OGH: Hat der Geschädigte für die ergänzende Geltendmachung weiteren Schmerzengeldes nach erfolgter Globalabgeltung mittels Nachklage besondere, die Nachklage begründende Umstände darzutun oder ist dafür die bloße Behauptung mangelnder Vorhersehbarkeit bestehender Schmerzzustände ausreichend?
Späteres neuerliches Schmerzengeld kann nur gewährt werden, wenn es sich bei der erstmaligen Schmerzengeldbemessung ausnahmsweise um gar keine Globalbemessung handelte oder wenn es sich um die Vergütung von Schmerzen handelt, die sich nicht als Fortsetzung der früheren darstellen, sondern um solche, die nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge nicht zu erwarten waren
§§ 1295 ff ABGB
GZ 6 Ob 185/09p, 16.10.2009
OGH: Das Schmerzengeld soll grundsätzlich eine einmalige Abfindung für Ungemach sein, das der Verletzte voraussichtlich zu erdulden hat. Dabei ist grundsätzlich mit Globalbemessung vorzugehen, wenn keine besonderen Gründe für eine zeitliche Einschränkung bestehen. Bei der Globalbemessung sind - allenfalls unter Anwendung des § 273 ZPO - nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge zu erwartende Unfallfolgen miteinzubeziehen. Diese sind daher grundsätzlich mit der Globalbemessung abgegolten.
Die von der Judikatur vertretene Auffassung des Schmerzengeldes als grundsätzlich einmalige Pauschalabgeltung erspart es nicht nur dem Geschädigten, immer wieder neue Schmerzengeldklagen einzubringen, sondern verhindert auch, dass der Schädiger ständig neuen Forderungen ausgesetzt ist, obwohl die Verletzungsfolgen im Bemessungszeitraum des ersten Prozesses bereits hinreichend überschaubar waren.
In diesem Sinne ist eine Globalbemessung lediglich dann nicht vorzunehmen, wenn noch gar kein Dauer-(End-)zustand vorliegt, weshalb die Verletzungsfolgen noch nicht oder noch nicht im vollen Umfang mit hinreichender Sicherheit überblickt werden können; wenn Schmerzen in ihren Auswirkungen für den Verletzten zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz noch gar nicht oder nicht endgültig überschaubar erschienen oder wenn der Kläger nachweist, dass ihm gegenüber dem Vorprozess und der dort vorgenommenen Globalbemessung weitere, aus der damaligen Sicht nicht abschätzbare Schmerzbeeinträchtigungen entstanden seien.
Späteres neuerliches Schmerzengeld kann daher nur gewährt werden, wenn es sich bei der erstmaligen Schmerzengeldbemessung ausnahmsweise um gar keine Globalbemessung handelte oder wenn es sich um die Vergütung von Schmerzen handelt, die sich nicht als Fortsetzung der früheren darstellen, sondern um solche, die nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge nicht zu erwarten waren.
Dementsprechend verlangt die Judikatur für eine (ausnahmsweise zulässige) Teileinklagung von Schmerzengeld das Vorliegen besonderer, vom Verletzten darzulegender Gründe. Ansonsten steht es nicht in seinem Belieben, Teileinklagungen vorzunehmen bzw Schmerzengeld nur für bestimmte Zeiträume zu begehren. Eine mehrmalige bzw ergänzende Schmerzengeldbemessung wird nur in ganz bestimmten, eine Globalbemessung zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz ausnahmsweise versagenden Gründen für zulässig erachtet.
Der Kläger hat das Vorliegen eines derartigen Sonderfalls darzutun und damit den Nachweis zu erbringen, dass die Geltendmachung eines Teilbetrags ausnahmsweise zulässig ist. Daraus folgt, dass es grundsätzlich nicht im Belieben des Geschädigten steht, sein Schmerzengeld bloß für einzelne Zeitabschnitte zu begehren, wenn die Folgen der Verletzungen vorhersehbar sind und eine Globalbemessung grundsätzlich möglich ist. Ein Teilanspruch auf Schmerzengeld ist also nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Wegen dieses Regel-Ausnahme-Verhältnisses hat der Kläger darzulegen, dass eine zeitliche Begrenzung des Schmerzengeldes oder die Geltendmachung bloß eines Teilbetrags aus besonderen Gründen zulässig ist.
Ebenso wie es nach der Judikatur für eine Teileinklagung von Schmerzengeld des Vorliegens besonderer, vom Verletzten darzulegender Gründe bedarf, müssen auch besondere Umstände vorliegen, welche es einem Kläger (ausnahmsweise) gestatten, trotz bereits erfolgter Schmerzengeldabgeltung im Rahmen einer Globalbemessung, eine ergänzende Bemessung mittels Nachklage mit Erfolg durchzusetzen. Solche besonderen Gründe liegen im nicht vorhersehbaren Auftreten von nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge ursprünglich nicht zu erwartenden Unfallfolgen, also einer nachträglichen Änderung des bei der vorangegangenen Globalbemessung zugrunde gelegten Sachverhalts iSe atypischen Geschehensverlaufs. Ohne eine solche nachträgliche Sachverhaltsänderung kann nach erfolgter Globalbemessung ein weiteres Schmerzengeld nicht zugesprochen werden.
Ob die Behauptungen für die Zulässigkeit einer Schmerzengeldnachforderung ausreichend konkret sind, ist grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls.
Ließe man nach Teilabweisung eines Schmerzengeldbegehrens die neuerliche Ausdehnung des Klagebegehrens ohne gleichzeitige substantiierte Behauptung des Auftretens neuer, bei der seinerzeitigen Entscheidung nicht vorhersehbarer Schmerzen zu, würde dies in Wahrheit einer neuerlichen (aber unzulässigen) Überprüfung des bereits rechtskräftig abgewiesenen Anspruchs gleichkommen.
Für derartige nähere Behauptungen ist es entgegen der Ansicht der Revisionswerberin auch nicht unbedingt erforderlich, dass ein "medizinischer Grund" für die weiteren Schmerzen angeführt wird. Dem Vorbringen der Klägerin ist jedoch nicht einmal ansatzweise zu entnehmen, ob Grund für die angeblich nicht vorhersehbaren Schmerzen besondere Komplikationen beim Heilungsverlauf, zusätzliche Operationen, Behandlungen oder sonstige Gründe waren.
Wenn die Vorinstanzen das bloße Vorbringen, die Klägerin habe nicht vorhersehbare weitere Schmerzen erlitten, als nicht ausreichend konkret angesehen haben, ist darin jedenfalls keine vom OGH im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken. Andernfalls könnte durch die bloße substratlose Behauptung, weitere Schmerzen erlitten zu haben, jeder Verletzte eine neuerliche Klage einbringen und auf diese Weise die Rechtskraft der Vorentscheidung unterlaufen. Gerade vor dem Hintergrund der in der Rechtsprechung wiederholt betonten Funktion der Globalbemessung, den Schädiger ständig neuen Forderungen auszusetzen, obwohl die Verletzungsfolgen bereits im ersten Prozess hinreichend überschaubar waren, haben die Vorinstanzen mit ihrer Entscheidung, dass das zitierte Vorbringen ohne nähere Angaben nicht ausreichend konkret sei, den ihnen hier zukommenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten.