall, dass ein Schädiger mehrere Schadensursachen gesetzt, er aber nur für eine dieser Ursachen haftbar ist, während die andere in die Risikosphäre des Verletzten fällt (etwa gerechte Notwehr des Schädigers), und nicht festgestellt werden kann, welches der Ereignisse für den Schaden tatsächlich kausal war (alternative Kausalität), der Schaden zwischen dem Geschädigten und dem möglichen Schädiger zu teilen ist, aber eine Entlastung des möglichen Schädigers über die Hälfte hinaus einzutreten hat, wenn den Geschädigten (etwa infolge vorhergehender Provokation) auch ein Mitverschulden an der konkret gefährlichen rechtswidrigen und schuldhaften Handlung des Schädigers trifft, ist für das konkrete, als Gesamtheit zu betrachtende Schadensereignis nicht anzuwenden. Mangels "gerechter Notwehr" - wegen Notwehrüberschreitung - haftet der Beklagte hier für den gesamten Schaden. Er kann sich aber auf ein gleichteiliges Mitverschulden des Klägers berufen.