30.04.2009 Zivilrecht

OGH: Zur Beachtlichkeit mündlicher Äußerungen des Erblassers bei der Auslegung von Testamenten

Bei der Auslegung eines Testamentes sind sowohl mündliche Äußerungen als auch im Testament nicht bezogene Schriftstücke zu beachten; die Auslegung muss im Testament irgendeinen, wenn auch noch so geringen Anhaltspunkt finden und darf nicht völlig dem unzweideutig ausgedrückten Willen gerade zuwiderlaufen


Schlagworte: Erbrecht, Auslegung von Testamenten, Beachtlichkeit von mündlichen Äußerungen des Erblassers
Gesetze:

§§ 552 ff ABGB, § 655 ABGB

GZ 8 Ob 112/08s, 23.02.2009

Die Erblasserin hinterließ eine orthografisch und grammatikalisch nicht ganz korrekte letztwillige Verfügung aus 1988. Sie ordnete an, dass ihr Haus verkauft und der Erlös in fünf Teile geteilt werden solle. Wer diese fünf Teile erhalten soll, ist der letztwilligen Verfügung nicht zu entnehmen. Die beiden Klägerinnen begehren die inter-partes Feststellung der Ungültigkeit der letztwilligen Verfügung.

OGH: Der Beklagten ist zuzustimmen, dass der Wortlaut einer letztwilligen Verfügung nicht die einzige Quelle ihrer Auslegung darstellt. Nach stRsp sind vielmehr auch außerhalb der Anordnung liegende Umstände aller Art, sonstige mündliche oder schriftliche Äußerungen sowie ausdrückliche oder konkludente Erklärungen des Erblassers zur Auslegung heranzuziehen.

Die Auslegung soll möglichst so erfolgen, dass der vom Erblasser beabsichtigte Erfolg eintritt bzw wenigstens teilweise aufrecht bleibt. Allerdings muss die Auslegung in der letztwilligen Verfügung irgendeinen, wenn auch noch so geringen Anhaltspunkt finden und darf nicht völlig dem unzweideutig ausgedrückten Willen zuwiderlaufen ("Andeutungstheorie").

Im hier zu beurteilenden Fall hat sich die Beklagte auf zahlreiche mündliche Äußerungen der Erblasserin berufen, aus denen unzweifelhaft zu entnehmen sei, dass es sich bei den fünf Personen, denen die Erblasserin ihr Vermögen zuwenden wollte, um ihren Bruder Stefan V*****, um ihre Schwester sowie um ihre Enkel Andrea K*****, Ingrid S***** (Erst- und Zweitklägerinnen) und Richard S***** gehandelt habe. Wäre eine solche Absicht der Erblasserin erwiesen, könnte sie bei der Auslegung der letztwilligen Verfügung nicht unbeachtet bleiben.