01.04.2010 Zivilrecht

OGH: Doppelehe - Wiederverheiratung nach Auflösung der Vorehe durch eine ausländische Entscheidung gem § 45 EheG iZm mangelnder Anerkennung der ausländischen Entscheidung

Nur wenn beide Gatten der neuen Ehe von der mangelnden Anerkennungsfähigkeit wussten, ist diese nichtig; andernfalls muss der zweifach verheiratete Ehegatte eine auch für das Inland wirksame Auflösung der ersten Ehe anstreben; der Begriff der "ausländischen Entscheidung" iSd § 45 EheG ist weit zu verstehen; es reicht aus, wenn das Gericht an der Ehescheidung - wenngleich nur durch Abhaltung eines Schlichtungsverfahrens oder durch Registrierung der Scheidung - mitgewirkt hat, anderes gilt nur bei reinen Privatscheidungen


Schlagworte: Familienrecht, Eherecht, Doppelehe, Wiederverheiratung nach Auflösung der Vorehe durch eine ausländische Entscheidung, Anerkennung
Gesetze:

§ 45 EheG

GZ 1 Ob 138/09i, 29.01.2010

OGH: Die Materialien zu § 45 EheG idF des Art X Z 1 AußStrG-BeglG BGBl I 2003/112 gehen davon aus, dass ohne ausdrückliche Regelung die zweite Ehe nichtig (vernichtbar) wäre. Sie halten diese Rechtsfolge aber nur dann für gerechtfertigt, wenn beide Gatten der neuen Ehe von der mangelnden Anerkennungsfähigkeit wussten. Ansonsten sei ihr Vertrauen auf die eheauflösende Wirkung der ausländischen Entscheidung grundsätzlich schutzwürdig und daher in einem solchen Fall die neue Ehe nicht als Doppelehe nichtig.

Diese Regelung wurde in Anlehnung an jene zur Wiederverheiratung nach fälschlicher Todeserklärung (§ 43 EheG) getroffen, allerdings ausdrücklich ohne die dort normierte Rechtsfolge der Auflösung der ersten Ehe ipso-iure mit der Schließung der neuen Ehe. Ansonsten würden die Rechte des Ehegatten der ersten Ehe, die nicht gewahrt worden seien, wieder unterlaufen. Die Materialien kommen daher ausdrücklich zu dem Schluss, dass in einem solchen Fall sowohl die alte als auch die neue Ehe nach österreichischem Recht wirksam seien und das Nebeneinanderbestehen zweier Ehen unter diesen - von den Materialien als seltenen Ausnahmefall bezeichneten - Umständen hingenommen werde. Der zweifach verheiratete Ehegatte müsse eine auch für das Inland wirksame Auflösung der ersten Ehe anstreben. Ob es sich bei dieser Konstellation tatsächlich um einen seltenen Ausnahmefall handelt oder dadurch - wie die Revision meint - einem "Scheidungstourismus" Tür und Tor geöffnet würde, kann im Hinblick auf die Eindeutigkeit des Gesetzes und der Materialien dahingestellt bleiben.

Fraglich bleibt, wie der Begriff einer "ausländischen Entscheidung" iSd § 45 EheG zu verstehen ist.

Zur identen Wendung in § 97 AußStrG hat der OGH in 6 Ob 189/06x unter ausführlicher Darlegung der Gesetzeslage, der Materialien, der Lehre und Rechtsprechung in Österreich bzw Deutschland dargelegt, dass der Begriff der "Entscheidung" hier weit verstanden wird. Insbesondere zur Verstoßung nach islamischem Recht werde die Ansicht vertreten, dass dem Gericht in diesen Fällen nur eine gewisse registrierende oder ordnende Funktion zukomme. Nach dem Zweck der Bestimmung solle aber die inländische Feststellungskompetenz gerade in solchen Fällen eingreifen und daher nicht nur auf konstitutive Entscheidungen einer ausländischen Behörde über die Auflösung bzw den Bestand einer Ehe eingeschränkt werden. Es reiche aus, wenn das Gericht an der Ehescheidung - wenngleich nur durch Abhaltung eines Schlichtungsverfahrens oder durch Registrierung der Scheidung - mitgewirkt habe. Anderes gelte nur bei reinen Privatscheidungen.

Wenngleich die Feststellungen über die Umstände der Scheidung in Ägypten nicht völlig eindeutig sind, ist ihnen jedenfalls zu entnehmen, dass vom ägyptischen Amtsgericht zumindest eine vom Beklagten ausgesprochene Trennung beurkundet und darüber eine Scheidungsurkunde ausgestellt wurde. Damit hat das ägyptische Gericht aber iSd Entscheidung 6 Ob 189/06x durch Abhaltung eines gerichtlichen Termins, Registrierung der Scheidung und Ausstellung einer Urkunde an der Scheidung mitgewirkt. Von einer "reinen Privatscheidung" kann daher nicht mehr die Rede sein. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb diese Auslegung nicht auch für dieselbe Wortwahl des Gesetzgebers in § 45 EheG herangezogen werden sollte. Gerade den üblicherweise betroffenen juristischen Laien ist in aller Regel der Unterschied zwischen einer konstitutiven gerichtlichen Entscheidung und einer bloßen Bestätigung, zB eines Registrierungsvorgangs, nicht geläufig und schon gar nicht erkennbar, um welche der beiden Varianten es sich bei einem gerichtlichen Schriftstück handelt. Damit würde der im Gesetz vorgesehene Gutglaubensschutz aber von für den Betroffenen nicht erkennbaren Zufällen abhängen oder ihn zu Nachforschungen im Ausland zwingen. Beides kann den Intentionen des Gesetzgebers nicht ohne Weiteres unterstellt werden.

Dass die Grenze dort zu ziehen wäre, wo durch die ausländische "Entscheidung" inländische Grundsätze verletzt würden, wie die Revision argumentiert, kann schon deshalb nicht zutreffen, weil die Verletzung fundamentaler inländischer Rechtsgrundsätze erst materiellrechtlich - also dann, wenn das Vorliegen einer ausländischen Entscheidung grundsätzlich bejaht wird - zu prüfen ist. Keineswegs bedeutet die Annahme des Vorliegens einer ausländischen Entscheidung gleichzeitig - wie die Revision offenbar unterstellt -, dass diese auch im Inland inhaltlich anerkannt wird. Daher ist auch die von der Revision geortete Verfassungswidrigkeit des § 45 EheG nicht zu erkennen.