04.03.2010 Zivilrecht

OGH: Zur Diskriminierung bei Belästigung iSd § 5 Abs 3 BGStG

Für die Beurteilung des Vorliegens einer Belästigung ist nicht die subjektive Einschätzung des Belästigers, sondern grundsätzlich jene der von der Belästigung betroffenen Person maßgeblich; für die Tatbestandsmäßigkeit nach § 5 Abs 3 BGStG ist vorausgesetzt, dass die durch die verpönte Verhaltensweise bewirkte Beeinträchtigung der Würde ein gewisses Mindestmaß an Intensität aufweist


Schlagworte: Behindertengleichstellungsrecht, Diskriminierung, Belästigung, Mindestmaß an Intensität
Gesetze:

§ 5 BGStG, § 9 BGStG, §§ 1295 ff ABGB, AHG

GZ 1 Ob 189/09i, 15.12.2009

Die Klägerin weist aufgrund von Hermaphroditismus eine Behinderung iSd § 3 BGStG auf. Am 10. März 2008 versuchte die Klägerin, den Vollzug einer Fahrnisexekution zu verhindern. Der Gerichtsvollzieher reagierte auf die verbalen und körperlichen Angriffe der Klägerin ruhig. Aufgrund des aggressiven Verhaltens der Klägerin sprach er sie allerdings zweimal unabsichtlich mit "Herr" an. Er wollte damit die Klägerin weder verletzen (beleidigen) noch provozieren. Ansonsten benutzte er die Anrede "Frau".

OGH: Ziel des mit 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen BGStG ist es, Diskriminierungen von Menschen mit Behinderungen in allen Lebenslagen zu verhindern oder zu beseitigen und damit die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen (§ 1). Seine Bestimmungen gelten für alle Bereiche der Verwaltung (§ 2). Da die dem B-VG eigene Unterscheidung zwischen Vollziehung durch Organe der Verwaltung und Vollziehung durch Organe der Gerichtsbarkeit für die Gleichstellung behinderter Menschen ohne Belang ist, können auch Akte der Gerichtsbarkeit zu Schadenersatzansprüchen führen, sofern sie in diskriminierender Weise entstanden sind oder sich diskriminierend auswirken. Behinderung iSd BGStG ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren (§ 3). Nach § 5 Abs 3 BGStG liegt Diskriminierung auch bei Belästigung vor. Eine solche ist gegeben, wenn iZm einer Behinderung (für die betroffene Person) unerwünschte, unangebrachte oder anstößige Verhaltensweisen gesetzt werden, die bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betroffenen Person verletzt und ein einschüchterndes, feindseliges, entwürdigendes, beleidigendes oder demütigendes Umfeld für die betroffene Person geschaffen wird. Liegt eine Belästigung vor, hat die betroffene Person gegenüber dem Belästiger oder der Belästigerin Anspruch auf Ersatz eines allfälligen Vermögensschadens sowie zum Ausgleich der erlittenen persönlichen Beeinträchtigung Anspruch auf angemessenen Schadenersatz, zumindest jedoch auf 720 EUR (§ 9 Abs 2). Ansprüche aus Diskriminierungen in Vollziehung der Gesetze können nach dem AHG geltend gemacht werden (§ 10 Abs 1). Ein Anspruch gegenüber dem zuständigen Rechtsträger gem § 9 Abs 3 ist aber nur insoweit gegeben, als ein solcher gem § 9 Abs 2 gegen den Belästiger zusteht.

Voraussetzung für das Vorliegen einer Belästigung ist, dass die diskriminierende Verhaltensweise "im Zusammenhang" mit der Behinderung steht. Da § 7d BEinstG und die §§ 7 Abs 2, 21 Abs 2 und 34 Abs 1 GlBG den Begriff der Belästigung im Wesentlichen gleichlautend umschreiben, können die zu diesen Normen des BEinstG und des GlBG ergangene Rechtsprechung und die dazu vorhandenen Lehrmeinungen fruchtbar gemacht werden. Nach der zu § 7d BEinstG ergangenen Entscheidung 8 ObA 8/09y ist der Zusammenhang mit der Behinderung dann gegeben, wenn die konkrete belästigende Verhaltensweise der Tatsache zugerechnet werden kann, dass ein geschütztes Merkmal vorliegt. Dies ist auch dann der Fall, wenn der Belästiger nicht unmittelbar an dem geschützten Merkmal selbst anknüpft, dieses zumindest aber mitursächlich für die Belästigung ist. Es genügt, wenn das geschützte Merkmal (bzw damit in Verbindung stehende Eigenschaften, Handlungen, Verhaltensweisen oder Zustände) innerhalb eines "Motivbündels" eine Rolle spielt. Im Hinblick auf den Zweck des Gesetzes, jegliche Diskriminierung wegen einer Behinderung hintanzuhalten, darf das Erfordernis des Zusammenhangs zwischen konkreter Belästigung und geschütztem Merkmal nicht zu eng gesehen werden. Der von § 5 Abs 3 BGStG geforderte Zusammenhang ist also jedenfalls dann gegeben, wenn die beleidigende Äußerung kraft ihres Inhalts auf die Behinderung abzielt oder der Belästiger dies durch einen Hinweis in seinem Verhalten erkennen lässt. Ein Zusammenhang ist nur dann zu verneinen, wenn das Verhalten von der Behinderung nicht - auch nicht nur zum Teil - motiviert ist bzw nicht mit der Behinderung in Verbindung zu bringen ist. Ob der von § 5 Abs 3 BGStG geforderte Zusammenhang iS dieser Ausführungen besteht, unterliegt nicht der subjektiven Wahrnehmung der betroffenen Person, sondern ist als Tatbestandselement objektiv anhand der Umstände des Einzelfalls im Beweisverfahren zu klären. Im vorliegenden Fall wurde der Klägerin die Behinderteneigenschaft aufgrund ihrer geschlechtlichen Zuordnung zuerkannt. Damit in Verbindung steht das zu schützende Merkmal, dass sie nicht in allen Belangen den üblichen Habitus einer Frau aufweist. Im Hinblick auf diese Gegebenheiten stellt die fälschliche Anrede als "Herr" den nach § 5 Abs 3 BGStG erforderlichen Zusammenhang zur Behinderung her.

Die Revisionswerberin führt ins Treffen, es komme nicht darauf an, ob der Belästiger das unerwünschte, unangebrachte oder anstößige Verhalten nach § 5 Abs 3 BGStG nur versehentlich gesetzt hat. Eine Belästigung liege (schon) dann vor, wenn die Verhaltensweise auch nur bewirke, dass die Würde der betroffenen Person verletzt und so für diese ein "einschüchterndes, feindseliges, entwürdigendes, beleidigendes oder demütigendes Umfeld" geschaffen wird.

Richtig ist, dass für die Beurteilung des Vorliegens einer Belästigung nicht die subjektive Einschätzung des Belästigers, sondern grundsätzlich jene der von der Belästigung betroffenen Person maßgeblich ist. Zu berücksichtigen ist, wie diese das Verhalten aufgefasst hat. Dass auf deren Empfinden abzustellen ist, wurde in der mit 1. Mai 2008 in Kraft getretenen Novelle zum BEinstG und BGStG durch die Einfügung der Worte "für die betroffene Person" in § 5 Abs 3 BGStG verdeutlicht. In den EB zur RV wird darauf hingewiesen, dass es sich insoweit um eine Klarstellung handelt, dass eben als subjektives Element der Beurteilung auf das Empfinden der belästigten Person abzustellen ist. Nach der zur geschlechtlichen Diskriminierung gebildeten Rechtsansicht ist die Haftung des unmittelbaren Belästigers keineswegs vom Nachweis eines Verschuldens oder vom Fehlen eines Rechtfertigungsgrunds abhängig zu machen.

Die fälschliche Anrede als "Herr" war - unter den von § 5 Abs 3 BGStG geforderten weiteren Voraussetzungen - demnach grundsätzlich geeignet, bei der Klägerin das Empfinden zu wecken, infolge ihres Erscheinungsbilds wolle der Gerichtsvollzieher zum Ausdruck bringen, sie nicht als Frau zu akzeptieren. Sie konnte dieses Verhalten als unerwünschte Missachtung ihrer Identität als Frau empfinden. Dieselben Erwägungen treffen auch auf das damit für die Klägerin geschaffene "entwürdigende Umfeld" zu. Nach Rechtsprechung und Lehre genügt es, wenn je eine der im Gesetz aufgezählten Qualifikationen (unerwünscht, unangebracht oder anstößig) für die Verhaltensweise und (einschüchternd, feindselig, entwürdigend, beleidigend und demütigend) für das damit geschaffene Umfeld erfüllt wird.

Für die Tatbestandsmäßigkeit nach § 5 Abs 3 BGStG ist aber weiters vorausgesetzt, dass die durch die verpönte Verhaltensweise bewirkte Beeinträchtigung der Würde ein gewisses Mindestmaß an Intensität aufweist. So ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien zum GlBG, dass die Verhaltensweise "schwerwiegend" sein muss. Dieses Kriterium ist objektiv zu beurteilen. Es ist eine Grenze zu jenen Verhaltensweisen zu ziehen, die nur aufgrund besonderer Empfindlichkeit als verletzend wahrgenommen werden. Wenn einzelne Belästigungshandlungen dieses Mindestmaß nicht erreichen, aber fortgesetzt erfolgen, kann deren Wiederholung eine Belästigung iSd § 5 Abs 3 BGStG darstellen. In diesem Fall können wiederholte einschlägige "Sticheleien" und Anspielungen den Grad einer Verletzung der Würde erreichen.

Der Gerichtsvollzieher lenkte sofort ein, als sich die Klägerin über die unrichtige Anrede als "Herr" beschwerte. Fest steht jedenfalls auch, dass der Gerichtsvollzieher auf die verbalen und körperlichen Angriffe der Klägerin ruhig reagierte und nur aufgrund des aggressiven Verhaltens der Klägerin zweimal versehentlich die unrichtige Anrede benutzte, und dies nicht in der Absicht, sie zu verletzen oder zu provozieren. Eine Situation, wie sie die Klägerin schilderte und aus der sie das Tatbild der Belästigung iSd § 5 Abs 3 BGStG ableitet, nämlich dass der Gerichtsvollzieher "laufend" und "hämisch grinsend" die unrichtige Anrede zu dem Zweck benutzt habe, um sie zu kränken, zu beleidigen und zu provozieren, wurde nicht festgestellt. In Anbetracht der ausschließlich zugrundezulegenden Feststellungen ist die Verhaltensweise des Gerichtsvollziehers nicht als schwerwiegend zu bezeichnen. Wenngleich sich die Klägerin durch die zweimalige Anrede als "Herr" subjektiv belästigt gefühlt haben mag, erreicht die dadurch bewirkte Verletzung ihrer Würde objektiv gesehen nicht das geforderte Mindestmaß an Intensität. Das Tatbild der Belästigung iSd § 5 Abs 3 BGStG ist demnach nicht erfüllt.