13.05.2010 Zivilrecht

OGH: Zur ärztlichen Aufklärungspflicht

Bei einer dringenden Operation, die für den Patienten vitale Bedeutung hat, ist die Aufklärungspflicht des Arztes nicht zu überspannen; insbesondere ein ängstlicher Patient soll nicht durch die Aufklärung über selten verwirklichte Operationsrisken beunruhigt und dazu veranlasst werden, eine dringliche Operation nicht vornehmen zu lassen


Schlagworte: Schadenersatzrecht, ärztliche Aufklärungspflicht
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB

GZ 4 Ob 203/09w, 23.02.2010

OGH: Der OGH vertritt die Auffassung, dass die Anforderungen an den Umfang der Aufklärung des Patienten über mögliche schädliche Auswirkungen nicht einheitlich, sondern nach den Gesichtspunkten gewissenhafter ärztlicher Übung und Erfahrung den Umständen des Einzelfalls und den Besonderheiten des Krankheitsbildes Rechnung tragend ermittelt werden können. Es können auch keine Prozentsätze (Promillesätze) dafür angegeben werden, bei welcher Wahrscheinlichkeit von Schädigungen eine Aufklärungspflicht nicht mehr besteht. Es kommt immer auf die Umstände des Einzelfalls an.

Nach stRsp hängt der Umfang der Aufklärungspflicht des Arztes von der Dringlichkeit des Eingriffs aus der Sicht eines verständigen Patienten ab. Ist der Eingriff zwar medizinisch empfohlen, aber nicht eilig, so ist grundsätzlich eine umfassende Aufklärung notwendig. In einem solchen Fall ist die ärztliche Aufklärungspflicht selbst dann zu bejahen, wenn erhebliche nachteilige Folgen wenig wahrscheinlich sind; es ist dann auch auf die Möglichkeit seltener - aber gravierender - Risiken hinzuweisen.

Bei dringend gebotenen Behandlungen ist zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten und der ärztlichen Hilfeleistungspflicht abzuwägen. Der dringend einer Operation oder einer sonstigen ärztlichen Behandlung bedürftige Patient soll durch die Aufklärung über das Risiko nicht unnötig verunsichert werden. Bei einer dringenden Operation, die für den Patienten vitale Bedeutung hat, ist die Aufklärungspflicht des Arztes nicht zu überspannen. Insbesondere ein ängstlicher Patient soll nicht durch die Aufklärung über selten verwirklichte Operationsrisken beunruhigt und dazu veranlasst werden, eine dringliche Operation nicht vornehmen zu lassen.

Nach allgemeinen rechtsgeschäftlichen Grundsätzen bedarf es im Fall unterlassener oder unvollständiger Aufklärung zur Bejahung einer Haftung der hypothetischen Kausalität, dass die unterlassene oder unvollständige Aufklärung, wenn sie erfolgt wäre, den Erklärungsempfänger von einem Geschäft mit bestimmtem Inhalt abgehalten hätte. Im Zusammenhang mit ärztlichen Aufklärungspflichten gilt dies sinngemäß.